Das Bellini-Missverständnis
Unlängst im Leopold Museum war das Leben besser als Kino. Als sich meine Freundin F vor Schieles „Wally“ zu kontemplieren suchte, klopfte ihr ein durchaus ansehnlicher Mann auf die Schulter, um Mitteilung zu machen, dass das Wasserblau ihrer Augen Wally-Niveau habe. Er war Franzose und trotz seines unglaublichen Wissens über Kunst sehr heterosexuell. Es kam zu Bildungsbürger-Petting in Form von Museumsbesuchen und sehr eleganten Mahlzeiten. Wochen später lud er sie nach Venedig ein. „Kirchen und Kunst, ja“, ließ ihn F wissen, „aber auch zwei Hotelzimmer und keine Erwartungen.“ Der harsche Umgangston gefiel Jean-Luc, an den sich Frauen sonst berufsbedingt wie Kletten krallten. Er war nämlich Vollzeit-Erbe. Er schleppte meine Freundin acht Stunden durch alle Gemäldesammlungen, die die Lagunenperle in petto hatte. Irgendwann winselte sie erschöpft: „Jetzt ist es aber wirklich Zeit für einen Bellini!“ „Bien sur!“, flötete er und scheuchte sie durch finsteres Gassenwerk, bis sie an einen Ort kamen, der viel mehr wie eine Kirche als „Harry’s Bar“ aussah. „Attends, du kriegst deinen Bellini“, zog er die enttäuschte F ins Gotteshaus. Andächtig hielt er schließlich vor einem Gemälde mit Madonna, die das Jesulein auf einem blauen Tuch hielt. „Voilà Giovanni Bellini!“, stellte er so stolz fest, als ob er das Blau persönlich angerührt hätte. F hatte natürlich mehr an Weinbergpfirsiche im Proseccobad nach der Cipriani-Methode gedacht als an den Renaissance-Pinselgott. Über Minuten tanzten jetzt Lachsalven durch die Chiesa di San Zaccaria, die auch der ansonsten recht lethargisch schauenden Madonna Feuer in den Blick brachten. Schließlich war die Mutter Gottes gerade Zeuge von einem der schönsten Missverständnisse geworden, die es je zwischen Mann und Frau gegeben hat.
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