Mein venezianischer Vermieter smst „Attenzione, acqua alta!!!“ Wir haben ein Zeitloch von genau 1 Stunde 20, um die Wohnung zu betreten. Davor und danach steht dort nämlich Wasser in hundertzehn Meter Höhe im Entrée. Macht nichts. Bei schönem Wetter kann ja jeder Trottel nach Venedig fahren. Aus dem Fenster der an sich prächtigen Wohnung, die man für den Rest des Tages nur mit hüfthohen Fischerstiefeln verlassen kann, sieht man eine schwarze Perlenschnur, die sich ihren Weg durch den großen Kanal bahnt. Es sind Dutzende dicht aneinander gereihte Gondeln, in denen Hunderte Japaner sitzen. Viele von ihnen tragen Mundschutzvorrichtungen. Auch wenn sie sich gegenseitig fotografieren, was sie bekanntlich ständig tun, nehmen sie die nicht ab und heben ihre Daumen nach oben. Ein gespenstischer Menschenschlag. Als das Wasser endlich sinkt, springt man in die nächste Kirche und spendet drei Kerzen, weil sich eine monumentale Dankbarkeit einstellt, dass man kein Japaner ist. Es wundert einen, dass nicht ab und zu ein Venezianer durchdreht und ohne viel Vorwarnung ein paar Touristen, vorzugsweise Japaner, zu schlagen beginnt. Aber die Bewohner dieses Morbidezza-Disneylands verlieren viel poetischer den Verstand. Der alte Mann, der mit seinem leuchtend roten Gehwagen in die Osteria seines Vertrauens rollt, grüßt imaginäre Menschenspaliere mit huldvollen Gesten und den Worten „Hallo, ihr Schönsten“ und „Was für eine Freude, euch Blumen hier zu haben!“„Hören Sie, ich bin eine Prinzessin“, raunt mir eine Frau verschwörerisch zu. Sie trägt ein schwarzes Spitzencape bis zum Boden und verkauft in ihrem kleinen Laden Devotionalien, „Sie müssen wissen, einmal Prinzessin, immer Prinzessin.“ Und wer hätte den Mut und das Herz, ihr zu widersprechen. Durchdrehen auf allerschönstem Niveau!

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