Post aus Kaisermühlen
Hundstage in Kaisermühlen. Mein Nachbar, der Fritz, seufzt morgens nach dem dritten Telefonat im Freiluft-Büro: „Wenn des so weitergeht, reiß ich gleich a Burn-out auf.“ Hinter dem Tor der „Anstalt“, wie wir unsere Kabanensiedlung an der Alten Donau nennen, nimmt das Kommunen-Leben seinen friedlichen Verlauf. Schreckensnachrichten sind höchstens solche, dass der Heinzi sich beim Schnitzelbrutzeln den Bauch verbrannt hat, Pepi, die freche Kneckente, abgängig ist und im Eissalon die Sorte Walderdbeere ausgegangen ist. Nur da draußen vor der Tür tobt allmorgendlich der Krieg. Da schlagen die Gänsehäufel-Besucher die Mutter aller Schlachten um einen legalen Parkplatz. „Hearst, g’schissener Mödlinger, bist du wo ang’rennt, der Parkinger g’hört mir!“, wettert eine Grellblondierte in einem extrem engen Kleid, das für den Körper gemacht ist, den sie sich wünscht, aber leider nicht für den, den sie hat. „Willst an Wickel, du Kaisermühlner Trampel“, kommt es aus dem Audi zurück. Regional-Rassismus als neue Kampfsportart. „Da drüben noch Platz ist“, deuten zwei türkische Knaben auf eine Lücke ein paar Reihen weiter. „Mischt’s euch net ein “, plärrt die Grellblonde „ geht’s ham zu eure Verschleierten, Bloßhaperte!“ Mir wird jetzt bereits ziemlich übel, wenn ich an die Wahlen im Herbst denke. Man kann sich ausrechnen, wem solche goldenen Wiener Herzerln ihre Stimme schenken werden. Meine Freundin A, ungarisch-jüdischer Abstammung und ebenfalls in Wien 22 beheimatet, erzählte mir, dass ihre langjährige Nachbarin ihr unlängst ein beklemmendes Kompliment gemacht hat: „Eines muss man dir lassen – für eine Jüdin bist irsinnig liab.“ Und ich kann Thomas Bernhard immer besser verstehen, der keine Stadt so sehr liebte wie dieses Wien, aber keine auch so sehr hasste.
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