Maria Happel über Familie
freizeit: Sie kommen mit nassen Haaren zum Interview – ein Zugeständnis, um in einem erfüllten Leben alles unterzubringen?
Maria Happel: Genauso ist es. Ich muss immer mehrere Dinge gleichzeitig tun. Ich habe das aber auch schon als Kind gemacht und neben meinen Klavierübungen Geschichtsbücher auswendig gelernt. Ich werde oft gefragt, warum ich Familie und Beruf so gut unter einen Hut bringen kann. Ich glaube, dass das Klavier- und später auch das Orgelspielen ihren Beitrag dazu geleistet haben.
Sie meinen, weil man lernt, vieles gleichzeitig zu koordinieren?
Genau, die linke Hand muss eine andere Melodie als die rechte spielen, dazu kommen noch die Pedale. Bei der Orgel gibt es dann noch verschiedene Manuale und das Registrieren. Da lernt man, alles durcheinander zu mischen, und das hilft mir bis heute im Leben.
Geschichtsbücher müssen Sie nicht mehr auswendig lernen. Was machen Sie heute nebenbei, wenn Sie eine Rolle einstudieren? Den Haushalt?
Jetzt haben Sie mich erwischt. Den Haushalt klammern wir mal aus. Das ist meine Schwachstelle. Bügeln und gleichzeitig singen tue ich jedenfalls nicht.
Ich habe gelesen, dass sie oft mehrere Figuren gleichzeitig im Kopf haben. Wie merken Sie sich so viel Text?
Manche Leute behaupten, dass ich ein fotografisches Gedächtnis habe. Ich glaube aber, dass es das nicht alleine ist. Ich weiß zwar, wo genau im Text ein Wort steht, aber es verknüpft sich auch mit anderen Dingen. Ich verbinde mit den Wörtern eine bestimmte Melodie oder ein bestimmtes Bild. Wenn mein Mann etwas auswendig lernt, verwendet er Synonyme. Nehmen wir den Satz „Ich wüsste gerne, welches Geheimnis in ihm waltet“. Dirk würde statt „waltet“ das Wort „schlummert“ verwenden. Ich hingegen werde immer „waltet“ sagen.
Wann sind Sie sich dieser Fähigkeiten bewusst geworden?
Ich habe das sehr spät bemerkt, weil meine Eltern gar nicht darauf geachtet haben. Das war auch gut so. Wäre ich schon sehr früh geschult und gefördert worden, hätte ich bestimmt nicht so eine unbeschwerte Kindheit gehabt. Insofern habe ich mir selber irgendwann zusammengereimt, dass manche Dinge an mir halt ein bisschen spezieller sind.
Merken Sie sich Texte eigentlich lange?
Die sind eher im Kurzzeitgedächtnis gespeichert. Sobald ich sie löschen darf, sind sie weg. Ich habe neulich versucht, aus jedem Stück, in dem ich gespielt habe, einen Satz zu rezitieren. Witzigerweise fallen mir vor allem Sätze aus den Stücken meiner Anfangszeit ein. Wahrscheinlich hat das was mit dem Alter zu tun.
Es könnte auch damit zusammenhängen, dass die Anfangszeit in einem neuen Beruf immer prägend ist und man sich deshalb besser erinnert.
Gut möglich. Bei früheren Stücken erinnere ich mich sogar noch an die Wortwahl der Regisseure. Vielleicht auch deshalb, weil ich damals Tagebuch geführt und so bestimmte Erlebnisse wiederholt habe.
Sie haben nicht nur Tagebuch geschrieben. In Ihrem Buch „Das Schnitzel ist umbesetzt“ sind Sie auf einigen Szenenbildern mit Glatze zu sehen. Sind Sie so uneitel, dass Ihnen das egal war?
Das war 2007 der Caliban in „Der Sturm“ im Akademietheater. Ich habe zu dem Zeitpunkt auch noch an der Burg den Puck mit Hasenscharte und eine unansehnliche Burgunder-Prinzessin am Berliner Ensemble gespielt. Da war ich sehr froh, als mir die damalige Intendantin der „Vereinigten Bühnen Wien“, Kathi Zechner, die Rolle der Maria Theresia in „Die Habsburgischen“ angeboten hat. Es muss einen Ausgleich geben.
Sie kommen aus einem kleinen Dorf im Spessart. Hat das Ihre Arbeit als Schauspielerin in irgendeiner Form beeinflusst?
Absolut. Dieses Dorf, aus dem ich komme, ist der Mikrokosmos für jede Rolle dieser Welt. Es gibt alles – vom Narren, über den König bis hin zum Bettler. Ich konnte die Menschen studieren und dabei viel lernen.
Und die Familie?
Ich denke mit großer Zärtlichkeit an meine Kindheit zurück. Ich hatte sehr liebevolle Eltern und vier Geschwister. Als ich nach Wien kam, war natürlich keine Familie mehr da. Die Mutter meines Mannes, den ich später am Burgtheater kennengelernt habe, ist zwar Wienerin, lebt aber seit vielen Jahren in Berlin. Wir mussten uns unsere eigene Familie bauen und haben das mit Hilfe von Kindermädchen, Ersatzgroßeltern und auch dem Theater getan.
Aber ist denn nicht das Theaterleben generell alles andere als familienfreundlich? Stress, Emotionen – da kann es doch immer zu Turbulenzen kommen, die auch das Privatleben beeinflussen.
Turbulenzen gibt es auch in jeder Familie. Irgendwann beruhigt sich das wieder. Derzeit führe ich bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf Regie und spiele auch im „Käthchen von Heilbronn“. Da sind neben meinem Mann auch unsere beiden Töchter dabei. Sie haben kleine Rollen und sind so in der Theaterfamilie gut aufgehoben. Wenn man auf Familie nicht verzichten will, muss man Möglichkeiten finden, sie mit dem Beruf zu verbinden.
Ihre Eltern hatten einen Friseursalon. Wie hat die Verbindung dort geklappt?
Bei uns zu Hause im Friseurgeschäft habe ich schon mit sieben Jahren die Lockenwickler weiter gereicht. Das Wichtigste war, dass ich dabei sein durfte. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Ich habe auch eine Zeitlang im Varieté gearbeitet. Da konnte man die Kinder auch mitnehmen. Artisten machen das so.
Konnten Sie als Schauspielerin etwas von den Artisten lernen?
Sehr viel sogar. Zum Beispiel, dass ihre Beziehungen ganz anders funktionieren und sie in der Regel zusammenbleiben. Ich erinnere mich daran, dass der Jongleur selber unter dem Schrägseil stand, über das seine Frau balanciert ist. Es gab kein Netz und er musste sie im Notfall auffangen. Umgekehrt reichte die Frau ihrem Mann später die Keulen bei seiner Nummer. Das fördert die Symbiose und Harmonie, was dazu führt, dass diese Beziehungen häufiger halten als andere.
Offenbar konnten Sie das in Ihre Ehe übertragen. Sie sind seit 1997 verheiratet. Sehr lange für eine Künstlerehe.
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es für eine funktionierende Ehe ein Rezept gibt. Vielleicht haben wir einfach nur irrsinniges Glück gehabt, einander zu begegnen.
Wie beurteilen Sie als glücklicher Familienmensch, dass es so viele Trennungen und Scheidungen gibt?
Ich glaube, dass sich die Großfamilie nicht unterkriegen lässt und sich immer wieder durchsetzt. Sie trägt nur ein neues Gewand und nennt sich heute Patchwork.
In den meisten Fällen funktioniert das allerdings nicht.
Ich glaube, schon, dass es funktionierende Patchwork-Familien gibt, wenngleich das bestimmt schwierig ist. Bei einer Trennung gibt es viele Verletzungen, die erst heilen müssen. Wenn das passiert ist, kann so ein Verband eine Bereicherung sein.
Lassen Sie uns noch einmal auf das Theater zurückkommen. Welches Stück würden Sie Menschen empfehlen, die sich trotz der hohen Scheidungsraten zu einer Ehe entschließen?
„Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza (Anm.: Ein Beziehungsstück, bei dem zwei Ehepaare im Laufe einer Auseinandersetzung ihr wahres Gesicht offenbaren).
Und was schaut sich jemand an, der Liebeskummer hat?
„Romeo und Julia“.
Da gibt es aber auch kein Happy End. Wäre es nicht besser, jemanden, der emotional angeschlagen ist, in eine Komödie zu schicken?
Vielleicht. Es gibt bestimmt Menschen, denen es nach so einem Stück noch schlechter geht. Aber es gibt auch die anderen, die draufkommen, dass es einem immer schlechter gehen kann. Dann sieht man, dass die eigene Situation gar nicht so aussichtslos ist.
Maria Happel, 51, wurde im Spessart, einer Mittelgebirgslandschaft in Deutschland geboren. Ihre Karriere startete sie in Bremen, wo die ausgebildete Mezzosopranistin an mehreren Spielstätten als Édith Piaf zu sehen war. 1991 holte Claus Peymann Happel ans Wiener Burgtheater, wo sie auch ihren Mann kennenlernte, den Schauspieler Dirk Nocker. Nach eigenen Angaben bevorzugt sie Rollen ohne Perücke, „weil man mit so aufgesetzt wirkt“. Im Fernsehen ist Happel in der Serie „SOKO Donau“ regelmäßig als Gerichtsmedizinerin zu sehen. Happel wurde schon mehrmals als mögliche Direktorin für große Wiener Theater gehandelt, darunter das Volks- und das Burgtheater. Derzeit ist sie bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf als Regisseurin und Schauspielerin eingesetzt.
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