Rette sich, wer kann
Der launigste Geburtstagsredner von ganz Wien eröffnete seine Ansprache mit der Frage: „Hat's früher eigentlich mehr Arschlöcher gegeben als heute?“ Der Jubilar war nämlich ein ausgewiesenes Nicht-Arschloch, ein Philanthrop erster Kategorie, der aber um seine Grundgüte keinen Theaterdonner veranstaltete. Lange nach Mitternacht fand ich eine Antwort: Nein, das Kontingent an Arschlöchern war über die Jahrhunderte konstant geblieben, nur heute haben sie soviel mehr Kommunikationskanäle zur Verfügung, um sich bemerkbar zu machen. Facebook und Twitter sind ja eine Art Bassena für Narzissmus und Aggression. Narzissten leiden ja an Gefühlsarmut und können sich so durch künstliche Erregung über eigentlich eh alles wieder spüren. Deswegen läuft man durch langes Herumlungern auf diesen Kommunikationswiesen Gefahr, mehr Arschlöcher zu treffen als eigentlich notwendig ist. Und auch deswegen verdonnere ich mich an den heiligen Tagen zum Kommunikationsdetox. Ich möchte auch nicht Zeit zerschießen, indem ich mir auf YouTube Filmchen über chinesische Babies, die mit einem Koi-Karpfen schmusen, ansehe. Oder mir stundenlang Gedanken über die Authentizität des griechischen Stinkefingers und des Akkordeon-Bauchs von Cindy Crawford mache. Und entdecke die Old-School-Freuden des analogen Lebens: Das haptische Vergnügen, abgegriffene Bücher in die Hand zu nehmen, in denen kunstvoll gedrechselte Sätze über ganze Seiten gehen. Ja, Proust, Balzac und Faulkner pfiffen sich da nichts. Ein Schmorgericht in den Ofen zu schieben, das fünf Stunden vor sich hin köcheln muss. Auf die Alte Donau starren. Vor den Schieles im Leopold-Museum sitzen. Nur vor mich hinstarren. Ohne nichts. Ob ich alt werde? – Niemals! Nur eben qualitätsökonomischer.
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