Die Trauer um die verlorene Freundin sitzt einem in den Knochen. Und noch immer hofft man so verbissen wie naiv, dass man nur in einen grausamen Traum geplumpst ist, aus dem sie einen mit einem schon etwas aufgebrachten Anruf aufweckt: „Was ist jetzt mit dir, du altes Luder! Ein Fingerhut Champagner wird doch noch möglich sein.“ Es ist die dritte Kerze, die das alte Luder um diese Jahreszeit für eine Freundin ins Fenster stellen muss. Ich wate durch das Museum der Erinnerungen in Form von zwei Ikea-Kisten, fische fünf Briefe von M, dicht mit der Schreibmaschine beschrieben, aus dem Chaos an Zetteln, Fotos, Karten, Kinderzeichnungen, Post-it-Botschaften, die sich in den letzten 35 Jahren in meinem Leben angesammelt haben. Schrullig-schöne analoge Welt, unsere Kinder werden solche emotionalen Archive schon nicht mehr haben. „Freundschaft ist wie ein Fläschchen Riechsalz, das man immer im Notfallpaket haben sollte“, schrieb sie. Ich war keine besonders gute Freundin gewesen, wir hatten uns oft über Monate nicht gehört. Jede vor ihren Karren gespannt, zwischen Deadline-Druck, Kinderwahnsinn und immer wieder gab es sogar einen Mann, der sich im Nachhinein als das Gegenteil einer Frischzellenkur erwiesen hatte. Aber bei jedem Treffen war das Eigenartige passiert, dass die verstrichene Zeit so wurscht wie das berühmte umgefallene Fahrradl in Peking war und man sich auch nach Wochen der Funkstille so vertraut war, als ob man sich erst gestern noch zum Abschied gedrückt hätte. Als ich die Kerzen ins Fenster stelle, mischt sich Wut in meine Trauer. Ich plärre ganz unbesinnlich das Schicksal an: „Warum? Ha? Warum? Es ist einfach nicht gerecht!“ Doch das Schicksal, das depperte, findet, dass Gerechtigkeit in seinem Koordinatensystem keine diskussionswürdige Kategorie ist.

Tipp:

Polly Adlers „Adieu, Fortpflanz!” - der Anti-Erziehungsratgeber: Schnurren von der pädagogischen Front bei Amalthea.

Eben auch als Hörbuch im Mono-Verlag erschienen, gelesen von Maria Happel.

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