Die Weiber von Paris
Sie tragen extravagant gemusterte Turbane. Frivole Ohrringe. Ihre Lippen leuchten boudoirrot. Im Überschlagen ihrer Beine sind sie Weltmeisterinnen. Ihre Blicke erzählen von Leben jenseits der Zimmertemperatur, ihr Parfüm davon, dass sie nie auch nur im Entferntesten daran denken werden, ihre Weiblichkeit wie einen lästigen Hund aus ihrem Dasein zu verscheuchen. Egal ob sie 85 oder 107 Jahre auf dem Tachometer haben. Den Jugendwahn der Amerikanerinnen finden sie so vulgär wie Kaffee im Gehen aus einem Pappbecher zu trinken. Möglicherweise speicheln sie in ihren eigenen vier Wänden Blattsalat an Dialogen von Magerjoghurt ein, aber wenn sie im Restaurant sitzen, dann zelebrieren sie die Nahrungsaufnahme, wie es sich für eine Romanszene von Balzac schicken würde. Im Marais sehe ich eine Dame, die ihren Rollator mit Grandezza und in Stöckelschuhen vor sich hin schiebt. Von den ausgereiften Frauen von Paris kann man viel lernen, was Würde und Souveränität angeht. Das Schöne an ihnen ist, so erzählte mir einmal Michael Heltau, dass sie morgens vor dem Spiegel ausufernd zwirbeln, pinseln und sich schmücken, aber ihr Stil-Arrangement immer unangestrengt und wie aus der Hüfte geschossen wirkt. Während ich mit meinen besten Freundinnen ihnen in den Cafés und Brasserien beim Leben zusehe, muss ich an Colette denken, jene Schreibamazone, die fast 80 geworden war und über Feminismus nie nachgedacht, sondern ihn einfach gelebt hat. Gegen Ende ihrer Straße notierte sie in ihrem Tagebuch: „Was für ein herrliches Leben ich doch hatte! Ich wünschte nur, ich hätte es früher bemerkt.“ Diesen Satz schrieb ich mir auf Büttenpapier und legte es mir unter den Kopfpolster. Das Leben ist doch mehr Paris als Amstetten. Man muss es nur rechtzeitig schnallen.
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