Nachhaltig freudlos
Neulich im Supermarkt. Ein Pärchen, jung, verstrubbelt, und mit tief ins Gesicht gezogenen Wollmützchen getarnt, steht vor dem Kühlregal. Er: „Bist du wahnsinnig! Das ist Käse aus Kuhmilch. Welchen Teil von Ich-habe-eine-Lactose-Intoleranz verstehst du eigentlich genau nicht?“ Sie: „Immer denkst du nur an dich. Soll ich dir einmal vorrechnen, wie viele Foodmiles diese Ananas schon hinter sich gebracht hat? Umweltschmutzfink ...“ Jetzt gerät das männliche Wollmützchen in Rage und fischt ein Tässchen mit blassen Paradeisern aus dem Korb: „Hässliche Glashaus-Produkte im widernatürlichen Treibgasambiente von manchesterliberalen Großgrünkapitalisten hochgezogen. Bravo, gratuliere!“ Ich musste an einen Cartoon im „New Yorker“ denken, in dem Hänsel und Gretel vor dem Lebkuchenhäuschen verharren und sie ihm die Frage stellt: „Hänsel, do you think this is glutenfree?“ Und stellte mir beim Protestverzehr einer Packung Gummibärchen, deren Zutatenverzeichnis wie eine Rezeptur für die Herstellung von chemischen Waffen anmutete, die Frage, wann gesund leben eigentlich zu so einer Art Kampfsport ausgeartet ist. Ok, natürlich isst man gerne Hühnchen, die Eltern, Freunde und auch schon einmal die Sonne angeblinzelt hatten, aber diese militante Verbohrtheit macht doch erst wirklich nachhaltig freudlos. „Ich lasse inzwischen jeden meiner Gäste im Vorfeld per Mail einen Unverträglichkeitsfragebogen ausfüllen!“, seufzte meine Freundin F, vormals eine quietschfidele Dinnerpartywerferin, „aber in Wahrheit könnt’ ich sie alle erschlagen, diese Low-carb-Hysteriker, Blattsalateinspeichler und Aquakulturparanoiker. Spaßbremsen, allesamt, hedonismusbefreite!“ Eines ist sicher: In der Liebe, beim Essen und in der Kunst ist Verbissenheit immer ungesund.
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