Panikattacken

Im Café werde ich manchmal zum Audiovoyeur. Am Tisch neben mir fand eine erste Beschnupperung mit Abschlussorientierung statt. „Und, was machst du so im Leben?“, fragte die propere Pagenkopf-Blondine, die sich ihr Internet-Date wahrscheinlich anders ausgemalt hatte. „Nun ja“, sagte der Mann mit dem kleinen Kopf und den Schattentälern unter den Augen, „es ist einiges los bei mir. Ich hatte gestern meine erste Panikattacke.“ Sie bemühte sich zur Anteilnahme, in dem sie ihren Kopf wie ein Auto-Wackeldackel hob und senkte: „Interessant. Und wie war’s?“ – „Bewusstseinserweiternd. Die U-Bahn fuhr direkt in meinen Schädel. Schweißausbrüche, Herzflattern. Ich bin wie ein Pfitischipfeil aus der Station gerast.“- „Wahnsinn! Ich bin bloß ein bisschen depressiv.“ – „Mit manischen Phasen?“ – „Nein, leider kein bipolares Modell. Einfach stinknormal depressiv. Manchmal verlasse ich über Tage das Haus nicht.“ Jetzt nahm er ihre Hand: „Na ja, das hat auch Vorteile. So kommt das Leben wesentlich günstiger.“ Sie senkte errötend den Blick. Ich dachte an eine Party, auf der mir kürzlich ein Freund eine Frau mit den Worten „Das ist Sonja. Wir haben uns in der Burnout-Klinik kennengelernt und sofort ganz toll connected“ vorgestellt hatte. Nun ja – jahrelang haben wir dagegen angeschrieben, dass psychische Störungen tabuisiert werden. Und jetzt sind sie zu einem sozialen Gleitmittel geworden. Etwas irritierend, dieser plötzliche Knacks-Exhibitionismus, aber auch irgendwie herzerfrischend. „Komm’,“ flüsterte sie ihm jetzt zu, „ich fühle mich endlich wieder impulsgetrieben. Zum Teufel mit meiner posttraumatischen Verbitterungsstörung, fahren wir zu mir.“ Der kleine Kopf grinste: „Aber bitte im Taxi. Sonst kann ich paniktechnisch für nichts garantieren.“ Romantik hat eben viele Facetten.

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