David Lama über das Unmögliche
freizeit: Herr Lama, was macht einen guten Bergsteiger aus?
David Lama: Dass er ein großes Gespür für Felslinien und ein Auge dafür hat, die natürlichen Strukturen der Felsen miteinander zu verbinden. Das Talent zeigt sich schon in der Kindheit: Wie geht jemand an Kletterprobleme heran, wie schnell findet man Lösungen, was für ein Bewegungsgefühl ist vorhanden? Es geht um all diese Dinge.
Ihr Vater, ein Bergführer, stammt aus dem Mount-Everest-Gebiet, ihre Mutter aus Innsbruck. Wo haben sich die beiden eigentlich kennengelernt?
Meine Mutter hat früher die ganze Welt bereist. Dabei hat sie dann auch irgendwann meinen Vater kennengelernt.
Hat er Sie zum Klettern gebracht?
Mein Vater hat in der Everest-Gegend als eine Mischung aus Trekking-Guide, Bergführer und Sherpa gearbeitet. Er und meine Mutter waren immer in den Bergen unterwegs, Kletterer waren sie aber nie. Dazu bin ich über einen Freund meiner Eltern, den Bergsteiger Peter Habeler, gekommen. Er hat vor vielen Jahren ein Abenteuer-Camp veranstaltet. Ich war viel zu jung dafür, durfte aber trotzdem mit. Dort hat er gesehen, dass ich mich besser am Felsen bewegt habe als andere Kinder. So hat alles angefangen.
Und heute lieben Sie beim Klettern vor allem das scheinbar Unmögliche.
Es ist sicher so, dass ich zu leichteren Sachen, die kalkulierbarer erscheinen, öfter Nein sage als zu schwierigen, bei denen ich mit ganzem Herzblut dabei bin. Aber zuerst müsste man sich einmal fragen, was hinter dem Begriff unmöglich eigentlich steckt. Für mich ist das Wort zeitlich begrenzt. Ich komme vom Klettern in der Halle, wo ich meine Fähigkeiten in einem sicheren Umfeld erlernen und meine Technik mehr verfeinern konnte als jemand, der nur im exponierten Umfeld unterwegs ist. Ich sehe mich als Teil einer neuen Bergsteiger-Riege, die Dinge für möglich hält, an die andere nicht glauben. Es ist doch immer so, dass eine Generation denkt, es wäre alles erreicht – bis die nächste Generation kommt.
Macht sich Ihre Familie denn nicht ständig große Sorgen um Sie?
Es ist normal, dass Eltern Angst um ihre Kinder haben. Ich exponiere mich auch mehr als Gleichaltrige. Aber meine Eltern sind ja mit mir in dieses Abenteuer hineingewachsen. Ich habe in der sicheren Halle angefangen und dann immer extremere Unternehmungen auf mich genommen. Es ging nicht von null auf hundert.
Ihre jüngste Aktion, die Besteigung der noch jungfräulichen Nordostwand des Masherbrum, mussten Sie vor zwei Wochen zum zweiten Mal abbrechen. Was ist passiert?
Wir waren die Ersten, die versucht haben, die Wand zu klettern. Es gibt keine Erfahrungswerte. Die Ostwand ist eine Art Kessel, der den ganzen Wind abschirmt. Es wird also sehr warm und der Schnee dadurch immer schwerer. Da kommt man nicht voran. Wir wissen nun, dass die Temperaturen für die Besteigung nicht so hoch sein dürfen, wie wir geglaubt haben. Dazu kommt, dass die Wand dreieinhalb Kilometer hoch ist und man durch unterschiedliche Zonen klettern muss. Unten hat es 15 Grad mehr als oben, was großen Einfluss auf die Schneebeschaffenheit hat. Diese Erkenntnisse werden uns irgendwann helfen.
Sie waren mit zwei weiteren Bergsteigern am Masherbrum. Wann werden Sie den nächsten Versuch wagen?
Der Masherbrum ist eines der reizvollsten Projekte, das wir uns vorstellen können. Doch wir waren alle drei einhellig der Meinung, dass wir nächstes Jahr nicht hinüber wollen. Wir waren jetzt die vergangenen drei Jahre in Pakistan. Man kommt aus dem europäischen Winter raus, legt das Daunenzeug kurz ab, fliegt nach Islamabad, wo es brütend heiß ist und fährt von dort zum Berg, wo wieder Winter herrscht. Das frisst viel Energie und in gewisser Weise auch Motivation. Wir lassen das Projekt ruhen und werden 2016 weiterschauen.
Sie haben zuletzt mit der ersten freien Besteigung des Cerro Torre für Furore gesorgt. Wie lange haben Sie bis zur Realisierung dieses Traums gebraucht?
Von der Idee bis zur Besteigung des Gipfels waren es fünf Jahre. Mein Kollege Peter Ortner und ich waren drei Jahre hintereinander in Patagonien, und das Projekt hat viel mehr Zeit in Anspruch genommen als geplant. Scheitern ist ein wesentlicher Teil meines Sports.
Kann man den Cerro Torre und den Masherbrum überhaupt vergleichen?
Man muss sich den Masherbrum vorstellen wie die Eiger-Nordwand und den Cerro Torre übereinander. Wir wären viel länger in der Wand gewesen und hätten fünf Tage rauf und drei Tage runter gebraucht. Beim Cerro Torre waren es 24 Stunden für den Aufstieg. Der Cerro ist zwar mit Schwierigkeitsgrad 10 (Anm.: eine der höchsten Stufen) technisch anspruchsvoller, beim Masherbrum kommt allerdings mit 7.821 Metern die große Höhe dazu. Da werden das Kochen von Wasser und der Toilettengang schon zur Herausforderung. Wir waren aber gut akklimatisiert und hätten damit keine Probleme gehabt. Schwierig wurde es wegen der Wärme und den dadurch ausgelösten Lawinen.
Was geht einem durch den Kopf, wenn man der Natur so ausgeliefert ist?
Wir saßen von neun Uhr früh bis drei Uhr nachmittags auf einer Flanke unter einem Felsvorsprung und konnten weder vor noch zurück. Links und rechts schossen die Lawinen im Minutentakt an uns vorbei. Das hat schon eine Kraft, die viel größer ist als man selbst. Wir konnten nur warten, bis die Sonne nicht mehr so reinknallt und dann umkehren. Für einen Aufstieg hatten wir zu viel Zeit verloren.
Wie viele Anläufe würden Sie denn für den Masherbrum noch in Kauf nehmen?
Ich kann die Frage nicht pauschal beantworten. Das sind Projekte, in die viel Leidenschaft und Energie fließen. Ein hoher Energieaufwand bedeutet ein gewisses Leiden, wenn man so will. Das muss einem der Einstieg jedes Mal wert sein.
Will der Mensch Leiden nicht vermeiden?
Will er das? Ich glaube, es entsteht eine andere Wertigkeit, wenn man bereit ist, für etwas Opfer zu bringen. Man lebt intensiver. Vielleicht ist das auch der Grund, warum das Leben in den Bergen intensiver ist. Man geht ein bewusstes Leiden ein. Und der Lohn für das Leiden ist das Glücksgefühl, wenn man am Gipfel steht ... Grundsätzlich geht es schon um das Ziel. Aber viel wichtiger sind die Erlebnisse auf dem Weg dahin, auch wenn das abgedroschen klingt. Als ich am Gipfel des Cerro Torre stand, war das weder Glücksgefühl pur noch das Paradies. Es ist eher so, als würde man einem Regenbogen hinterherjagen. Irgendwann merkt man, dass der Regenbogen ständig woanders ist. Es wird immer neue Ziele geben. Das ist das Schöne am Bergsteigen.
Und was ist mit der ständigen Gefahr und der Unberechenbarkeit der Natur, die einen Extrembergsteiger begleiten?
Man wird nie sagen können, dass Klettern todsicher ist. Aber Peter, mein Partner am Masherbrum und am Cerro Torre, und ich sind keine Draufgänger. Wir gehen ein Risiko bewusst ein und das ist der erste Schritt, Risiko zu minimieren. Steinlawinen oder Eisschlag werden nie kalkulierbar sein. Man muss sich fragen: Ist mir das Projekt das wert oder nicht? Da kriegt man immer eine klare Antwort.
Wie weit sind Sie am Masherbrum dieses Mal überhaupt gekommen?
Einige hundert Meter. Eine bittere Erkenntnis wenn man weiß, dass es ein paar Tausend Meter hätten werden sollen. Beim ersten Versuch vor einem Jahr ist Peter schon beim Akklimatisieren auf 6.000 Metern Höhe gestürzt und hat sich Knie und Schulter verletzt. Auch da mussten wir abbrechen. So ein Projekt muss zu 1.000 Prozent passen, damit man überhaupt eine Chance hat.
Was wünscht man einem Bergsteiger eigentlich? Viel Glück?
Bei unseren Unternehmungen mag ich nicht auf Glück angewiesen sein. Denn das würde bedeuten, dass man unter normalen Umständen eine Tour nicht schafft. Wir gehen aber davon aus, dass eine Tour unter normalen Bedingungen gelingt. Deshalb wünsche ich mir: kein Pech!
David Lama, 24, Sohn einer Tirolerin und eines Nepalesen, lebt in Götzens und gilt als Ausnahmekletterer. Lama war zwei Mal Jugendweltmeister und nahm bis 2010 an Wettkämpfen teil. Seither gilt seine Aufmerksamkeit verstärkt dem Alpinismus. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er 2012 durch die Erstbesteigung des „Cerro Torre“ in Patagonien ohne Hilfsmittel bekannt. Sein Versuch, als erster Mensch die Nordostwand des 7.821 Meter hohen Masherbrum in Pakistan zu durchklettern, scheiterte im Juli 2014. Derzeit trainiert Lama im Ötztal, um sich bis zur für 2016 geplanten Rückkehr nach Pakistan leichteren Projekten in den Alpen zu widmen.
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