Zwischen Mao & Moderne

Der Mittelpunkt der Welt, das Abbild himmlischer Ordnung auf Erden: Die Verbotene Stadt war von 1421 bis 1911 das politische und religiöse Zentrum im Reich der Mitte
Crashkurs China: Peking, die Stadt der tausend Gesichter, Tianjin, wo China noch erstaunlich europäisch wirkt, und Qufu in der Provinz Shandong, das Zentrum des Konfuzius-Kultes.

Johann Strauß, scheint’s, war schon lange vor uns in Peking: Zum „Donauwalzer“ koffert das Gepäck am Flughafen über das Förderband heran. Was für ein Auftakt. Ein Ausflug mit der Fahrrad-Rikscha in die altstädtischen Hutongs hilft, die sechs Stunden Zeitverschiebung zu überbrücken. Hutong heißen in der 22-Millionen-Metropole jene engen Gassen und 1.000 Höfe rund um den Qianhai-See im Norden der Verbotenen Stadt. Auch hier sind die Immobilienpreise bereits explodiert. Das Viertel gilt längst als chic. Trotzdem schneidet der Friseur seinen Kunden noch am Gehsteig die Haare. Und vom Horizont rücken die Hochhäuser näher. Was für Kontraste: verwinkelte Gassen und Stadtautobahnen, Straßenhändler und Shopping-Irrsinn, Wohnhöfe und Glaspaläste wie der gigantische, 159 Meter hohe Tower des Staatsfernsehens CCTV. Der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas hat ihn entworfen, und die Chinesen nennen ihn spöttisch so, wie er aussieht: „Große Unterhose“. Wien hat eine Ringstraße. Peking hat 5,3 Millionen Autos und fünf Ringstraßen, die äußerste ist 200 Kilometer lang – und ein einziger Superlativ: Die Verbotene Stadt, einst Residenz der allmächtigen Kaiser von China, ist bis heute der größte Palast der Erde. Mao, der rote Kaiser, blickt vom Eingang auf das eigene Mausoleum hinüber. Der Platz des Himmlischen Friedens – Tian'anmen – gilt als der größte Platz der Welt. Die Chinesische Mauer ist mit 8.850 Kilometern von der mongolischen Steppe bis zum Gelben Meer das längste Bauwerk. Und das Leben in den kleinen Dörfern daneben ist ein langer ruhiger Fluss. Nach dem steilen Aufstieg auf den alten Trommelturm – Gu Lou – aus der Ming-Dynastie heißt die kulinarische Belohnung: Peking-Ente, in Palatschinken gerollt, mit einer speziellen Sauce und Lauchzwiebeln als Vorspeise.

„Die Österreicher essen schnell und trinken lang“, erklärt Reiseleiter Wu Zhong. „Wir Chinesen essen lang und vor allem viele verschiedene Gerichte.“ Vor der Halle der höchsten Harmonie im Zentrum der gigantischen Palastanlage mit angeblich mehr als 9.000 Räumen, wo sich früher Eunuchen und Beamte tummelten, ist heute die Touristen-Dichte pro Quadratmeter beängstigend. Sie passen so gar nicht ins Konzept des Architekten, dem es einst nicht nur um die Heimstatt für die Himmelssöhne, sondern um das Abbild der himmlischen Ordnung auf Erden ging. Hier ist plötzlich sonnenklar, warum der Dickbauch-Buddha im Tempel so ein breites Grinsen im Gesicht hat – er lacht über die lächerlichen Menschen, heißt es.

Dafür ist man rund 120 Kilometer außerhalb gen Nordosten in Jinshanling im Jänner fast mutterseelenallein beim Kraxeln auf die große Mauer. Hier beginnt das Abenteuer für Wanderer: Wild Wall Walking. Nächste Station ist Tianjin, was so viel bedeutet wie „der Platz, wo der Kaiser über den Fluss ging“. Die Zugfahrt von Peking in die Hafenstadt dauert nicht länger als die Reise von Wien nach St. Pölten – allerdings braust die Highspeed-Supereisenbahn mit 300 km/h durch die Landschaft.

Die rasch wachsende Zehn-Millionen-Universitätsstadt im Schatten Pekings ist die Reise wert. Der venezianische Handelsreisende Marco Polo kam zwar vermutlich nie hier vorbei. Aber jetzt sitzt er auf einem Kamel, umgeben von Häusern, die ursprünglich tatsächlich Italiener gebaut haben – allerdings viele hundert Jahre nach Marco Polos Zeit. Heute werden die Reste des ehemaligen italienischen Viertels als „Italian Style Town“ vermarktet. In Tianjin gab es einst auch eine „Rue de la France“ und eine „Victoria Road“, und sogar die Flagge Österreich-Ungarns wehte um 1900 auf dem Dach der österreichischen Marine-Kommandantur. Der ehemalige deutsche Club Concordia in einem neoromanischen Gebäude aus dem Jahre 1907, ehemals in der „Kaiser-Wilhelm-Straße“, bot in Fernost Zuflucht, um das „anfängliche Gefühl des Fremdseins schnell zu überwinden“. Und viel Geschichte atmet auch das alte Astor Hotel, in dem in den vergangenen 150 Jahren die Mächtigen, Berühmten und Reichen der Welt gewohnt haben. Wann und wo, ist neben der Zimmertür-Nummer vermerkt. Herbert Hoover, der spätere 31. US-Präsident, etwa in der Suite 388. Zur kurzen Erholung der müden Füße wird Tee serviert. Denn schon vor 4.000 Jahren lobte ein Kaiser: „Tee weckt den guten Geist.“

In Qufu in der Provinz Shandong, die als Wiege der chinesischen Zivilisation gilt, ist seit 2.500 Jahren alles Konfuzius. Die ummauerte Altstadt, der Tempel, die Residenz, der Friedhof. Ein Baum, den Konfuzius an seinem Geburtsort unter den vielen uralten Zypressen gepflanzt hat, soll noch am Leben sein. Sogar der fein gewürzte Tofu im Restaurant heißt hier Konfuzius. Zeichen der Verehrung für den bedeutendsten Moralphilosophen des alten China. Mao hat seine Lehre während der „Kulturrevolution“ als „feudale Ideologie“ verteufelt. Heute pilgern wieder 16 Millionen Chinesen jährlich zu Schrein und Grab des Konfuzius, um Räucherstäbe zu verbrennen und sich zu verbeugen. Auf dem idyllisch bewaldeten Familienfriedhof liegen 100.000 seiner Nachfahren und auch der Meister selbst begraben. Schon wieder ein Superlativ: Der größte Friedhof der Welt, der einer einzigen Sippe gewidmet und noch in Betrieb ist. „Das Verhältnis zwischen Herrschern und Untergebenen ist wie zwischen Wind und Gras“, lehrte Konfuzius. „Das Gras muss sich beugen, wenn der Wind darüberweht.“ Biegen, nicht brechen, war die Devise. Der konfuzianische Mensch fügt sich seinem Schicksal und begehrt nicht auf. Die Kommunistische Partei nutzt diese Interpretation zur Legitimation ihrer autoritären Herrschaft. Und ein typischer Vertreter des Mittelstands in China sagt: „Kommunismus oder Kapitalismus. Hauptsache, unser Leben ist gut. Egal unter welchem -ismus.“

Im deutschen Club Concordia und im historischen Hotel Astor in Tianjin (großes Bild)

Zwischen Mao & Moderne
CHINA - wo17
Zwischen Mao & Moderne
CHINA - wo17

Der gefallene „Sohn des Himmels“: Pu Yi, der letzte Kaiser von China, 1912 zum ersten Mal abgesetzt, flüchtete mit der Opium-süchtigen Kaiserin Wanrong 1924 nach Tianjin; sein später devastiertes Domizil in der Hafenstadt wurde wieder hergestellt und ist zu besichtigen

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REISEZEIT

Die schönste Reisezeit ist zwischen September und November. Eine gute Reisezeit ist auch der Frühling bis Mai mit freundlichem, trockenem Wetter.

HOTEL


In Peking: Boutique-Hotel Karpok im Zentrum, nur 200 Meter von der Verbotenen Stadt entfernt, Zimmer ab 79 €; www.kapokhotelbeijing.com

In Tianjin: Astor Hotel, 1863 eröffnet, ein Wahrzeichen, 152 Zimmer und Suiten, dekoriert im klassischen viktorianischen Stil, Zimmer ab 110 €; luxurycollection.com/astor

RESTAURANT


Hua’s Courtyard Fine Dining, No. 55 Beixinqiao Toutiao, Dong Cheng District, Peking huajiayiyuan.com

BÜCHER


Pu Yi: „Ich war Kaiser von China“; die Autobiografie gibt Einblicke in eine Welt, die Außenstehenden lange verschlossen war.

Kai Strittmatter: „Gebrauchsanweisung für China“.

Willst du eine Stunde glücklich sein, schlafe. Willst du einen Tag glücklich sein, geh fischen. Willst du ein Jahr lang glücklich sein, habe ein Vermögen. Und willst du ein Leben lang glücklich sein, liebe deine Arbeit.


Chinesisches Sprichwort

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