Arzt und TV-Star Marco Angelini: "Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen"
Mail an Marco Angelini: „Sehr geehrter Herr Doktor, wir kennen einander von einem Gespräch rund ums Dschungelcamp ...“ Der Herr Doktor, seines Zeichens fertiger Chirurg, schreibt zurück: „Hallo, liebe Barbara ...“ und beendet die Begrüßung mit einem Smiley. Von Standesdünkel hält er nichts und so lassen wir uns darauf ein.
Marco hat noch ein zweites Leben und das findet vor allem in Fernseh-Shows statt. „Starmania“, „Helden von morgen“ oder „X-Factor“: Angelini war dabei und wurde so als Musiker bekannt. Dabei halfen vor allem ein 4. Platz bei „Deutschland sucht den Superstar“ und seine Teilnahme am RTL-„Dschungelcamp“ 2014.
Lesen Sie, was Angelini zuletzt als Arzt erlebt hat, wie er und seine Lebenspartnerin Maria Sandtner, die er bei "Dancing Stars" kennengelernt hat, dem Nachwuchs in Corona-Zeiten entgegenblicken und welche Lanze er für Musiker bricht. Bestandsaufnahme zwischen freudiger Erwartung und Ernst des Lebens.
Marco, du bist nicht nur Musiker, sondern auch Arzt. Was hast du im Krankenhaus zuletzt alles erlebt?
Ich war jetzt zwei Wochen in Quarantäne. Davor hat sich bei uns auf der Chirurgie der Alltag aber komplett auf den Kopf gestellt. Wir Mediziner sind darauf gepolt, Menschen zu helfen und ihnen bei allen Wehwehchen unterstützend zur Seite zu stehen. Es tut uns im Herzen weh, wenn wir geplante Operationen absagen müssen. Es ist zur Zeit nur nicht anders möglich, um Intensivbetten nicht zu besetzen, falls sie gebraucht werden.
Mein Schwager hatte zum Beispiel einen doppelten Bandscheibenvorfall. Solche Dinge werden mit der Zeit nicht besser.
Man darf andere Krankheiten nicht diskriminieren und muss bei Operationen zur Normalität zurückkehren. Es staut sich alles zurück, es gibt Listen und die Arbeit wird für uns nicht weniger. Wir sind aber auf einem guten Weg, und wenn man die Situation in Norditalien verfolgt hat, versteht man die Maßnahmen natürlich.
Kennst du dich als Arzt mit dem Virus eigentlich noch aus?
Ein Experte sagt dies, der andere das ... Es gibt jetzt sehr viele selbst ernannte Experten. Meiner Meinung nach wird die Wahrheit irgendwo dazwischenliegen. Im Moment ist noch vieles Spekulation, man muss das Thema erst aufarbeiten, erst dann kann man Schlüsse daraus ziehen.
Hast du Angst, dich anzustecken?
Es ist zweigeteilt. Als Mediziner weiß man, dass man seine Gesundheit ein Stück weit riskiert, aber wir sind da, um anderen Menschen zu helfen. Sorgen mache ich mir eher um meine Familie. Bei mir ist die Situation so, dass meine Freundin schwanger ist (Anm.: Tänzerin Maria Sandtner, die Angelini bei „Dancing Stars“ kennengelernt hat). Deshalb habe ich zu Hause eine kleine Sicherheitsschleuse eingerichtet, um niemanden anzustecken.
Keine leichte Zeit für das erste Kind.
Wenn man sich eine Zeit aussuchen könnte, wo so ein wunderbares Ereignis passiert, würde man sich bestimmt nicht gerade diese Zeit wünschen, aber es ist wie es ist. Wir gehen mit Zuversicht und Mut an die Sache heran und es geht uns gut. Mehr kann man nicht machen, als auf eine höhere Macht zu vertrauen, dass das auch so bleibt.
Vor Kurzem wurde in den Sozialen Medien der Gehaltsunterschied von Profi-Fußballern und Ärzten diskutiert. Bist du mit deinem Gehalt zufrieden?
Derzeit haben wir Ärzte leicht reden, wenn man an die Menschen denkt, denen das Einkommen weggebrochen ist. Im Vergleich zu einem Lionel Messi oder anderen Multimillionären steht unser Gehalt natürlich in keiner Relation. Es sind doch zwei Paar Schuhe, ob man Fußball spielt oder Menschenleben rettet. Das sind meiner Meinung nach genau die Dinge, für die eine Krise gut ist. Sie zeigt die Stärken und Schwächen einer Gesellschaft auf. Da gilt es nachzurüsten und den Kapitalismus zu hinterfragen. Wir hätten jetzt die einmalige Chance, viele Dinge umzukehren und neu zu gestalten. Ich würde Großverdiener aber nicht mit Ärzten vergleichen, sondern mit den Ärmsten der Armen auf der Welt. Wenn man das in Relation setzt, ist das eine perverse Situation.
Du bist auch Musiker. Kannst du dich in die Situation der Kollegen hineindenken, obwohl du ein zweites Standbein hast?
Absolut! Ich mache ja auch noch Musik, schreibe Songs und bin in Gedanken bei Kollegen aus der Kunst- und Musikszene. Man sieht ja, wie wichtig Kultur in Zeiten wie diesen ist und merkt, dass diese Berufsgruppe extrem vernachlässigt wurde. Ich habe heute auf Facebook einen Spruch gelesen, der mir sehr gefallen hat: „Wir können nicht zurück zur Normalität, weil die Normalität das Problem war.“ Man muss sich auch überlegen, ob in der Musikszene alles richtig gelaufen ist.
Woran übst du Kritik?
Man schreibt einen Song, den man dann auf irgendeiner Plattform für 60 Cent bis einen Euro verkaufen kann. Trotzdem saugen sich Menschen sehr viel illegal herunter. Aber gerade jetzt sieht man, wie wichtig Musik ist. Die Menschen gehen gerne in Clubs tanzen und sie gehen gerne ins Theater oder in die Oper. Man muss sich wieder bewusst werden, woher die Dinge kommen. Man glaubt immer, man wird von den Künstlern bespaßt, die sind einfach da. So ist das aber nicht. Wenn ein Musiker mit dem Download einer neuen Single nicht mal die Produktion bezahlen kann, muss man sich fragen, ob in der Szene alles richtig läuft.
Hast du auch Medizin studiert, weil du wusstest, dass es als Musiker vielleicht nicht ganz leicht sein könnte?
Für mich war es immer klar, dass ich beides machen möchte. Bei der Medizin ging es mir ganz sicher nicht nur um den finanziellen und den Sicherheitsaspekt. Die Medizin interessiert mich einfach sehr, sie war immer Bestandteil meines Lebens, unabhängig davon, was mein Brotberuf einmal sein würde. Es hätte mir wehgetan, wenn ich das Studium zwar abgeschlossen, aber nie als Arzt gearbeitet hätte.
Deine Diplomarbeit handelt vom Einfluss des Sports auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Deine Eltern haben dich dahingehend geprägt. Warum?
Mein Mama ist seit letztem Jahr in Pension, sie war aber als Sportlehrerin und Sporterzieherin in Graz immer im Behindertensport tätig. Und mein Vater kommt aus demselben Segment. Er ist Luxemburger und die beiden haben sich sogar über den Behindertensport kennengelernt. Mein Papa hat die „Special Olympics“ in Österreich mit aufgebaut und ist jetzt deren Präsident.
Du hättest theoretisch sagen können, das ist euer Thema, interessiert mich nicht.
Ich bin mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen aufgewachsen und habe immer wieder mit ihnen gesportelt. Ich hatte deshalb auch nie Berührungsängste. Im Gegenteil: Es war eine wirklich wunderschöne Zeit und das Thema hat bis heute einen großen Stellenwert in meinem Leben.
Gibt es einen besonders bleibenden Eindruck aus dieser Zeit?
Man kriegt eine unglaubliche Ehrlichkeit zurück, die man sonst in der Gesellschaft nicht mehr so hat. Es gibt sehr viele Sportlerinnen und Sportler mit Down-Syndrom. Wenn du denen nicht zu Gesicht stehst, sagen sie dir das gerade heraus: „Du, ich mag dich nicht oder ich mag dich schon.“ Wirklich eine extreme Ehrlichkeit. Wenn diese Menschen Sport ausüben, sieht man, was das mit ihnen macht. Diese Freude! Auch, wenn sie „nur“ den 8. Platz belegen. Das ist alles viel echter! Es kommt extrem viel Feedback und Lebensfreude aus einem Bereich, wo man es wirklich nicht vermuten würde. Ich kann nur jedem ans Herz legen, sich das anzuschauen.
Nicht nur Musiker
Angelini ist Chirurg und ab Herbst Facharzt
Liebe gefunden
Bei der ORF-Show "Dancing Stars" lernte Angelini 2014 seine Lebensgefährtin und damalige Tanzpartnerin Maria Sandtner kennen
In Wels der Liebe wegen
Für seine Liebe ist Angelini von der Steiermark nach Oberösterreich gezogen und arbeitet dort im Landesklinikum Wels
Weltreisende
Vor Marias Schwangerschaft und Corona, ist das Paar viel gereist
Dschungel-Star
Angelini war auch schon in Australien, allerdings alleine. Er war Teilnehmer des RTL-"Dschungelcamp" 2014
Marco, jeder zieht seine eigenen Schlüsse aus dieser Krise. Ich wünsche mir, dass wieder jeder seine Meinung sagen darf, ohne angefeindet zu werden. Und du?
Für mich lautet ein Schlagwort dieser Krise Selbstverantwortung. Das ist ein Thema, das sich in so vielen Bereichen widerspiegelt und das ist genau das, was wir als Gesellschaft jetzt brauchen. Heutzutage muss für alles ein Schuldiger gefunden werden. Wenn ich bei einem Dorffest zum Beispiel auf einer Matte ausrutsche, wird der Veranstalter verklagt. Das sind dann aber genau die Themen, die unsere Kultur zerstören. Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass die Dinge sind, wie sie sind. Es muss nicht immer jemand schuld sein, egal in welchem Bereich. Das ist jetzt eine ganz wichtige Sache.
Man muss schon sagen: Demut lehrt uns die Krise auch.
Ja, sie zeigt uns, dass nichts selbstverständlich ist. Unsere Freiheit, die alltäglichen Dinge, all das ist ein Privileg, das wir haben. Wir leben in einem gesegneten Land, das muss man wieder mehr zu schätzen wissen – von den Bauern, die unsere Lebensmittel herstellen bis zu den Verkäuferinnen und Medizinern. Das ist für uns alles so normal geworden. Grundsätzlich sind Menschen lernfähig.
Gerät der gute Wille nicht verständlicherweise in den Hintergrund, wenn jeder versucht, sein Leben zu stemmen?
Zumindest könnten wir lernen, uns in andere hineinzuversetzen, auch in die Natur. Es wäre auch schön, die wirtschaftlichen Strukturen zu hinterfragen, den finanziellen Druck abzulegen, dem unsere Gesellschaft unterliegt und uns wieder mehr in Richtung Familie und Lebensqualität zu entwickeln. Aber natürlich ist das ein großes Ding.
Auf Wohlstand wollen die meisten von uns aber auch nicht verzichten.
Uns wird ständig auf Social Media vorgelebt, dass wir Luxus brauchen, aber macht uns das wirklich glücklicher? Als Mediziner sehe ich schon auch, dass sehr viele junge Patienten, die bei uns hereinmarschieren, ihr Antidepressivum dabeihaben. Ist das normal? Da ist doch irgendwas faul. Wir haben alles, wir können essen, was wir wollen, jeder hat Zugang zu Bildung – rein theoretisch sollte alles passen, trotzdem sind so viele Menschen unzufrieden. Das müssen wir überdenken. Deshalb noch einmal der Satz, von dem ich vorhin erzählt habe: „Wir können nicht mehr zurück zur Normalität, weil die Normalität das Problem war.“
Marco Angelini, 35, wurde 1984 in Voitsberg in der Steiermark geboren. Seine österreichische Mutter und sein luxemburgischer Vater waren/sind beide im Behindertensport tätig. In diesem Umfeld wuchs Angelini, dessen Großeltern italienischstämmig sind, auf. Mehr als zwölf Jahre spielte er professionell Handball, musste seine Karriere aber wegen mehrerer Verletzungen aufgeben. Nach der Matura studierte er Medizin, absolvierte Auslandssemester in Luxemburg und Passau und erlangte 2012 den Grad eines Doktors der gesamten Heilkunde. Ab Herbst ist er außerdem Facharzt für Chirurgie und arbeitet am Landesklinikum Wels.
Angelinis zweite Leidenschaft ist die Musik. Als „Da Bua“ steht er seit 2018 wieder auf der Bühne. Er ist seit 2014 mit der Tänzerin Maria Sandtner liiert und erwartet im Herbst mit ihr sein erstes Kind.
Marco Angelini auf Facebook: https://de-de.facebook.com/marcoangelinidasoriginal/?ref=page_internal
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