Sexilanten

Asketisch zu leben, ist das letzte Tabu in einer erotomanischen Gesellschaft

Die weltbekannte Künstlerin, deren ungemachtes Bett unlängst um fast vier Millionen Euro bei Christie’s versteigert worden war, sagte am Telefon völlig ohne Bedauern: „Ich hatte schon seit Jahren keinen Sex mehr.“ Sie war in meinem Alter und sah auf allen Fotos trotzdem noch fantastisch aus: Wilde Mähne, trotziger Mund, ein von sicherlich einer Armada „personal trainers“ getrimmter Körper, alles in allem ein steiler Feger. Kohle, Macht und Glamour besaß sie obendrein. Männer mit diesem Status machten in ihren Achtzigern noch mit Mittzwanzigerinnen rum. „Sind Sie nicht zu jung für solche Abschiede?“ – „Ich will nun mal keinen Sex mehr ohne Liebe.“ Eine starke Ansage. Und romantisch. Denn mehr Menschen als man glaubt, krachen doch mit denen in die Federn, die sie nicht lieben, und lieben die, mit denen sie nicht (mehr) zur Sache gehen. „Eine wichtige Voraussetzung, auch ohne Sex glücklich leben zu können“, stellte eine Psychoanalytikerin einmal fest, „ist die Fähigkeit, die Energie natürlicher Triebe in sinnstiftende Tätigkeiten überführen zu können.“ Das erklärt vielleicht die Hausse von Tangokursen, Ausdruckstöpfern und Gartengestaltung. In einer Gesellschaft, in der sich ansonsten biedere Hausfrauen im Grey-Fieber leicht geschürzt schon gern einmal den Hintern versohlen lassen, auf Shopping-Kaffeekränzchen Dildos in den aktuellen Frühlingsfarben gustiert werden und einem diese Pseudoerotik ständig um die Ohren geblasen wird, ist Abstinenz schon fast wieder frivol. Und das letzte Tabu. Neu ist sie nicht. Als der Schriftsteller Erich Maria Remarque einem der größten Sexsymbole des 20. Jahrhunderts nach einer durchflirteten Nacht am Lido von Venedig gestand, dass er impotent sei, flötete Marlene Dietrich nur: „Ach, wie schön!“

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