High Heels in der Ecke

Die Schönheit des Glamour-Gärtners.

Meine langlebigste Freundschaft ist 37 Jahre alt. Sie gehört M, die in Spanien lebt und jetzt vor ihrer Hochzeit mit einem britischen Hippie-Bohèmien von russisch-aristokratischem Background steht. Sie strahlt vor Glück. Der Zukünftige hat einen Riesenkoffer mit den herrlichsten Geschichten im Handgepäck. Seine Mutter war mit Coco Chanel, beide Damen nur mit leichten Leopardenfellen bekleidet, in St. Moritz Schlitten gefahren; in London hatte Oskar Kokoschka bei der Familie nach der Emigration gewohnt. Auf dem Landsitz pflegte ein Gärtner namens Richard Dienst zu tun. Ein ganzer Kerl mit viel Brustwolle und kräftigen Händen. Irgendwann kam der Familientross früher als angekündigt angereist. Und da stand Richard dick geschminkt, mit einer blonden Monroe-Perücke, in einem paillettenbestickten Abendkleid und meterhohen Stöckelschuhen beim Heckentrimmen und erschrak zu Tode. Schließlich war er verheiratet, hatte vier Söhne und lebte in der englischen Provinz. Er rechnete damit, sofort gefeuert zu werden. Da seine Dienstgeber aber selbst exzentrische Menschen waren und liberal wie weltoffen obendrein, schenkten sie ihm ab diesem Moment jedes Jahr zu Weihnachten eine herrliche Queensize-Robe und er durfte fortan, wann immer er wollte, im Diva-Look harken, stechen und schaufeln. Ich dachte an Karl Rossmann in Kafkas „Amerika“, der im tödlichen Fieberwahn vom „Naturtheater von Oklahoma“ träumt – einem Ort, wo jeder willkommen und frei ist und seine geheimsten Sehnsüchte leben kann. Und freute mich für Richard, der zwar nur sechzig Jahre alt werden sollte, aber bei seiner aristokratischen Herrschaft sein ganz persönliches Naturtheater von Oklahoma gefunden hatte und ausleben durfte. Suchen Sie sich Ihres! Jetzt!

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