Arzt Roman Szeliga: "Es ist ein menschliches Phänomen, sich wieder aufzurappeln"
Eigentlich ist Roman Szeliga zu beneiden. Als Arzt und Mitbegründer der CliniClowns brachte er jahrelang Freude in Österreichs Krankenzimmer, danach widmete er sich als Coach weiter seinem Lieblingsthema Humor. Lachen ist laut Szeliga derzeit wichtiger denn je. Normalerweise ist der Humorexperte für Vorträge im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs, derzeit kann er seine Dienste nur online anbieten und hat sein Web-Seminar passenderweise „Heiterbildung“ genannt. Das wollen wir versuchen: trotz Krise heiter sein und rufen Dr. Szeliga an.
Herr Szeliga, haben Sie persönlich in Zeiten wie diesen noch gut lachen?
Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit der Kraft des Humors auf verschiedenen Ebenen. Humor ist in den vergangenen Wochen systemrelevant geworden. Er unterhält, lenkt ab, tröstet und vertröstet. Gerade jetzt, wo wir von der Regierung so oft vertröstet werden, was die nächsten Schritte angeht. Da hilft Humor enorm, mit Ungewissheit umzugehen.
Haben Sie bemerkt, dass speziell jetzt in schwierigen Zeiten viele lustige Postings in den sozialen Medien kursieren?
Das ist ganz typisch. Immer, wenn ein Elementarereignis eintritt wie zum Beispiel die Attentate in Paris, wird nach kurzer Schockstarre der Humor ausgepackt. Das hilft, Trauer zu überwinden. Genau deswegen brauchen wir Humor jetzt mehr denn je.
Viele Menschen verlieren derzeit Angehörige. Sie selbst haben als Siebenjähriger den Vater verloren, die Mutter mit 20. Warum wollten Sie da noch Humorexperte werden?
Wenn geliebte Menschen sterben, versteht man natürlich die Welt nicht mehr. Das war für mich und meinen kleinen Bruder eine herausfordernde Zeit. Entweder fällt man dann in ein tiefes Loch oder gerät vielleicht sogar auf die schiefe Bahn. Man kann aber auch Nein! sagen und sein Leben aufgrund dieser Tatsache voll bewusst mit positiver Energie gestalten. Da hat mir Humor extrem geholfen. Ich habe damals mein Medizinstudium mit Zauberkunst finanziert und gesehen, dass es mir sehr guttut, wenn Menschen fröhlich sind. So habe ich entdeckt, dass ich mein Seelenheil selbst in der Hand habe.
Das klingt nachahmenswert.
Wir müssen die Verantwortung nicht abgeben. Ich bin überzeugt: Zu einem Großteil können wir selbst beeinflussen, wie es uns geht. Auch jetzt können wir entscheiden, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, ob wir uns über diese Krise ärgern oder das Danach proaktiv mitgestalten möchten. Dem Virus ist es übrigens vollkommen egal, wenn wir uns über ihn ärgern.
Was ist mit den Pessimisten unter uns?
Denken Sie an die Zeit, als wir Kinder waren und jeden Menschen angegrinst und ein Lächeln geschenkt haben. Im Laufe der Jahre haben wir uns – je höher wir die Karriereleiter hinaufgeklettert sind – immer mehr selbst verboten, humorvoll zu sein. Bis ins Erwachsenenalter hört jeder von uns bis zu 180.000 Mal von anderen, dass Leistung und Humor nicht miteinander vereinbar sind. Dabei ist erwiesen, dass humorvolle Menschen signifikant gesünder leben. Wir müssen dafür kämpfen, wieder mehr Humor in die Welt zu tragen und können gleich damit anfangen. Wissen Sie, was die schönste Turnübung der Welt ist?
Hmmm, da bin ich gespannt ...
Sich selbst auf den Arm zu nehmen.
Das kann nie schaden.
Burt Lancaster hat einmal gesagt: Optimismus ist eine Folge von ungenügender Information. Man kann es aber auch anders sehen. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Als Optimist baue ich mir einen Lebensentwurf, in dem ich mir mein positiv orientiertes Denken täglich selbst beweisen möchte. Das Gleiche machen Pessimisten. Sie haben die Fähigkeit, andere von ihrer schlechten Perspektive zu überzeugen. Beide werden in ihrem Denken und Handeln Recht haben, weil sie sich selbst nicht enttäuschen wollen. Man kann die Dinge im Leben immer so oder so sehen. Was wir jetzt aber brauchen, sind positiv denkende Menschen.
Was ist mit Ängsten?
Es gibt in der Medizin nach Kübler-Ross (Anm.: Sterbeforscherin) fünf Trauerphasen, wenn man eine schlimme Diagnose erhält. Am Anfang steht der Schock, das Leugnen, dann kommt die Wut. Das Verhandeln und Depression folgen. Am Ende ist dann die Akzeptanz. Alle Phasen sind wichtig, aber es ist immer besser, wenn man rasch vom Schock zur Akzeptanz gelangt. Wir müssen Realitäten akzeptieren. Ich habe aufgehört, mit der Realität zu streiten und irgendeinen Verursacher zu suchen. Wir neigen dazu, immer jemanden für ein Ereignis verantwortlich zu machen. Das Gleiche gilt für die Angst. Je schneller ich Angst akzeptiere, desto rascher kann ich sie ablegen. Je mehr ich sie fürchte und vermeide, desto stärker vereinnahmt sie mich.
Mit welchen Waffen schlagen wir Angst?
Es gibt etwas, dass ich gerne in meinen Coachings anwende. Stellen Sie sich ein Worst-Case-Szenario vor. Also: Sie werden gekündigt, verlieren Ihre Wohnung, haben nichts mehr zu essen und landen auf der Straße. Dann schreiben Sie auf, wie realistisch das alles wirklich ist. Werden Sie Ihre Wohnung verlieren? Sicher nicht. Werden Sie genug zu essen haben? Bestimmt! Vielleicht müssen Sie eine schlimme Phase durchtauchen, aber Sie können sagen: „Ich lasse mich nicht ins Abseits schieben.“ Dann beginnt das Kämpfen. Das sieht man auch, wenn man Patienten mit ihren Krankheiten konfrontiert, was ich als Arzt oft erlebt habe. Je rascher die Phase der Akzeptanz einsetzt, desto größer sind die Heilungschancen, weil der Wille zum Kämpfen entsteht.
Was können Selbstständige in dieser prekären Situation tun?
Ich kann nur appellieren, darüber nachzudenken, mit welchen Partnern man in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet hat. Wer sind die Wegbegleiter, denen man auf Augenhöhe begegnen kann? Mit ihnen tut man sich zusammen und sagt: Lasst uns für die Zukunft was Neues planen! In solchen Phasen trennt sich immer die Spreu vom Weizen, auch was Freundschaften betrifft. Man kann herausfinden, wer beruflich und privat zu einem steht und wer nur ein Schönwetterkunde oder -freund ist.
Wissen Sie, was schade ist? Dass wir als Maskenträger kein Lächeln mehr haben.
Absolut, das soll aber auch mit den Masken erreicht werden: Distanz, damit ich niemanden anstecken kann. Ich selbst trage als Ausgleich aber eine Maske mit einem Smiley drauf. Ich lasse mir mein Lächeln durch eine Maske nicht nehmen. Und die Leute grinsen mich an, das sehe ich an den Augen.
Was halten Sie eigentlich von Masken als Fashion-Trend?
Das zeigt, wie kreativ die Menschen sind. Wohnungen werden zu Schneiderwerkstätten, Designer bringen coole Masken auf den Markt. Da sind bestimmt auch Kultobjekte dabei und ich bin überzeugt davon, dass in zehn Jahren die besten Corona-Masken aus dem Jahr 2020 versteigert werden.
Welche positiven Dinge fallen Ihnen noch ein, die uns diese Krise gebracht hat?
Ich habe zum Beispiel neue Computertechniken für Videokonferenzen gelernt. Ich bin kein Computerfreak, habe aber jetzt gesehen, was mein Laptop alles kann. Wir haben alle Extra-Zeit geschenkt bekommen, die wir uns sonst nie genommen hätten. Wir lernen vielleicht unseren Partner neu kennen und Eltern fragen sich, warum am Ende der Nerven noch so viele Kinder wach sind (lacht). Ich finde es auch lustig, welche humorvollen Gedanken sich Menschen über Alltägliches machen. Dass Polizisten derzeit aufs Anhauchen bei Alkoholkontrollen verzichten und solche Sachen.
Angeblich soll die Polizei bei Einsätzen auch sagen: „Hände hoch oder ich niese!“
Humor ist die Kunst, die Dinge anders zu bewerten, auch, wenn noch einiges auf uns zukommen wird. Wenn die heiße Phase in eine angepasste Normalität übergeht, wird es notwendig sein, die eigenen Wunden zu lecken und ebenso rasch zu evaluieren, was übrig geblieben ist. Ich sehe hier als Metapher ein Haus. Kann ich dieses Haus wieder aufbauen oder ist es besser, es abzureißen und vielleicht ein kleineres, neues zu bauen? Es wird einige Unternehmen nach der Krise wahrscheinlich nicht mehr geben. Ich bin trotzdem zuversichtlich. Es ist ein menschliches Phänomen, sich wieder aufzurappeln und zu sagen: So, jetzt fang’ ich wieder an! Das ist meine große Hoffnung, auch wenn es länger dauern wird. Unsere Aufgabe wird sein, die kleinen Blüten, die jetzt auftauchen, wahrzunehmen und als Zeichen für eigene Wege zu sehen.
Sie waren Mitbegründer der CliniClowns. Was hilft Ihnen aus der Zeit jetzt am meisten?
Wir vergleichen uns oft mit Menschen, denen es besser geht als uns, aber es gibt immer Menschen, denen es schlechter geht – Kinder, die ihr Leben bald beenden müssen. Daran denke ich, wenn es mir einmal nicht so gut geht. Unser ältester Patient wird heuer 100 Jahre jung, unser kleinster ist ein drei Monate altes Mädchen, das die CliniClowns in den Schlaf gesungen haben. Wir machen pro Jahr 1.650 Visiten, insgesamt haben wir 1,5 Millionen Patienten 5,7 Millionen Lachminuten geschenkt. Es gibt viele Dinge, auf die ich stolz bin, aber wenn es etwas wie ein Lebenswerk für mich gibt, ist es, bei den CliniClowns gewesen zu sein.
Wie wäre es zum Schluss mit einem Crashkurs in Sachen Humor?
Okay, machen Sie sich einmal folgende Gedanken. 1. Worüber musste ich in den letzten Wochen schmunzeln oder lachen? 2. Was sind generell Dinge, über die ich besonders gut lachen kann? Slapstick, ein Versprecher, drollige Tiere, lustige Pointen aus Kabaretts – das definiert den Humor, den man selbst am liebsten einsetzt. 3. Was ist mein Lieblingswitz, was meine Lieblingsgeschichte, meine Lieblingspanne, die ich Menschen jetzt am Telefon erzählen kann, um sie aufzuheitern? Alles, was ich bewusst humorvoll wahrnehme, hilft mir, wieder mehr Sensibilität für Humor zu bekommen.
Was soll von dieser Krisenzeit bleiben?
Wenn wir später an diese Zeit zurückdenken und unseren Kindern und Enkeln davon erzählen wollen, was passiert ist, müssen wir dafür sorgen, dass die jetzige Phase positiv wird. Ich denke mir, sei realistisch und erwarte Wunder. Sei ein Teil des Wunders, weil das notwendig, ist, damit es real wird. Und schenk dem ein Lächeln, der es am dringendsten braucht.
Roman Szeliga, 58, wurde 1962 in Wien geboren. Als er sieben Jahre alt war, verlor er seinen Vater, Szeligas Mutter starb, als er Anfang 20 war. Der junge Student ließ sich aber nicht unterkriegen, kümmerte sich um seinen jüngeren Bruder und schloss eine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin ab. Sein Studium finanzierte er als Zauberkünstler und entdeckte dabei die Kraft des Humors.
Szeliga war Mitbegründer der CliniClowns Europa und war gemeinsam mit Schauspielerin und Improvisationskünstlerin Kathy Tanner der Erste, der schwerkranke Kinder und Erwachsene kontinuierlich besuchte. Heute hält Szeliga als Humorexperte Vorträge im ganzen deutschsprachigen Raum. Der unverbesserliche Optimist („Sogar meine Blutgruppe ist positiv“), lebt mit seiner Frau Margit, zwei Katzen und einem Hund in Wien.
Roman Szeliga: „Hirn mit Herz hat Hand und Fuß – Wie Humor und gute Gefühle Ihr Leben verändern“, erschienen bei Amalthea
Kommentare