Alltag Virtuell
Wie geht’s dir, Opa?“ – „Gut, danke. Schön, dass du mal wieder vorbeischaust“, sag ich und setze mich ein wenig ächzend neben meinen Enkel auf die Couch. Er sieht so unglaublich echt aus. „Was treibst du denn immer?“, frag ich. „Ach, du weißt schon. Uni halt, Vorlesungen, lernen ... Party.“ Er grinst. Ich fahr ihm mit der Hand durch die schwarzen Locken. Wo ich ihn berühre, beginnt das Bild zwar ein klein wenig zu flimmern – aber ich kann ihn tatsächlich spüren. Vor ein paar Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen, doch die neue Ultraschalltechnologie ermöglicht es, Hologramme zu spüren. Und vice versa. „Hey, nicht, meine Haare“, sagt er und zieht den Kopf ein wenig weg. „Ein Date?“, frag ich. Er grinst noch breiter. „Ja, in 15 Minuten, Koko Club – der ist echt alt, den müsstest du auch noch kennen.“ Er macht seinen Master in London, und wie viele seiner Studienkollegen nutzt er die Möglichkeit, in einer anderen Stadt zu studieren. Zumindest beruflich wird er später nicht mehr viel reisen. „Pass auf dich auf“, sag ich, „und überlass dem Wagen das Steuer. Vor allem, wenn du getrunken hast.“ - Er lacht. „Ach Opa, du immer mit deinen Sorgen. Kein Mensch fährt heute noch selber – das ist sowas von gestern.“ Science-Fiction? Natürlich. Aber in den Jahren 2039, 40 oder sagen wir 2044 könnte eine Situation wie diese der Realität durchaus nahekommen. Zur Verdeutlichung ein kurzer Blick in die Vergangenheit: Als wir Kinder waren, liebten wir die Zeichentrickserie „Die Jetsons“ mit ihren fantastischen Errungenschaften wie etwa dem „Bildtelefon“. Skype und FaceTime machen das heute längst zur Wirklichkeit. Und zwar technisch wesentlich besser, als man es sich noch vor wenigen Jahren erhoffen durfte. Captain Kirks berühmtes Aufklapp-Funkgerät („Beam me up, ...“) wird heute von jedem Billig-Smartphone bei Weitem übertroffen.
Wolfgang Baumjohann
Direktor des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Und was in den nächsten 25, 30 Jahren auf uns zukommt, wird diese bisherigen Erfindungen und technologischen Neuerungen wie Jahrmarkt-Tricks aussehen lassen. Der Grund: Geld natürlich, oder besser gesagt, Gewinn. Denn es lässt sich unglaublich viel Geld sparen – und so entsprechend mehr Profit lukrieren –, wenn man seine Mitarbeiter zu Meetings nicht um den halben Erdball fliegen lassen muss. Oder, auf einer alltäglicheren Stufe, Angestellte sich nicht mehr stundenlang durch die Stadt quälen müssen, sondern gleich nach der Dusche von zuhause aus mit dem Chef konferieren können – und praktisch mit der ganzen Welt in Verbindung stehen. So erstaunt es auch nicht, dass sich die prognostizierte Summe, die Unternehmen weltweit im Jahr 2016 für Videokonferenztechnologie ausgeben werden, auf knapp 4 Milliarden Euro beläuft.
Bis ins Jahr 2020, so die gleiche, von der BBC in Auftrag gegebene Studie, werden dafür durch „Telepresence Units“, also Videokonferenz-Terminals, allein im Vereinigten Königreich bis zu 19 Milliarden Euro eingespart.
Gleichzeitig wird die Umwelt geschützt. Schon der Wegfall von Flügen auf Executive-Ebene könnte den Ausstoß von Treibhausgasen um bis zu 15 Prozent reduzieren. Die Umstellung auf Elektro-Autos wird in dieser Angelegenheit natürlich auch eine Verbesserung bringen.
„Schon in 20 Jahren sollten sich die „Plug-in-Hybride“ völlig durchgesetzt haben“, sagt Stephan Herbst, General Manager Energy Research von Toyota Motor Europe, „also Autos, deren Batterie eine Reichweite von mehr als 20 km hat, und die in der Nacht wieder vollständig geladen werden.“
Ob er meinen zukünftigen Enkel auch im fahrerlosen Auto durch die Londoner Nacht kutschieren sieht? „25, 30 Jahre sind eine gewaltige Zeitspanne. Da kann natürlich viel passieren, was heute nur schwer voraussehbar ist. In der näheren Zukunft sehe ich es allerdings eher so, dass das Auto zu so etwas wie einem Co-Piloten wird. Die technischen Innovationen werden mehr und mehr zur Unterstützung des Fahrers dienen. Aber ich bin auch schon von einem selbstfahrenden Auto chauffiert worden. Es funktioniert. Die Frage ist, wie schnell der Weg zur Serienreife wichtiger Komponenten wie der Erkennungstechnik zurückgelegt werden kann.“
Der Sheffielder Robotiker Noel Sharkey ist sogar überzeugt, dass im Jahr 2040 Roboter auf Polizeistreife gehen werden...
Das zweite Standbein, das uns technologisch endgültig ins neue Jahrtausend katapultieren wird, ist wieder einmal die Unterhaltungsindustrie. Hier ist immer noch viel zu verdienen, sogar in Zeiten langanhaltender Wirtschaftskrisen. Das kurbelt die Entwicklung an – und andererseits arbeiten Wissenschaftler und Robotiker schon seit einiger Zeit mit Erfindungen wie der Microsoft Kinect, weil sie massenkompatibel und dadurch wesentlich billiger sind.
Und was mit der Weiterentwicklung von Datenhelmen wie dem „Oculus Rift“ in Sachen Virtual Reality auf uns zukommen wird, könnte einer regelrechten Revolution gleichkommen (siehe Zukunft: Spiel & Freizeit).
Ein ganz großer Traum der Menschheit wird sich allerdings auch bis in die 1940er-Jahre unseres Jahrtausends nicht erfüllen: die Reise zu den Sternen. Oder zumindest zu anderen Planeten unseres Sonnensystems. „Technisch ist das praktisch jetzt schon möglich“, erklärt Wolfgang Baumjohann, Direktor des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Aber? „Es ist eine Kostenfrage – und leider ist uns bei der Marsmission die Weltwirtschaftskrise dazwischen gekommen. Aber wie gesagt, technisch ist es möglich, und wir wären auch jetzt in der Lage, in einem absoluten Kraftakt einen kleinen Teil der Menschheit in einer Art Kolonie auf dem Mars zu retten, sollte es nötig sein, weil etwa auf der Erde alles kollabiert. Das darf man sich natürlich nicht vorstellen, wie eine Weltraumstadt in einem Science- Fiction-Film, sondern eher wie eine Forschungsstation in der Antarktis. Auch dort sind die Bedingungen ja absolut lebensfeindlich. Und trotzdem sind wir dort. Ich gehe allerdings davon aus, dass 2050 dann wirklich die ersten Menschen zum Mars reisen werden.“
Warum eigentlich? „Für die Forschung ergibt es tatsächlich keinen Sinn, einen Menschen ins All zu schicken. Warum wir es trotzdem tun? Weil wir es können. Das ist wohl die Natur des Menschen – und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.“
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