Bitte einchecken: Literatur für Vielflieger

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Piloten-Bücher statt Bord-Magazine: Wie die Zeit bis zum nächsten Abheben im Flug vergeht.

Welches Buch nehmen wir beim nächsten Flug mit an Bord? Ein eher schmales vermutlich, da Fernreisen vorerst nicht allzu angesagt sein dürften. Bevor wir uns aber auf die Suche machen, vertreiben wir uns doch die Zeit mit einer passenden Lektüre; einer in der wir nicht ängstlich wie Postflieger Fabien in Antoine de Saint-Exuperys "Nachtflug" im Cockpit kauern, aber auf jeden Fall einer, in der Fliegen die Hauptrolle spielt.

"Angst vorm Fliegen", natürlich, das muss jetzt sein. Erica Jongs Roman über eine Frau, die von einer "Traumnummer" über den Wolken fantasiert, hat jetzt fast 50 Jahre auf dem Buckel. Die einstige Aufregung über die deftige Sprache einer Autorin hat sich längst gelegt. Nicht ganz uninteressant bleibt, dass die Romanheldin, die New Yorkerin Isadora, sich ausgerechnet auf einem Flug nach Wien befindet. Und zwar mit 117 Psychoanalytikern an Bord. Sie sind auf dem Weg zu einem Kongress. Ein Quickie heißt bei ihr noch "Spontanfick" und erst vor ein paar Jahren meinte Erica Jong in einem Interview, sie selbst hatte nie einen. Kein Problem. Beim Zwischenstopp in Frankfurt wird noch rasch überlegt: "Musste man das Flugzeug mit dem rechten oder mit dem linken Fuß zuerst betreten, damit es nicht abstürzt?"

Ebenfalls nicht unspannend ist Franz Kafkas Kurzgeschichte "Die Aeroplane in Brescia" aus dem Jahr 1909. Die Schilderung einer Flugschau in der italienischen Stadt gilt als die erste Beschreibung von Flugzeugen in der deutschsprachigen Literatur. Als genauer Beobachter macht Kafka den Komponisten Giacomo Puccini in der Menge aus. Und seinen Schriftstellerkollegen Gabriele D'Annunzio, der neun Jahre später vom Flugzeug aus propagandistische Flugblätter über dem Wiener Stephansplatz abwerfen sollte.

Piloten hatten schon damals die Aura der heldenhaften Abenteurer. Kafka aber lässt sich nicht blenden. Er notiert: "Gabriele D'Annunzio, klein und schwach, tanzt scheinbar schüchtern vor dem Conte Oldofredi, einem der bedeutendsten Herren des Komitees. Von der Tribüne schaut über das Gelände das starke Gesicht Puccinis mit einer Nase, die man eine Trinkernase nennen könnte."

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"Der englische Patient" werden viele als Film kennen. Umso lohnenswerter ist es, sich in der Romanvorlage von Michael Ondaatje zu verlieren. Im Zentrum der Handlung steht mit Ladislaus Almasy ein ungarischer Kartograf, der zu Beginn des Zweiten Weltkrieges über der nordafrikanischen Wüste mit dem Flugzeug abstürzt. "Ein kleiner Metallbolzen vom Cockpit  wurde zum Juwel. Ich war vielleicht der erste, der sich lebend aus einer brennenden Maschine erhob. Ein Mann, dessen Kopf in Flammen stand. Sie kannten meinen Namen nicht. Ich kannte ihren Stamm nicht. Wer sind Sie? Ich weiß nicht. Ständig fragten Sie mich. Sie sagten, Sie seien Engländer."

Da will man doch gerne weiterschmökern, aber bitte am Boden.

Am Boden bleiben. Das ist auch das Schicksal, das zwei der Protagonisten in Don DeLillos Kurzgeschichte "Schöpfung" teilen. Sie ist Teil seiner Erzählsammlung "Der Engel Esmeralda" und wird jetzt, nach zwei fluglosen Monaten, sogar zur Sehnsuchtsgeschichte. Die Unbekannte Christa und der Ich-Erzähler werden, gestrandet in der Karibik, auf eine Warteliste gesetzt. Haben es aber auch ohne Angst vorm Fliegen gar nicht so eilig, abzuheben... 

 

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Gunther Neumann, "Über allem und nichts", 239 Seiten, 22 Euro

"Über allem und nichts" von Gunther Neumann. Hier scheint alles zusammenzulaufen. Und zusammenzupassen. Von Höhenflügen bis zu Abstürzen, von Fluchten bis zum Stillstand. Es ist die Geschichte von Clara, der Pilotin einer Billig-Airline, die alles auf sich nimmt, um im Cockpit einer Triple-Seven zu landen. Das Macho-Gehabe von Gabrio, ihrem Fluglehrer am kleinen Miami-University-Campus-Flugplatz in Oxford, Ohio erduldet sie lange, weil er was drauf hat.

"Der Sog seines Vertrauens zog sie weiter, die Gegenwart ließ die Vergangenheit hinter sich, den Imker im Bootshaus, den Nightmail von Sri Lanka und die Taxifahrt in Mombasa." Man ahnt bald, dass die flugbegeisterte Clara ein Geheimnis mit sich trägt, viele Geheimnisse.

Claras Geist

Gunther Neumann, gebürtiger Linzer, Anthropologe, Völkerrechtler und lange Jahre für NGOs, die EU und UNO zwischen Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika unterwegs, zeigt ab der ersten Seite, was er kann. Dass er jedem Kapitel ein Zitat des Universalgelehrten Blaise Pascal voranstellt, ist keine Show. Es regt zu weiterer Lektüre an. Während der Tage, die Clara auf Sri Lanka verbringt, zitiert er aus Michael Ondaatjes ebendort handelnden Roman "Anils Geist". Und das alles, ohne dass es bemüht wirkt.

Gut möglich, dass demnächst andere Autoren Gunther Neumann bemühen werden. Sein Romandebüt ist ein Glücksfall für alle, die sich vor der nächsten Flugreise schon einstimmen wollen. Aber auch für jene, die das Spiel mit Worten genauso schätzen wie einen sehr direkten Einblick in eine Branche, die im Moment mit so vielen Turbulenzen zu kämpfen hat wie die Pilotin Clara. 

 "Sie überblickte den Horizont, die Instrumente. Sie konnte benennen, Kommandos annehmen, präzise Fragen stellen, Kurse über ,Flight Safety' halten. Die aktive Fliegerei kam mit wenigen Worten aus. Aber über den Kloß im Bauch reden?"

https://www.gunther-neumann.com

 

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