"Eine gute Komödie ist pessimistisch"

"Eine gute Komödie ist pessimistisch"
Von „Asterix“ bis „Monsieur Claude“: Christian Clavier ist Frankreichs beliebtester Komiker und der legitime Nachfolger von Louis de Funès. Der neue französische Nationalheld im freizeit-Interview.

Mit seinen 1,68 Metern ist er so groß wie Napoleon (den er übrigens auch gespielt hat), und in seiner Heimat Frankreich auch mindestens so bekannt: Christian Clavier. Neben Gérard Depardieu war er zwei Mal Asterix und dank „Monsieur Claude und seine Töchter“, dem Komödienhit des Jahres 2014, ist der 62-jährige Pariser so erfolgreich wie nie. So entspannt, wie Monsieur Clavier zum Interview erscheint, deutet nichts darauf hin, dass er derzeit in seiner Heimat der Kino-Superstar Nr. 1 ist. Mehr als zwölf Millionen Zuschauer strömten alleine 2014 in Frankreich wegen ihm ins Kino. Die Erwartungen an seine neue Komödie „Nur eine Stunde Ruhe“, die bei uns am kommenden Freitag anläuft, sind dementsprechend hoch. Freundlich, aber reserviert stellt sich der freizeit als wortkarg bekannte Schauspieler den Fragen der zu Louis de Funès, seinem Wohn-Exil und dem Druck, den seine vielen Filmerfolge mit sich bringen.

"Eine gute Komödie ist pessimistisch"

Sie machen beide gute Laune: Christian Clavier und Rossy de Palma in „Nur eine Stunde Ruhe“ (Kinostart: 8. Mai). Regisseur Patrice Leconte inszenierte den Film mit der Leichtigkeit einer Boulevardkomödie

freizeit: Die Handlung Ihres neuen Films ist einigermaßen simpel. Sie verkörpern einen Zahnarzt, der auf dem Flohmarkt über eine seit Jahren gesuchte Jazzrarität stolpert. Daheim hindern ihn jedoch viele Widrigkeiten, sich diese auch anzuhören: Affären, Arbeiter und das Einstandsfest eines Nachbarn sorgen für Aufregung – der ganz normale Alltag also. Warum gelingt es derzeit vorwiegend dem französischen Film, ohne große Umwege in den Besucher-Charts immer auf Anhieb ganz oben zu landen?
Christian Clavier:
Nun, man braucht natürlich neben einem guten Skript auch gute Schauspieler, die das für den Zuschauer kongenial übersetzen. Das Buch stammt von Florian Zeller, einem jungen Romancier und Theaterautor aus Paris. Und er hat einfach ein gutes Gespür für Situationen.

Die Schallplatte, die sozusagen neben Ihnen eine Hauptrolle hat, nennt sich „Me, Myself & I“ und ist von einem Klarinettisten namens Neil Youart eingespielt worden. Dabei handelt es sich um einen fiktiven Namen und eine fiktive Schallplatte. Warum? Gibt es dazu eine Anekdote, ein Histörchen?
Ich liebe Klassische Musik und kann Ihnen das daher nicht korrekt beantworten. Es geht um jemanden, der mit Leidenschaft Flohmärkte abgrast – und das machen sowohl Jazzfans als auch Klassikliebhaber.

Wer inspirierte Sie als junger Schauspieler? Ich tippe auf Louis de Funès und Jacques Tati.
Ja, die auch. Aber es waren mehr als diese. Viele Franzosen und Engländer, am meisten aber Italiener wie Nino Manfredi oder Ugo Tognazzi. Die beeindruckten mich und meine Freunde Michael Blanc und Thierry Lhermitte von unserer Comedytruppe „Le Splendid“. Sie brachten uns zum Lachen und überzeugten durch wirklich schräge Charaktere.

Benötigt Humor eine bestimmte Sprache?
Nicht unbedingt. Humor basiert auf sprachlichem Witz sowie auf bestimmten Situationen. Und viele davon versteht man in jeder Sprache.



Als „Monsieur Claude“, ein konservativer Notar, der seine vier Töchter der Reihe nach an einen Muslim, einen Juden, einen Chinesen und einen Afrikaner „verliert“, gelang Ihnen im Vorjahr eine Sensation. Ihr neuer Film wird sicher daran gemessen werden. Verspüren Sie schon jetzt einen Erfolgsdruck?
„Monsieur Claude“ war einzigartig. So ein Erfolg lässt sich kaum wiederholen. Das Thema dieser Komödie hat alle beschäftigt und berührt. Daher war sie in ganz Europa so erfolgreich.

Apropos Europa von heute: Sind Sie noch ein Freund von Frankreichs konservativem Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, den Sie in zwei Wahlkämpfen unterstützt haben?

Ja. Natürlich.

Ich frage, weil es heißt, dass diese Freundschaft Sie dazu gebracht haben soll, Ihre Heimat zu verlassen und nach England zu ziehen.

Ja, meine Familie und ich wurden wegen meiner Loyalität zu Sarkozy zur Zielscheibe linker Medien. Keine Ahnung, warum.

Und wie lebt es sich als „French Man“ in London?

Großartig. London ist Europas New York. Hier leben Menschen aus 200 Nationen. Es ist wirklich kosmopolitisch, und es gibt das beste Essen. Nach Frankreich will heute keiner mehr freiwillig ziehen.

Was ist das Geheimnis einer gelungenen Komödie?

Dass sie pessimistisch ist. Ich glaube nicht, dass eine gute Komödie Optimismus verströmen muss.

Der britische Komiker John Cleese meinte in einem Interview, ein guter Komiker müsse politisch links stehen. Teilen Sie diese Ansicht?

Nein. Ganz im Gegenteil.

Können Sie das näher erklären?

Nein. Sie haben schon verstanden. Das Gegenteil ist der Fall.

Ja, aber nehmen wir einmal Charlie Chaplin. Der war doch der Freund der kleinen Leute.

Aber zuletzt lebte er in der Schweiz sehr nobel. Und John Cleese soll ja auch sehr wohlhabend sein.

Nicht mehr. In dem Interview sagte er, dass er alle Millionen an seine Ex-Frauen verloren habe.

Dann war er zumindest zuvor reich.

An der Seite von Gérard Depardieu spielten Sie zwei Mal einen französischen NationalheldenAsterix. Wann trafen Sie Depardieu zuletzt?

Vor ein paar Monaten.

Ihre gemeinsamen „Asterix“-Filme liegen mehr als zehn Jahre zurück. Verbindet Sie und Depardieu noch etwas?

Ja, ich schätze ihn sehr. Gérard ist ein außergewöhnlicher Schauspieler und Mensch.

Zurück zu „Nur eine Stunde Ruhe“, Ihren neuen Film. Fast meint man, das sei eine reine One-Man-Show. Dann aber reichen sich viele großartige Schauspieler die Hand, etwa Almodóvar-Heldin Rossy de Palma, die noch mieselsüchtiger ist als Sie.

Sie ist ein Hammer! Aber auch Carole Bouquet und Valérie Bonneton sind großartig. Wir hatten viel Spaß bei den Dreharbeiten. Ich hoffe, man sieht das.

Monsieur Clavier, danke für das Gespräch. Machen wir noch ein Selfie?

Nein. Ich glaube, meine Presseagentur kann Ihnen bessere Fotos gebe

Über zwölf Millionen Zuschauer in Frankreich, 3,5 Millionen in Deutschland und mehr als 360.000 in Österreich: Mit „Monsieur Claude und seine Töchter“ gelang Christian Clavier im Vorjahr, 15 Jahre nach dem ersten „Asterix“-Realfilm, eine Kino-Sensation. Der 62-jährige Schauspieler ist ein Hit, und zwar ein umso größerer, je übellauniger seine Rolle angelegt ist – nicht nur das verbindet ihn mit Louis de Funès. Als Vollblutkomödiant orientierte sich Clavier anfangs an der Spontaneität der Commedia dell’arte. Seine ersten Filmerfolge feierte er Ende der 1970er-Jahre mit den Club-Méditer- rané-Satiren „Die Strandflitzer“ und „Sonne, Sex und Schneegestöber“. Regie führte damals wie jetzt bei „Nur eine Stunde Ruhe“ Patrice Leconte. Sein erster internationaler Hit war 1993 die Zeitreise-Komödie „Die Besucher“. Von ihr dreht er derzeit – wieder mit Jean Reno – eine dritte Fortsetzung. Clavier: „Diesmal geht es um einen Knackpunkt unserer Geschichte – die Französische Revolution.“ Natürlich spielte Clavier auch Napoleon, in einer TV-Mini-Serie.

Frankreich ist ein echtes Kultur-Schlaraffenland. Theater, Literatur, Bildende Kunst und das Kino sind der Grande Nation so wichtig wie Bildung, Gesundheit, Straßenbau und die Industrie. Dazu passt, dass mit Georges Méliès ein Franzose zu den Pionieren der Filmgeschichte zählt. Das Filmschaffen wird vom französischen Staat mit über 750 Millionen Euro jährlich gefördert. Eine Folge davon: Frankreich ist der zweitgrößte Filmexporteur der Welt. Und: In der Heimat von Isabel Adjani, Jean Paul Belmondo & Co stehen heimische Filme hoch im Kurs. So entfallen zwischen 35 und 45 Prozent aller Kinobesuche auf Eigenproduktionen. Nr. 1 ist bis heute die Komödie „Willkommen bei den Sch’tis“ (2008) mit über 20 Millionen Zuschauern allein in Frankreich.

Kommentare