Kein leichtes Mädchen

Kein leichtes Mädchen
Brigitte Hobmeier geht viele Umwege, bevor sie eine Figur auf die Bühne stellt. Ab 20. Juli ist sie Jedermanns neue Buhlschaft.
Von Ro Raftl

Verblüffend veränderlich. So viele Gesichter in einem Gesicht binnen zwei Stunden. Ein junges Mädel mit Strohhut auf langem blassroten Schlangenhaar kommt schnell, schmal, müde von einem langen Probentag auf die Salzburger Festspielterrasse. Eine Diva geht, szenefüllend groß, die Wangen weich gerundet, den Herzkirschenmund nach vorne gestülpt, die Nase aristokratisch gestrafft wie eine Herzogin zu Pferd. Da denkt man Straußenfedern zu dem kleinen Hut, den Brigitte Hobmeier beim Radfahren trägt. Sie erfährt sich Salzburg auf Pedalen.Wie groß sie ist? „1,65. I hab net das G’fühl, dass ich in meinem Privatleben groß sein muss. Schau halt. Da werden meine Augen größer.“

Sagt auch, sie weigere sich, neue Bekanntschaften zu googeln, prominente Kollegen etwa. „Na! I möcht wissen, was unter dir drunter ist, net, was um dich drum ist. Mich fasziniert, was passiert, wenn die Berechnung aussetzt.“ Und: „Möcht nicht mich auf die Bühne hinstellen, möchte eine Figur auf die Bühne kriegen.“ Leidenschaftlich, selbstbewusst und demütig in einem sagt sie das, ohne falsche Tiefstapelei, die nach Komplimenten fischt. Schön. Keine Schoko-Präsentation in glänzender Plastikfolie, um profimäßig das 99. Buhlschaftsinterview abzuspulen.Brigitte Hobmeier füllt das Gespräch mit warmem Lächeln, unsentimentaler Nüchternheit, nachdenklichem Gewisper, bayerischem Dialekt, sattem lauten Lachen. Füllt die Spanne zwischen „kindlichem Fellini-Zauber“ und „Sex-Appeal einer Domina“, die ihr Christian Stückl, der Jedermann-Regisseur der letzten elf Jahre, schon bescheinigt hatte, als die Newcomerin an seinem Münchner Volkstheater Publikum und Kritiker vor Verzückung aus den Sesseln hob: Als Viola in Shakespeares „Was ihr wollt“, als „Geierwally“, als „Lulu“, als Urweib, verträumt und bodenständig, kühl und kokett, lasziv und kratzbürstig.

Seither hat sie viele Preise bekommen, und zu Hymnen über ihre Kunst und Anziehungskraft inspiriert: „Die Venus von Ismaning“ titelte DER SPIEGEL, und der Berliner Schauspieler Thomas Arnold schwärmte: „Eine Kollegin , die den Glanz der früheren Zeiten und den Heiligenschein ins Theater zurückgebracht hat. Sternenstaub und Handwerk sind hier wieder vereint.“

Ein Paar Sätze nur hat sie am Salzburger Domplatz zu sagen, mehr gibt Hugo von Hofmannstahl der Buhlschaft nicht, doch Brigitte Hobmeier klaubt jedes Futzerl auf, das ihr die Frau lebendig macht. Sieht plötzlich „viele Buhlschaften auf der Straße: Des is a gscheits Weiberleut, das g’fallt mir.“ Ja, die Augen schauen anders, „wie wenn man schwanger ist“. Will sich aber nix Falsches ausdenken, ganz „altmodisch“ fragen: „Was gibt der Text her? Was sagt er über den Jedermann und die Buhlschaft?“ Ein leichtes Mädel? „Nein, ich glaube, dass sie ihn liebt. Sagt doch: Mein Mann. Dein bin ich. Schau auf mich. Halt mich ... das sind ja irrsinnige Liebesgeständnisse. Er ist nun mal ein reicher Mann. Und es gibt so viele Arten von Erotik – der Jugend, der Schönheit, des Humors (Humor finde ich unglaublich erotisch) und die Erotik der Macht und des Geldes. Das will ich nicht in Frage stellen.“

Hobmeier – sie war Leistungsschwimmerin – vibriert schwungvoll, strafft den Rücken, schmiegt sich an die Sessellehne: „Der ist es! Mit dem will ich jetzt ein Fest feiern. Dort passiert etwas mit ihm ... Aber ich bin seine Freundin, die ihm das Fest aufstellt. Fröhlich, lustvoll, rauschhaft: Das wird der beste Abend, den wir haben. Du bist eine erotische Attraktion! Du bist mein Buhle!“ Das muss Energie haben, ungeheuren Spaß machen, damit die Fallhöhe gegeben ist, von der er runterstürzen kann.“An Jedermanns Reichtum kiefelt sie noch. Denn ihr fällt’s schwer, sich nur auf ein Bier einladen zu lassen. „Mein Mann sagt dann, sei nicht so, du ladst die Leute doch auch gern ein. Stimmt. Wahnsinnig gern! Denk aber: Mein Zeugl kann ich selber zahlen. Bin gern auf mich selbst gestellt.“ Überlegt: In Gruppen sei sie gerne, wär nur nicht das Gefühl, „sich um des lieben Friedens willen der umgreifenden Meinung beistellen zu müssen.

In der Zweisamkeit kann man verschiedener Meinung sein und haut sich trotzdem nicht die Köpfe ein.“ Resümiert: „Wenn ich ein Fest mach, bin ich immer außer mir: Hoffentlich geht’s jedem gut!“Besser, allein zu sein, wenn sie um eine Rolle kreist, wenn sie mit anderen Augen schaut: „Chirurgisch scharf, weil ich nicht über was drüberhupfen will und mir was leicht machen. Hüpfen, fliegen, tanzen kann ich nachher ... Für mich hat Leichtigkeit mit Aufgeben und Kompromiss zu tun. Aber in meinem Weg ist das Schwere bisher immer das Richtigere gewesen. Arbeit hat für mich einen schönen Wert. Ist was Tolles. Anstrengend auch, aber ich muss mich einiwühlen. Da kann ganz viel Energie aufgehen, auch viel Verzweiflung, wenn ich nimmer weiß, wo rechts und links ist, was ich spielen soll. Geh viele Wege, um Figuren aufzuspüren, mobilisier alle Sinne“, sagt sie jetzt, und lacht erdhaft: „Ich bin eine Schauspielerin, die am Abend zu ihrer Familie geht.“

Ihr Sohn ist acht, ihr Mann, Mathematiker und Romanschreiber, blieb für die Öffentlichkeit bis dato unsichtbar. Mal sehen, was der Buhlschafts-Sommer bringt. Hobmeier wird ihn mit der Familie im Salzkammergut verbringen, wahrscheinlich am Attersee, wo sie früher immer mit den Eltern war.Stimmt schon, dass sie kämpfen musste, um ins Gymnasium zu gehen, stimmt auch, dass sie in Ismaning bei München unter der Heißmangel ihrer Mutter saß und „von einem Leben da draußen“ träumte. Am heftigsten an Samstagabenden litt, wenn die fußballverrückte Familie das Fangegröle der Sportschau genoss. Ja, und sie hat sich als Teenager mit den Doc Martens Stahlkappenschuhen in der niederbayerischen Dorfkapelle zum Ortgespräch gemacht und verachtungsvoll gedacht: „Wenn die keine anderen Sorgen haben.“

An der Bayerischen Theaterakademie vorgesprochen, ohne den Eltern etwas zu sagen. Wurde eh nicht genommen, erst nach dem Zwischenspiel am Computer in einem Grafikbüro, ein Jahr nach der Matura, an der Folkwang Hochschule Essen. Als eine von sechs unter Hunderten Anwärtern. Die Mutter begriff ihren Traum, der Vater sah sie ins Unglück laufen.Aber das ist vorbei, schon lange, glücklichem Elternstolz gewichen, will nicht mehr umgerührt werden. „Ich hab kein Problem, nach Niederbayern zu fahren, so viele Cousins und Cousinen, arbeit auch gern am Bauernhof, im Holz. Mit der Hand. Sehn mich danach, alle Sinne zu spüren.“ Lacht: „Bin kein geistiger Mensch. Flieg mehr in der Fantasie. A Handfestheit und a Logik müssen aber schon dabei sein.“ Hängt kurz den Festen der Großfamilie nach, um die Gedanken auf das Fest am Domplatz zu zentrieren: „Lauter hochgesellige Leut, Bauern, Bäcker, Metzger, der Vater betreibt ein Geschäft für Heizungsinstallation, die Mutter eine Putzerei, der Urgroßvater galt als der größte Lügner von Ismaning.“ Schmähtandler würden Wiener sagen, doch was für Hobmeier zählt: „Die Türen aufmachen. Heiter, offen, unkompliziert in der Gesellschaft mit dabei sein.“ Wenn auch illusionslos.

Als Studentin hat sie Lebkuchenherzen auf dem Münchner Oktoberfest verkauft, und was wurde ihr auf den Hintern gegrapscht, wie viele Herzerln haben sie ihr von den Stangen gestohlen, alle auf Kommission, ein Verlustgeschäft. Der Alkohol ist leider ein Hund. Ja, sie schaut hin. Trotzt dagegen, im Leben und in ihren Rollen. Als Elisabeth in Horváths Sozialdrama „Glaube Liebe Hoffnung“, ihrer ersten großen Figur an den Münchner Kammerspielen so berührend kämpferisch, dass ihr „Selbstmordversuch in einer Wasserlacke“ als Kürzel für Können unter Theaterfreaks genügt. Sie bekam den Faust-Preis für die Rolle.

Spurensuchern scheint’s fast so, als hätte sich Hobmeier ihr Anderssein im Vorstadtgrau von Ismaning als Achternbuschs „Susn“ vor vier Jahren an den Münchner Kammerspielen aus Leib und Seele gearbeitet – „Herzenswund, unbändig, trauerdunkel“ titelte nachtkritik.de. „Sie hat mich vier Jahre begleitet und gefordert“, sagt Hobmeier. „Keine einzige Vorstellung, bei der ich mich gelangweilt hab, aber jetzt versteh ich vieles anders.“ Sie lernt aus Erfahrungen mit dem Leben.„Wild kann i scho no werden, aber nur, wenn mir wer sei Meinung aufidrucken will, etwas aufoktroyieren. Da stell ich Stacheln auf, pack die Waffen aus und die Adern am Hals schwellen an. Doch dann muss ich über mich lachen: So a Schmarrn. Lass dir nicht alles so nahegehen! Lach über die skurrilsten Katastrophen, die mir passieren. Sind ja auch so lustig. So absurd.“ Philosophiert: „Fantasie ist der Motor, holt die Kraft auf den Boden. Mein Onkel, der Bäcker, kann Brezen blind backen. Ein Lehrer hat einmal gesagt: ,Never be too sure’. Daran muss man arbeiten. Wenn ich reinste Sicherheit spüre, reinste Selbstzufriedenheit, schlaf ich ein. Mich fasziniert der künstlerische Prozess. Falscher Weg? Umkehren. Einen anderen, vielleicht richtigen Weg suchen.

Wo fangt die Gschicht an? Ich möcht Gschichten erzählen.“Logisch, dass die Schauspielerin bayerisch „wuid“ ihre Anklage gegen Hofmannsthal ins Abendblau schmettert: „Der Tod tritt auf und du schreibst kein Wort mehr über die Buhlschaft, du Hund! Lasst sie fallen. Zirrr – die Freundin ist wie weggebeamt Mich irritiert das.“ Sich ein wenig nach dem guten alten „Schrei“ sehnt, der das letzte Jahrzehnt unter Stückls Regie nicht mehr da war. Aber – große Augen, kluge Frau – muss sie wieder lachen: „Aus dem Schrei wurde fast eine eigene Nummer, ein Wettbewerb der Buhlschaften. I denk, wenn ich schrei, muss mir der Schrei entfahren! Hab aber nicht das Gefühl, dass die beiden Regisseure viel Interesse an dem Schrei haben. Die Buhlschaft verstummt, ist wie ausgelöscht“, geht Hobmeier „pedantisch“ auf den Text zurück: „Das ist wohl der Urweg. Jedermann kann ja nix mitnehmen. Man kann auch nicht mitgehen. Herr Gott, kannst mit deinem Mann mitgehen?“ Sich umbringen. „Ja, aber auch dann geht man allein in seinen eigenen Tod. Das Geld sagt’s richtig: ,Mein Ort ist hier’. Diese Einsicht rührt mich an, bringt mich innerlich zum Zittern. Dass der Tod einfach vorbeikommen und einen Menschen stehlen kann. Hat oft vorbeigeschaut in meinem Leben, und da fangt’s an, dass es mich was angeht.

Wir leben nicht mehr 1911, die Kirche steigt uns nimmer auf den Deckel, aber das eigene Leben bleibt das eigene Leben.“ Die 37-Jährige nennt sich „eine nicht aus der Kirche ausgetretene Christin“. Ihre Augen schwimmen hellblau über einem weißen Oberteil, doch irgendwann changieren sie zu Anthrazit, und im Abendrot glänzen sie wie dunkler Honig. Veränderlich wie in Hobmeiers Filmen. Blau-anthrazit als schmal-streng-sachlich-kompetente, zu den Müttern so unfassbar liebevolle „Hebamme“ in dem historischen TV-Hit, der ihr den Grimme-Preis brachte. Honiggolden als saftig sinnliches Bagwhan-Groupie in Markus Rosenmüllers Kinokomödie „Sommer in Orange“.Das Kleid der Buhlschaft? War bisher eins der wichtigsten Themen. Der Damen und der Gazetten. Brigitte Hobmeier erwähnt es nicht.

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