Es war der letzte Tag unseres Provence-Urlaubs, der einem Experiment gleich gekommen war: Zwölf Menschen, im Alter von eineinhalb bis 65, die sich mehr, aber auch weniger gut kannten, eine Woche unter einem Dach, um den runden Geburtstag einer Herzensfreundin zu feiern. Als wir im goldenen Sonnenlicht unsere letzte Quiche gemeinsam mit Rosé umspülten, gingen bei den meisten von uns Tränen auf Reisen. Der kleine Prinz des Hauses quietschte „Nonono“ angesichts unserer emotionalen Inkontinenz, beruhigte sich aber wieder, denn seine Mama erklärte ihm, dass es auch gute Tränen gibt. Es war eine Woche, in der ich viel gelernt hatte: Fest gefahrene Meinungen über Menschen, die ich kaum kannte, auf den Müll zu kippen, denn sie betonieren einem nur das Herz zu. Entschleunigung zu üben. Das Konzept der Großfamilie zu schätzen. Denn jede Generation hatte in unserer Villa Kunterbunt ihre Aufgabe zugeteilt bekommen. Die Teenager schleppten die Kleinen herum; der Mittelbau erlegte Käse, Wein, Gemüse und Fische in der freien Wildbahn und bereitete sie bei Carla Brunis Schmerzensballaden zu; die jugendlichen Alten griffen bei Konflikten zwischen Fortpflänzen und ihren Bezugspersönchen als weise Mediatorinnen ein. Es wurde eine Woche, die man sich in Flaschen ziehen sollte. Und ein Manifest für Toleranz, die gute, alte „Facetime“-Kommunikation, emotionale Wärme, die totale Stressfreiheit, Kochen im Pulk und gemeinsam zelebrierte Mahlzeiten. Nach dem Aufschlagen in der Wiener Realität positionierte ich die getrockneten Lavendel-Sträuße in meiner Küche und beschloss, dass mein Sein-Konzept einer ideologischen Überdosis Provence bedurfte. Und zwar ohne jegliche Verzögerung. Denn das Leben ist viel zu kurz, um ständig in Eile zu sein. Und dabei schlecht zu essen.
Polly Adler spendet in „Adieu Fortpflanz“ Trost und Ratlosigkeit von der Erziehungsfront und erzählt, warum man sein Kind zwar immer liebt, aber manchmal dennoch nicht leiden kann.
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