Brigitte Ederer über Karriere

Brigitte Ederer über Karriere
Von der Politikerin zur Topmanagerin: Brigitte Ederer erzählt, wie aus einer Wiener SPÖ-Finanzstadträtin das Vorstandsmitgleid der Siemens AG mit 370.000 Mitarbeitern wurde. Ein Gespräch über glückliche Fügungen, Windräder im Garten, den Unterschied zwischen Mann und Frau und schwerwiegende Entscheidungen.

freizeit: Frau Ederer, kürzlich war in der Welt zu lesen, dass der Aufstieg der Frauen im Beruf unaufhaltsam ist. Können Sie das unterschreiben?
Brigitte Ederer: Das sehe ich genauso, der Aufstieg wird aber langsam vor sich gehen und die nächsten Jahrzehnte ein Thema sein. Es ist auch beeindruckend, dass eine Frau in einem Industrieland wie Deutschland Bundeskanzlerin ist. Es verändert sich also insgesamt etwas.

Sind Sie Angela Merkel schon begegnet?
Drei oder vier Mal. Eine beeindruckende Frau, die in ihrem Auftreten eher bescheiden als machtbewusst ist. Sie weiß aber genau, was sie will – soweit ich das nach unseren kurzen Treffen beurteilen kann.

Jemand der bescheiden wirkt, aber genau weiß, was er will klingt irgendwie auch ganz nach Ihnen.
Ich hoffe, dass ich so bin. Aber zwischen Frau Merkel und mir gibt es natürlich schon große Unterschiede.

Immerhin sind Sie Vorstandsmitglied der Siemens AG mit 370.000 Mitarbeitern und damit eine Top-Managerin. Hätten Sie sich je gedacht, eine so steile Karriere zu machen?
So etwas ist nicht planbar. Wenn Sie mir vor 15 Jahren gesagt hätten, dass ich einmal Vorstandsmitglied der Siemens AG werde, hätte ich geantwortet: ‚Heans, ich bin Finanzstadträtin. Was wollen Sie von mir?‘ Veränderungen im Leben kommen. Manchmal sagt man ja, manchmal nein.

Ist Ihre Karriere ein stimmiges Bild von Können und Glück?
Glück auf jeden Fall. Ich hatte immer wieder Chefs, die mir neue Schritte zugetraut haben. Es ist außergewöhnlich, dass ich immer wieder an die richtigen Menschen geraten bin. Es war aber sicher auch das Engagement, das ich ausgestrahlt habe, etwas verändern zu wollen.

Auch Siemens hat sich verändert. Früher war jeder Teil der Siemens-Welt mit Waschmaschine, Fernseher oder Telefon. Wie erklären Sie den Menschen das Unternehmen heute?
Wenn Sie einen Garten haben, könnten wir Ihnen ein Windrad aufstellen.

Ich arbeite noch an einem Balkon.
Dann wird es schwierig. Wir haben Bosch-Siemens-Haushaltsgeräte, wofür uns die meisten Menschen kennen. Sonst haben wir nichts mehr für Konsumenten mit Ausnahme von Hörgeräten. Nur noch große Infrastruktur, Medizintechnik und Industrie.

Ist das gut oder schlecht?
Es klingt komisch, aber ich glaube, dass es in den Genen von Unternehmungen Stärken und Schwächen gibt. Um Kraftwerke und Großanlagen zu bauen, braucht es einen Konzern wie Siemens mit all der Kapazität und Kraft. Im Consumer-Bereich ist Schnelligkeit gefragt und manchmal die Bereitschaft, einfache Dinge zu entwickeln. Mobiltelefone sind ein gutes Beispiel. Siemens-Telefone waren extrem kompliziert, aber wenn man sie einmal begriffen hatte, wirklich gut. Viele Menschen haben andere Produkte genommen, weil sie leichter handhabbar waren. Wir standen für ganz hohe Ansprüche, die oft nicht gebraucht wurden.

Sie waren früher Politikerin und haben mal gesagt: „Politik ist die spannendste, aufregendste aber auch kränkendste Tätigkeit, die man sich vorstellen kann.“ Welche Kränkungen waren das und war das der Grund für Sie, zu wechseln?
Damit meine ich den Charme der Österreicher in der Anonymität. Ich glaube, dass man kränkende Reaktionen mit der Zeit zwar besser einschätzen kann, sie werden einem aber nie völlig egal sein. Mein Job als Finanzstadträtin damals war sehr spannend. Ich wusste aber, dass ich nicht noch 15 Jahre in der Politik bleiben kann.

Es heißt immer, Politiker und Manager seien aalglatt. Als ich meinen Kollegen von unserem Interview erzählt habe, meinten viele, Sie seien so nett.
Und jetzt sind Sie enttäuscht, dass es nicht so ist.

Im Gegenteil. Die Frage ist nur, wie Ihre sympathische Art mit den teils schwerwiegenden Entscheidungen, die Sie als Managerin treffen müssen, harmoniert.
Natürlich muss man Entscheidungen treffen. Ich habe hier in Österreich Mitarbeiter abbauen müssen und muss das jetzt in Deutschland auch tun. Das ist natürlich belastend.

Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?
Schlaflose Nächte nicht, aber ich denke oft daran und das überschattet gänzlich den Alltag. Als ich Siemens-Chefin in Österreich war, musste ich Mitarbeiter der Software entlassen. Da hat es immer jemanden gegeben, der gesagt hat: „Meine Freundin oder meinen Cousin habt’s grad abgebaut.“ Auch am Wochenende auf der Straße. Eine schwierige Situation.

Was sagt man dann zu den Menschen?
Es geht eigentlich darum, wie man sich selbst innerlich positioniert. Ich wusste, dass wir es tun müssen, weil wir sonst langfristig das Unternehmen noch stärker gefährden würden. Ich habe halt alles getan, um es den Menschen, vor allem in finanzieller Hinsicht, leichter zu machen.

Am Beispiel von Siemens-Chef Peter Löscher hat man gesehen, wie schnell man auch an der Spitze abmontiert werden kann. Wie fühlt sich das an?
Ich habe in meinem Leben so viele Menschen die Karriereleiter hinauf und wieder hinunter gehen sehen. Mir ist bewusst, dass es morgen vorbei sein kann.

Zumindest finanziell dürfte Ihnen das bei einem kolportierten Jahresgehalt von 3,4 Millionen Euro aber egal sein.
Sie haben schon recht, dass es absolut angenehm ist, wenige finanzielle Sorgen zu haben. Mich hat aber in erster Linie nicht Geld angetrieben, sondern das Gefühl, etwas verändern zu wollen. Mein Leben war schon als Volontärin bei der Arbeiterkammer aus ganz anderen Gründen recht schön. Damals hatte ich viel Zeit und wenig Geld, jetzt habe ich mehr Geld und wenig Zeit.

Was machen Sie mit der wenigen Zeit?
Ich lese gerne. Am liebsten Romane. Fachbücher entspannen mich nicht. Im Moment lese ich „Das Lavendelzimmer“. Erst gestern musste ich mich zwingen, das Licht abzudrehen.

Reicht das, um den Erfolgsdruck abzubauen, der oft auf Managern lastet?
Druck habe ich eigentlich immer verspürt, sobald ich in einer „führenden“ Funktion war. Als EU-Staatssekretärin war der Druck: Treten wir der Europäischen Union bei und bin ich schuld, wenn wir ihr nicht beitreten? Als Parteisekretärin waren die Wahlkämpfe extrem, wenn es darum ging, ob man gewinnt oder verliert. Heute kommt der Druck von Gewinnerwartungen der Aktionäre.

Wie handhabt man solche Situationen?
Am Ende geht es immer darum, mit einem gewissen Hausverstand an die Dinge heranzugehen. Es wird einem der richtige Weg oft aufgezeigt. Man muss nur zuhören. Sich die Zeit dafür zu nehmen, ist oft nicht leicht. Aber durch das Zuhören ergibt sich der Weg, auch wenn es komisch klingt, meistens von selbst.

Sie haben in Ihrem Beruf sehr viel mit Männern zu tun. Arbeiten Sie lieber mit Männern oder mit Frauen zusammen?
Ich halte viel von gemischten Teams. Man hat zwei Blickwinkel und die Stärken beider Geschlechter. Männer sind unterhaltsamer und wollen, dass ihre Brillanz erkannt wird. Frauen sind differenzierter, wenn Sie so wollen, sehr fokussiert auf ein Thema, aber manchmal auch mühsamer. Sie grübeln viel länger darüber, welche Auswirkungen eine Entscheidung haben könnte. Frauen sind auch risikoaverser. Die Frage, ob die Lehman-Brothers-Pleite passiert wäre, wenn es Lehman Sisters gewesen wären, ist eine sehr weise Frage. Ich glaube, es wäre nicht passiert.

Ihr persönlicher Erfolg scheint auch in der Art zu liegen, mit Männer umzugehen. Wie würden Sie diese Art beschreiben?
Mein Verhältnis zu Männern hatte immer etwas Kumpelhaftes. Aber ich kann auch dagegenhalten, wenn auch nicht in einer aggressiven, permanenten Kampfsituation. Ich war schon in meiner Jugend die Frau, mit der man sich vorstellen konnte, Autoreifen zu wechseln. Die erste Wahl von Männern in Discos war ich aber nie.

Könnte es ein Nachteil für die Karriere sein, seine Weiblichkeit, zum Beispiel mit einem kurzen Rock, zu betonen?
Ich weiß es nicht. Ich habe nie Minis getragen, weil es auch nicht zu mir passt. Ich habe halt immer versucht, das Geschlechtstrennende oder -spezifische außen vor zu lassen. Ich habe auch einen älteren Bruder. Das hilft bestimmt.

Ihr Vertrag läuft noch bis 30. Juni 2015. Angenommen, er würde nicht verlängert werden: Was würden Sie dann tun?
Lesen – und der Gesellschaft ein bisschen etwas zurückgeben, was ich im Positiven bekommen habe. Was, überlege ich mir, wenn es soweit ist.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Die Austria als Champions-League-Sieger.

Und was wünschen Sie sich für sich?
Eine weise, alte Frau zu werden. Das ist nicht nur so daher gesagt. Meine Mutter hat, bevor sie gestorben ist, immer Geschichten von Kränkungen erzählt, die 50 Jahren zurückgelegen sind. Ich habe mir geschworen, dass ich das nicht machen möchte. Nicht verbittert zu sein, würde ich mir wünschen – und zehn Kilo weniger.

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