Fleischmarkt 2.0
An sich glaubt man ja, dass die Schauspielerin Diane Kruger bereits in einer frisch gestärkten weißen Hemdbluse auf die Welt gekommen ist. In ihrer properen Blondheit wirkt die Frau wie eine Grace Kelly für Reihenhausbewohner, in deren Gedankenwelten wenig Platz für Geheimnisse ist. Erotik fleckenfrei. Als ich die Kruger unlängst nachts als abgeklärte Lederjacken-Kommissarin in der TV-Serie „The Bridge“ an einer Bartheke stehen sah, wurde sie von einem Typen mit der semioriginellen Frage „Wollen Sie was trinken?“ angebaggert. Sie schüttelte den Kopf. Der Mann wollte gerade von dannen trotten, als sie ihn scharf ansah und dann ganz un-Diane-Krugerisch sagte: „Hey, ich will nur nichts trinken. Aber wollen Sie mit mir schlafen?“ Wahrscheinlich fanden die Drehbuchautoren, dass diese Dialogsequenz einem feministischen Befreiungsmanifest gleichkommt. Hey, dachten sie sich wahrscheinlich, das ist gelebte Gleichberechtigung. Endlich dürfen sich Frauen so schlecht benehmen wie Männer, die in dieser Disziplin ein paar Jahrtausende Übungsvorsprung haben. „Diese erbärmliche, mit Blumensträußen und Theaterbesuchen vermischte Komödie nennt sich seiner Braut den Hof machen“, stöhnte schon der französische Philosoph Jean de la Bruyère im 17. Jahrhundert über den Wareneinsatz, den es braucht, um sich eine Frau „klar zu machen“. Die neueste Dating-App, die weltweit 600 Millionen benutzen, heißt „Tinder“. Dort gibt es zwei Möglichkeiten der sozialen Interaktion, wenn ein gegengeschlechtliches Bild aufpoppt: „Nein“ oder „Ja“. Fleischmarkt 2.0 brutal. Ich werde mir den Luxus erlauben, altmodisch zu sein. Erbärmliche Theater-mit-Blumen-Komödien sind meins. Das Leben ist doch sowieso schon real genug.
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