Das Rehlein kommt
Mein Rehlein kommt. Wie schön!“ In den Augen meines Anstalts-Kollegen P gehen ein Dutzend Sonnen auf. Wie jeden Morgen gegen halb neun tänzelt seine bezaubernde Gattin in unsere WG an der Alten Donau. Sie schwingt ihr Menage-Reindl am Henkel, als wäre es die heißeste It-Bag von Balenciaga. Wie jeden Morgen kommt es zu einer Übergabe von Hausmannskost, die das Rehlein in aller Früh gezaubert hat. Dann wird geschnäbelt und gezwitschert, als ob ihr P erst am Vorabend einen Antrag gemacht hätte. „Mei, so lieb von dir Schatzi!“ – „Aber gerne, mein Bärli.“ Kein Mollton trübt je den Dialog. Dabei haben die zwei Turteltäubchen schon 43 Jahre Ehe auf dem Tachometer. Der Austausch von Nahrung und Zärtlichkeiten nimmt gestoppte drei Minuten 40 in Anspruch. Eine echte Sprint-Veranstaltung. Dann sprengt das Rehlein wieder weg, denn es muss dringend ins „Gänsehäufel“, wo es tagtäglich mit seinen Kumpelinnen Kartenwettbewerbe auszutragen hat. In unserer Anstalt mag es nicht übernachten, zu unbequem, da hauptwohnsitzt es lieber. Über gute vier Monate führt dieses Paar also eine 3-Minuten-40-Ehe. Jeder lässt dem anderen Luft für eigenes Leben. Das dürfte auch die Zauberformel für die Frische-Garantie sein. Durch unsere Hüttenzeile weht der Duft von Dillfisolen, wie sie sonst nur meine Oma gemacht hat. „Wer wird uns einmal so ein Menage-Reindl bringen“, fragte meine Freundin F fast melancholisch, „wenn wir Urlaub für immer haben?“ – „Chillax“, antwortete ich ihr, „die Frage erübrigt sich. In unserer Alterskategorie wird es Urlaub für immer nicht mehr spielen. Das ist schon rein rechnerisch volkswirtschaftlich nicht möglich.“ Sie schenkte mir einen Blick, der signalisierte, dass meine Trosttalente noch Entfaltungsspielraum hätten.
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