Es ist das letzte Foto, das ich von ihr habe: Sie steht vor einem Laden, in dem es nichts als gerüschte Regenschirme gibt. Für die feinen Damen. Also nicht für uns. Und darauf waren wir stolz. Paris im vergangenen März. M trägt auch außerhalb des Bildes ihr Au-revoir-tristesse-Lächeln. Paris war für sie keine Stadt, sondern ein Zustand. Sie schwebte. Ich wurde im Freifliegen angelernt. Zum Warmwerden tuckerten wir mit dem 69er-Bus durch die Stadt. Wir kauften Multikulti-Besen in Gambetta. Wir aßen bei den Nachfahren von Rousseau ein Tatar. Sie wäre fast, aber nur fast auf den Schoßhund von Fanny Ardant im „Deux Magots“ getreten. Wir legten uns auf die Pirsch vor Depardieus Fischhandlung und harrten, dass er seine Verkaufsdamen durch die Luft wirbelte. Wir trödelten in ihrer Lieblingsgasse, der Rue du Cherche-Midi, unter einem puffroten Baldachin, bei Chablis. „Atme die Luft ein!“, befahl sie, „das ist die Gasse der feinen Verlage!“ Wir besuchten das Haus von Victor Hugo. Im Audienzzimmer wurde sie richtig wütend, denn hier musste Balzac oft stundenlang warten, ehe er vorgelassen wurde: „Unser Maître, stell dir vor, wie einen dreckigen Hund hat ihn der alte Hugo behandelt!“ Balzac war ihr heilig. Wahrscheinlich hatte sie in ihrem Leben nur unwesentlich weniger geschrieben als er. „Den Großmeister der Baustelle Mensch“ nannte sie ihn. Und nächstes Mal müssten wir unbedingt zu seinem Grab im „Père-Lachaise“ und zu dem der Piaf und dem von Marie Trintignant, dort wo immer Blumen liegen „wie frisch geweint.“ Nein, einsam fühlte sie sich nicht: „Das Wort ist mir hier noch nie eingefallen. Und wenn hat es eine Wärme, dass man nicht einmal den Tod fürchtet.“ Ich werde deinen geliebten Krummbeinigen allein besuchen müssen, im nächsten Frühling, Marga. Und mir vorstellen, dass du nicht weit bist. Paris wird das schon hinkriegen.
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