Ich war verliebt und verblendet

Ich war verliebt und verblendet
Die Anwältin Astrid Wagner, 52, war die letzte Frau im Leben des Mörders Jack Unterweger. Der Start des Films „Jack“ weckt Erinnerungen. In der freizeit verrät sie, warum eine empathische Frau einen Mörder lieben kann, wie man Vorurteilen begegnet und warum Kriminalfälle so faszinierend sind.

Frau Wagner, verliebt in einen Mörder. Glauben Sie, dass das jedem passieren kann?

Es sagt sich leicht: Wie naiv kann man sein? Mir ist im Leben schon einiges passiert und da habe ich verlernt zu urteilen. Es gibt ein arabisches Sprichwort: Bevor man jemanden verurteilt, soll man mit dessen Schuhen gehen. Mir ist jedenfalls nichts mehr fremd – von der Geschlechtsumwandlung bis zu ich weiß nicht was. Mir sind Menschen, die nicht konform sind viel lieber. Das ist doch das Spannende im Leben.

Nicht zu urteilen ist ein hohes Ziel. Wie haben Sie es erreicht?

Man sollte einfach versuchen, sich in andere hineinzuversetzen. Aber es ist natürlich schwer. Ganz ohne Lebenserfahrung und den offenen Umgang mit Menschen wird es nicht gehen. Wenn man immer im selben Trott ist, wird man leicht festgefahren. Mir ist aufgefallen, dass Menschen mit einem Schicksal wie zum Beispiel einem behinderten Kind oft mehr Tiefe haben und reflektierter sind.

Durch Ihre Liebe zu Jack Unterweger hatten auch Sie mit Vorurteilen zu kämpfen. Viele verstehen nicht, wie man einen schon verurteilten Mörder lieben kann, der möglicherweise elf weitere Frauen ermordet hat. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich war angeblich schon als Kind sehr trotzig. Es liegt also in meinem Naturell, dass mir Widerstand Kraft gibt. Es kommt mir auch als Anwältin mehr entgegen, wenn ich starke Gegner habe. Denn wenn ich merke, dass jemand schwach ist, habe ich eine gewisse Beißhemmung. Mir ist es lieber, wenn ich kämpfen kann. So war das auch bei Jack. Ich war damals auch noch sehr jung. Da steckt man Anfeindungen leichter weg.

Wie kann man einen Mörder lieben? Der Psychiater Reinhard Haller sprach einmal von einem Helfersyndrom.

Sein Prozess war ja nicht fair. Viele Entlastungszeugen wurden nicht gehört und es wurden 103 Beweisanträge der Verteidigung zurückgewiesen. Man weiß also nicht, ob er die Taten begangen hat. Ich bin ein sehr empathischer Mensch. Er hat mir leid getan. Man muss aber auch sagen, dass die Hemmschwelle weg ist, wenn man so eine Grenze überschritten hat. Einmal Mörder, immer Mörder. So jemand kommt als Täter immer in Betracht.

Es gab auch viele Petitionen Prominenter zu seiner vorzeitigen Entlassung.

Damals gab es einen anderen Zeitgeist. Auch ich war in den 1980ern sehr links orientiert. Ich habe damals einen Film über Jack Unterweger gesehen und dachte eben, dass er ein Opfer der Umstände war. Man hat das mit dem Mord in den 1970er-Jahren zu sehr verdrängt. In dieser Zeitgeistblase war ich halt drinnen.

Waren Sie schon immer ein Mensch, der sich für „Außenseiter“ eingesetzt hat?

Ich kann mich noch an eine Geschichte in meiner Kindheit erinnern. Meine Cousine und ich fanden einen Vogel. Sie wollte ihn auch halten. Da ist er ausgekommen und in einen Fluss gehüpft. Als dann meine Mutter kam und meinte, wir würden ins Schwimmbad fahren, war meine Cousine gleich begeistert. Ich habe aber den Vogel betrauert, der nicht mehr auffindbar war. Ich leide schon ein bisschen an der Welt und dass sie so schlecht ist.

Haben Sie einen Mann, der nachweislich eine Frau umgebracht hat, nicht auch als schlecht empfunden?

Ich war einfach skeptisch, was ihm damals alles vorgeworfen wurde. Aber ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich trotz allem nicht gesehen habe, dass er 1974 ein 18-jähriges Mädchen umgebracht hat. Man muss auch daran denken, wie alt sie jetzt wäre. 59. Das ist kein Alter. Ein Leben auszulöschen ist furchtbar. Ich war verliebt und verblendet.

Man könnte es auch anders sehen und sagen, dass Ihre Liebesfähigkeit größer als die anderer Menschen war. Wer will schon einen Mörder lieben? Woher kommt die Toleranz?

Ich glaube, von meiner Mutter. Sie war eine sehr liebesfähige Person, der gleich einmal wer leid getan hat. Sie hatte wie ich etwas nicht Angepasstes. Können Sie sich an den Pumpgun-Ronnie erinnern? Das war ein Bankräuber, der österreichweit gesucht wurde. Damals hat meine Mutter gesagt: „Wenn der bei uns auftaucht, müssen wir ihm Unterkunft geben.“

Was hat sie zu Ihrer Freundschaft mit Jack Unterweger gesagt?

Der Unterweger hat ihr wegen der Vorverurteilung auch leid getan. Er hatte keine Chance. Obwohl sie auch gemeint hat, dass er nie ihr Typ war. Sie hat ihn auch besucht. Aber eher, weil sie sich Sorgen um mich gemacht hat – beide Eltern. Mein Vater hatte einen gewissen Weitblick. Er war ein Managertyp und als ich ihm einmal gesagt habe, dass ich das alles nicht mehr aushalte, meinte er: „Steh es durch und verstecke dich nicht.“

Was hat Sie die Beziehung zu Jack gelehrt?

Ich habe damals gelernt, dass man sich was trauen kann, auch wenn man einen Mörder liebt. Die Welt geht deshalb nicht unter. Man kann trotzdem die Anwaltsprüfung machen und durchstarten. Man kann alles schaffen, wenn man gute Leistung bringt. Es gibt immer Leute, die einem vertrauen und es toll finden, was man macht.

Glauben Sie, dass Sie sich je wieder in einen Mörder verlieben könnten?

Zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr. Jack war ein Unikat. Ich hab auch nie wieder einen Menschen wie ihn erlebt. Seine Biografie war einmalig. Unsere Sache war auch einmalig. Sehr schicksalhaft.

Warum schicksalhaft?

In dem Monat, als er entlassen wurde, habe ich gerade mein Studium abgeschlossen. Das haben wir im Nachhinein besprochen. Er war ja, ich will nicht sagen esoterisch. Aber er hat sich mit solchen Sachen befasst. Wir haben uns auch Briefe geschrieben, in denen idente Sachen gestanden sind. Es kann auch sein, das wir im Radio dasselbe gehört haben. Aber ein Gleichklang war schon da.

Spüren Sie noch eine Verbindung zu ihm?

Ich hatte das Thema schon ein bisschen verloren, weil ich einen sehr erfüllenden Beruf habe. Da bleibt wenig Zeit, über Privates nachzudenken. Die Erinnerung kommt eher durch die Medien. Jetzt kommt der Film ins Kino, vergangenes Jahr waren es 20 Jahre, seit er sich in seiner Zelle erhängt hatte. Es war ein grausliches Gefühl, einen Menschen, der einem wichtig war, von außen dargestellt zu bekommen. Da habe ich mich schon gefragt: Wo ist mein Jack, der Jack, den ich gekannt habe? Deshalb habe ich auch mein Buch „Verblendet“ geschrieben. Sonst hätte ich vielleicht vergessen, wer er für mich war.

Es ist offenbar schwer, ihn loszuwerden.

Ich denke einfach, dass er ein Stück Zeitgeschichte ist. Ich will nicht unbedingt den Vergleich mit Jack the Ripper machen, aber über den spricht man heute noch. Jack ist der österreichische Serienmörder. Ob er es war oder nicht, sei dahin gestellt. Aber er ist in der Kriminalgeschichte eine Figur. Fast schon ein Mythos.

Was macht seine Faszination aus?

Er vereinbart Sex, Crime und Poesie. Dazu hat er nicht schlecht ausgeschaut. Die Frauengeschichten tun ihr Übriges dazu.
Haben Sie die vielen Frauengeschichten nicht gestört? Frauen wollen doch in der Regel „die Einzige“ sein.
Ich habe im Zuge des Prozesses damals seine Tagebücher gelesen und mir gedacht: Das darf alles nicht wahr sein. Er hat überall Frauen kennengelernt, auch im Zug, bei jeder Gelegenheit. Es war fast ein bissl so, als hätte er etwas nachholen wollen. Wobei es gar nicht so wenige Männer gibt, die Frauen sammeln.

Womit hat Unterweger gepunktet? Mit seiner Fähigkeit zuzuhören?

Genau, das konnte er. Eine Hausfrau aus Leoben hat ihm von ihrem primitiven Ehemann erzählt. Dass er sie schlägt und vieles mehr. Jack hat ihr Tipps gegeben und sie hat sich verstanden gefühlt.

Er war einerseits ein Frauenversteher und andererseits ein Frauenhasser. Haben Sie diese Seite je an ihm erlebt?

Ich selbst habe ihn nie aggressiv oder bösartig erlebt. Ich glaube auch, dass ich nichts zu befürchten gehabt hätte, wenn er in Freiheit gewesen wäre. So viel Gespür habe ich. Ich war für ihn eine von den Frauen, denen man nichts tut.

Wie hat er Ihrer Ansicht nach unterschieden?

Alle Überlegungen, die ich jetzt anstellen würde, wären Küchenpsychologie. Aber es ist teilweise schon so, dass manche Menschen spüren, wenn ihnen jemand unterlegen und damit ein potenzielles Opfer ist. Ich glaube, dass es Frauen waren, die ihm unterlegen waren, wenn er es gewesen sein sollte.

Die dunkle Seite an ihm kann man dennoch nicht leugnen.

Es gab viele Frauen, die schwer begeistert waren von ihm. Es war schwierig, welche zu finden, die negativ gegen ihn ausgesagt haben. Alle, die negative Zeugen hätten sein können, waren ja tot. Es gab eine Hauptbelastungszeugin, die im Film Architektin ist. Sie hatte eine Affäre mit ihm, von der ihr Mann nichts wusste. Erst als die Polizei bei ihm war. Im wahren Leben ist die Frau Unternehmergattin und hat ausgesagt, dass Jack sie mit einer Halskette gewürgt und ihr gedroht hätte, ihr Haus anzuzünden. Ich kenne die Akte. Sie war die negativste Zeugin.

Vielen Frauen würde das reichen, um davonzurennen. Sie sind aber geblieben und haben ihn unterstützt.

Ich habe mich schon immer zu den, ich will nicht sagen bösen Buben, hingezogen gefühlt. Meine Männer waren alle nicht unbedingt Häfnbrüder, aber interessante Typen, ein bissl ungewöhnlich. Ich habe es immer geschätzt, wenn jemand abenteuerlustig war. Wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mir einen Familienvater gesucht oder gleich einen Hausmann. Ich habe einmal einen vertreten. Seine Frau war Anwältin, er Hausmann und in Wirklichkeit meiner Meinung nach ewiger Student. Die beiden hatten ein Kind. Als es zur Scheidung kam, wollte er Unterhalt von ihr. Ich wäre eine gewesen, die Unterhalt gezahlt hätte. Meine Gutmütigkeit. Zum Glück muss ich das nicht, weil ich nicht verheiratet bin.

Warum haben Sie nie geheiratet?

Ich schreibe das in meinem neuen Buch „Rosen & Kriege“. Ich glaube, es hat mit meinem Beruf zu tun. Ich habe da schon zu viel erlebt. Wobei es auch ein Mythos ist, zu glauben, dass eine Frau alles haben kann.

Sie meinen Beruf und Familie.

Wenn ich ein Kind gehabt hätte, wäre ich zu 150 Prozent Mutter gewesen. Es gibt Frauen, die das anscheinend lockerer sehen. Mutter sein ist Verantwortung. Das sehe ich nicht locker. Es wäre vielleicht machbar, wenn die Gesellschaft anders ticken würde. Da müsste ich als Anwältin die Kinder zu Gericht mitnehmen können.

Sehen Sie sich im Fernsehen eigentlich Serien wie „Dexter“ an? Dort geht es auch um einen Serienmörder.

Das nicht, aber ich verschlinge „True Crime“. Ich schau mir auf „YouTube“ große Kriminalfälle an, aber leider kenne ich alle schon. Stephan Harbort, ein Kriminalist und Experte für Serienmörder, schreibt sehr gute Bücher. In „Ich musste sie kaputt machen“ geht es um einen Serienmörder, der eine ziemliche Dumpfbacke war, ein primitiver Mensch. Er hat 50 Frauen umgebracht und in ganz Deutschland sein Unwesen getrieben. Das habe ich vor zehn Jahren gelesen, aber es war so spannend geschrieben, dass ich mich in den Täter hineinversetzen konnte – warum er das getan hat. Er hatte einen extremen Trieb und war zu schwach, diesen zu beherrschen.

Kann man nach so einer Lektüre überhaupt noch schlafen?

Ich lese wirklich nur wahre Kriminalfälle. Ich glaube, das ist für mich wie eine Droge, die eine andere aufhebt. Mich interessiert nicht die Gewaltebene, sondern die psychologische Seite – welche Irrwege die menschliche Psyche geht.

Die Frage ist, warum man ein so intensives Bedürfnis hat, sich mit derartigen Dingen auseinanderzusetzen.

Ich bin so ein empathischer Mensch und frage mich das oft. Wahrscheinlich ist es ein Narkotikum, eine Abhärtung. Da tut mir grad wer weiß was leid und ich muss so was lesen, damit ich mir denke: Es gibt noch andere schlimme Schicksale.

Sie kommen im Film „Jack“ nicht vor. Werden Sie ihn sich trotzdem ansehen?

Ich bin froh, dass ich nicht vorkomme. Da hätte ich mich zu sehr aufgeregt, wer mich spielt. Was den Film betrifft: Es ist immer schwierig, wenn man etwas selbst erlebt hat. Aber wahrscheinlich werde ich so neugierig sein, dass ich ihn mir anschauen werde.

Astrid Wagner, 52, ist in Fürstenfeld aufgewachsen. Nach Aufenthalten in Wien und Paris studierte sie Jus in Graz und war später Chefin der Mietervereinigung Steiermark. 1992 nahm sie Kontakt zum Mörder und mutmaßlichen Serienmörder Jack Unterweger auf, der nur einen Häuserblock von ihrer Wohnung entfernt, in der Justizanstalt Graz-Jakomini einsaß. Bis zu seinem Selbstmord 1994 entwickelte sich zwischen beiden eine platonische Liebesbeziehung mit regem Briefwechsel und regelmäßigen Gefängnisbesuchen. Seit 2001 arbeitet Wagner als Rechtsanwältin in Wien und lebt mit ihrem Lebensgefährten und drei Katzen zusammen. Astrid Wagner arbeitet auch als Autorin und hat ihre Geschichte mit Jack Unterweger im BuchVerblendet verarbeitet. Ihr neues Buch heißt „Rosen & Kriege“, beide sind im Seifert Verlag erschienen. www.astrid-wagner.at

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