Backstage bei den Katzen: Reportage aus dem Ronacher
Spektakuläre Choreografie, mitreißende Songs, fantastische Bühne – ganz großes Theater: Das Ronacher wird wieder zur magischen Müllhalde, auf der sich Katzen für ihren jährlichen Ball einstimmen. Denn die „Cats“ sind zurück in Wien, wo sie 1983 die Initialzündung zum Musical-Boom auf deutschsprachigen Bühnen auslösten und über eine Zeitspanne von sieben Jahren unglaubliche 2,4 Millionen Zuschauer begeisterten.
"Katzen? Sicher nicht!"
„Das wird ja oft vergessen, dass hier alles angefangen hat, nicht in Hamburg“, sagt Intendant Christian Struppeck. Er ist Berliner und hat Cats zum ersten Mal als 14-Jähriger gesehen. Natürlich in Wien.
„Es war schon mutig von Peter Weck, die Form des Long Run Musicals hierher zu bringen, also in den deutschen Sprachraum“, sagt Struppeck voll Bewunderung für seinen Vorgänger. Und weist darauf hin, dass ausgerechnet Cats auch in England recht argwöhnisch betrachtet worden war.
„Regisseur Trevor Nunn war damals Leiter der Royal Shakespeare Company und hatte mit Musicals und Tanz wenig zu tun, die Choreografin Gillian Lynne arbeitete hauptsächlich am Royal Opera House und es gab keine Story im klassischen Sinn, sondern Webber hatte Gedichte vertont. Kindergedichte!“ In einem TV-Interview aus dem Jahr 1981 hört man einen irritierten Moderator den jungen Mister Webber fragen: „Sie wollen doch nicht sagen, dass auf der Bühne nur Leute rumlaufen, die als Katzen verkleidet sind?“ – „Nein, sicher nicht“, log der sichtbar verunsicherte spätere Sir.
Der Million Dollar Song
Wie wir heute wissen, ging ja alles gut aus. Auch dank eines weiteren musikalischen Geniestreichs des Komponisten. „Memory“ ist bis heute der größte Hit Webbers.
Dabei brachte er den Song nur auf Druck von Regisseur Nunn ins Spiel. „Webber hatte ihn ursprünglich für ein Puccini-Projekt geschrieben, aus dem nichts geworden war, und hatte Angst, er klinge zu sehr nach Puccini oder er habe sich unwissentlich zu sehr einem Puccini-Thema angenähert“, erzählt Intendant Struppeck, der bei diesem Thema ganz in seinem Element ist.
„Er spielte den Song also seinem Vater vor, der ein ausgewiesener Puccini-Experte war und fragte ihn, wonach er klingt. Wissen Sie, was der gesagt haben soll? Nicht nach Puccini – aber nach Millionen von Dollars!“ Der Song kam also rein, der Rest ist Geschichte, Webbers Vater war wohl nicht nur Puccini-, sondern auch Pop-Charts-Experte.
Christian Struppeck, bis 2025 mit der Leitung der Vereinigten Bühnen Wien beauftragt, war früher selbst Musical-Darsteller, Regisseur und Autor. „Zum Inszenieren bleibt mir als Intendant einfach zu wenig Zeit, aber schreiben tu ich doch immer wieder“, sagt er. Derzeit an einem Stück über Casanova, das sich richtig spannend anhört. Erfolgreich waren ja unter anderem schon seine Musicals „Ich war noch niemals in New York“ und „I am from Austria“, das sogar nach Japan exportiert wurde und dort sensationell läuft.
Männer, die es möglich machen
„Es gelingt uns zum Glück, sehr viele unserer Produktionen ins Ausland zu bringen“, erklärt Christian Struppeck, während er uns das Innenleben seines Theaters zeigt, all die Gänge und Treppen, über die Techniker, Kostümbildner, Schauspieler und Schauspielerinnen in Jogginghosen huschen. Je näher der Zeitpunkt kommt, an dem der Inspizient sein Klingelzeichen hören lässt, umso hektischer wird der Backstage-Betrieb. Aber noch ist der Platz des Inspizienten an der Seitenbühne leer: „Der hat übrigens viel mehr zu tun, als zu läuten“, erklärt Erich, seit 20 Jahren im Theater, mittlerweile als Chef der Bühnentechnik.
„Der Inspizient führt die gesamte technische Mannschaft durch den Abend“, erklärt Erich. Er ist über sein Pult mit der Beleuchtung verbunden, mit dem Orchester, mit dem Schnürboden. Der Inspizient gibt die Signale, damit alles zur richtigen Zeit passiert – ist quasi so etwas wie der Dirigent der Technik. Dazu liest er die komplette Partitur mit, muss zu jeder Sekunde wissen, was gerade gespielt wird. „Und ja“, sagt Erich lachend, „läuten tut er natürlich schon auch, bevor’s los geht. Auch nicht unwichtig.“
Wie seine Kollegen, Bühnenmeister Mark etwa oder der junge Simon, der kurz nach Beginn der Vorstellung auf Zeichen des Inspizienten einen riesigen Schuh auf die Bühne werfen wird, ist Erich ein Praktiker, der gerade die Herausforderung an seinem Job liebt. „Du musst die ganze Zeit hellwach sein. Es reicht schon eine kleine Änderung oder etwas hakt, spießt sich, dann musst du improvisieren, damit alles glatt läuft, niemand im Publikum auch nur irgendwas bemerkt.“ Tanz der Vampire, Mary Poppins und Elisabeth sind in dieser Hinsicht die allergrößten Herausforderung. „Da bewegt sich fast im Minutentakt etwas auf der Bühne, da stehst du praktisch während der gesamten Aufführung unter Strom.“
Die schwebende Katze
Erich führt uns hoch zum Schnürboden, fast elf Meter über der Bühne. Von hier steuert man alle Bühnenteile, die angehoben werden müssen. Und von hier, aus der so genannten Theatermaschine, der „Machina“, kommt der berühmte Retter in letzter Sekunde, der „deus ex machina“.
Während Helmut, der „Obermaschinist“, die computergesteuerten Funktionen des Schnürbodens checkt wie ein Pilot vor dem Start, zeigt uns Erich die Stoffschlinge, auf der die Katze Mr. Mistoffelees steht, wenn er aus luftiger Höhe zu seinen Kumpels auf der Bühne hinunterschwebt. Ganz schön hoch. Erich nickt. Aber Mr. Mistoffelees ist der Hochleistungstänzer unter den „Cats“, ein durchtrainierter Athlet. „Als Sicherung hat er außerdem hier oben noch eine Schlaufe ums Handgelenk, die zugezogen werden kann“, erklärt Erich. Das beruhigt. Trotzdem: Nicht nachmachen!
Audienz bei den Katzenstars
„Ich bin mir nicht ganz sicher ... hm ...“, Felix Martin sitzt in seiner Garderobe und reibt sich das Kinn. „Sag, Barbara, kann man das tanzen nennen, was ich mach?“ Der Schauspieler und Sänger aus Berlin sitzt vor seinem Schminktisch und sieht seine Kollegin Barbara Obermeier fragend an.
Die beiden spielen Jellylorum, die sanfte Katze, die sich um alle kümmert und Gus, den alten Theaterkater. Barbara grinst ihren Partner an: „Tu nicht so kokett, du kannst das schon. Und vergiss die Knieschützer nicht!“ – „Würd ich nie. Bin doch nicht lebensmüde!“ Felix Martin sieht uns an: „Es stimmt, ohne Knieschützer wär’s echt eine Katastrophe. Das geht physisch schon ganz schön zur Sache auf der Bühne.“
Die ganze Welt des Musicals
Gemeinsam mit Obermeier hat der 55-Jährige, der in Wien das Max-Reinhardt-Seminar absolvierte und mit dem Hauptmann von Köpenick am Burgtheater debütierte, eine durchaus anspruchsvolle Tanzszene zu bestehen. „Und das in diesem Kostüm! Sehen Sie sich den Stoff an, der ist so dünn und eng – da sieht man jeden Apfelstrudel!“
Die beiden sind selbst seit ihrer Kindheit Musical-Fans. Barbara Obermeier war 16, als sie Cats zum ersten Mal gesehen hat, in Stuttgart war das, nachdem sie bei einer Schulaufführung selbst schon mitgespielt hatte. Und zwar genau jene Jellylorum, die sie auch jetzt in Wien spielt. „Nur halt 20 Jahre später“, sagt sie lachend.
– „Und ich hab Cats zum ersten Mal 1990 in Wien im Ronacher gesehen“, stimmt Felix Martin begeistert ein. Und fügt beinahe ein wenig nachdenklich hinzu: „Ja, dann vergehen 30 Jahre so mir nichts dir nichts und man spielt in genau dem Theater den alten Theaterkater …“
In diesen 30 Jahren hat Felix Martin allerdings quasi alles gespielt, was auf deutschsprachigen Musical-Bühnen gut und schön war. Vom Frank N’ Furter aus der Rocky Horror Show über Graf von Krolock in der Hamburger Inszenierung von Tanz der Vampire bis zum Tod in Elisabeth im Theater an der Wien. Überhaupt, Wien, zu dieser Stadt hat der deutsche Musical-Star ein ganz besonderes Verhältnis, immerhin holte Peter Weck selbst ihn für die deutschsprachige Originalbesetzung von Les Misérables als Marius ans Wiener Raimundtheater.
Die Freude macht’s ...
„Aber Cats ist dann doch richtig nochmal ganz was Besonderes“, sagt Martin und fügt hinzu: „Das wollt ich immer schon machen.“ Auch Barbara Obermeier betont den speziellen Status, den Cats unter den Künstlern hat.
„Es ist tänzerisch sehr anspruchsvoll, hat wirklich tolle Songs – und eine Art Magie, der man sich entziehen kann, auch als Darsteller nicht. Wir sind ja auch praktisch die ganze Zeit auf der Bühne, sind während der ganzen Aufführung in unseren Charakteren.“
Und dann ist da noch das Publikum. „Begeisterung gibt’s natürlich auch bei anderen Produktionen“, erklären die beiden. „Und es ist immer schön, wenn man das als Schauspieler zu spüren bekommt, das macht auch unseren Beruf aus. Aber bei Cats – da spürst du die reine, kindliche Freude des Publikums, und das ist schon ein unglaubliches Gefühl.“
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