Die erste große Liebe

Die erste große Liebe
Wenn Vater und Tochter denselben Beruf ergreifen, kann das ein Segen sein oder ein Fluch. Manchmal beides. Im neuen Doppel-Interview „Family-Business“ kommen ab dieser Woche prominente Menschen zu Wort, die familiär miteinander verbunden sind. Den Anfang machen die Schauspieler Adi & Maddalena Hirschal.

Herr Hirschal, oder besser gesagt, Herr Professor – Ihnen wurde vor kurzem dieser Titel verliehen. Eine große Auszeichnung, aber auch eine Alterserscheinung, oder?

Adi Hirschal: Na ja, eine Alterserscheinung ist für mich ein Altersfleck. Man braucht schon ein gewisses Alter für den Titel, wie ich auf Wikipedia gelesen habe. Ehrlich gesagt stehe ich vor einem Rätsel, weil er für mich Stabilität bedeutet. Mein Leben war eher Labilität.

Jetzt sind Sie aber streng mit sich.

Adi: Gut, schlussendlich kann es auch so sein, ohne dabei eitel zu klingen, dass es das Ergebnis eines gelebten Lebens und einer dauernden Bemühung ist.

Maddalena Hirschal: Ich werde jetzt nur noch Herr Professor zu dir sagen.

Adi: Untersteh’ dich. Der Titel bleibt einigen böswilligen Freunden vorbehalten. Das passt ja nicht zu mir. Ich würde es komisch finden, wenn mich jemand mit Herr Professor grüßt.

Sie sind 66 Jahre alt und kennen die Höhen und Tiefen des Schauspielerlebens. Kinder, die in die Fußstapfen prominenter Eltern treten, haben es nie leicht. Wie war es, als Sie erfahren haben, dass Ihre Tochter Maddalena Schauspielerin werden will?

Adi: Ich habe meine Tochter nicht einmal, sondern des öfteren vor den Klippen und Spalten gewarnt, die in so einem Künstlerleben warten. Ich habe kein Verbot ausgesprochen, aber gesagt: Leicht wird es nicht werden.

Welche Klippen haben Sie gemeint?

Adi: Es ist ein sehr gefragter und beinahe überlaufener Beruf. Da braucht man eine gewisse Steherqualität, Durchsetzungsvermögen, Talent und Ausstrahlung, um dort zu sein, worauf es ankommt: Auf der Bühne und vor der Kamera.

Maddalena, haben Sie diese Worte in Ihrem Bestreben je wankelmütig gemacht?

Maddalena: Ich habe Zahnmedizin studiert, mich aber auch an mehreren Schauspielschulen beworben. Irgendwie wollte ich immer in die Richtung gehen und habe in der Schule Theater gespielt. Ganz sicher war ich mir aber nicht. Als ich nach der dritten Bewerbung in Graz aufgenommen wurde, hat sich mein Weg für mich aufgetan. Mein Talent wurde von außen begutachtet und für ausbildungsfähig erklärt.

Sie haben in einem Interview einmal über die schwierige Situation für junge Schauspieler geklagt. Wie stellt sich die Lage im Moment für Sie dar?

Maddalena: Es ist nach wie vor schwierig. Ich habe aber das Glück, seit dem Ende der Schule von der Schauspielerei leben zu können. In Österreich ist es besser als in Deutschland. Dort sind die Gagen seit zehn Jahren nicht gestiegen.

Adi: Die Gagen sind sogar gefallen.

Maddalena: Aber es kämpft jede Branche, das kann man nicht nur aufs Schauspiel reduzieren. Und eines möchte ich zu Adis Bedenken noch sagen. Ich hatte sie auch. Es gab nie die romantische Vorstellung: „Ah, ich werde Schauspielerin und gehe nach Hollywood.“ Ich konnte den Adi im Beruf beobachten und wusste, was es ist. Und zweifeln tut man sowieso immer.

Sie nennen Ihren Vater Adi?

Maddalena: Ja, immer schon.

Adi: Ich bin ein 68er. Das war damals Mode und ich finde es ganz gut, weil kein Gefälle entsteht und man sich auf einer Ebene begegnet. Da muss man statt Vater- eben Freundesqualitäten entwickeln. Das haben wir geschafft und sind uns sehr freundlich gesinnt.

Maddalena, Sie sind mit „Das Tagebuch der Anne Frank“ zwei Jahre bei den Festspielen in Bad Hersfeld aufgetreten. Warum der Weg nach Deutschland?

Maddalena: Der Name Hirschal ist hier nicht nur durch mich bekannt. Anstatt zu baggern und zu schauen, was geht, wollte ich mich alleine beweisen. Das ist mir geglückt, unabhängig davon, dass ich die Tochter von Adi Hirschal bin. Ich habe die positiven Resonanzen sehr genossen, weil ich danach sagen konnte: „Okay, das ist mein eigenes Ding.“

Haben Sie je bedauert, „die Tochter von“ zu sein?

Maddalena: Nie, sonst würde ich nicht hier sitzen und ein gemeinsames Interview geben. Sich zu distanzieren ist total verblödet. Adi ist mein Vater, er ist bekannt hier und damit habe ich als Schauspielerin umzugehen. Ich genieße es auch, mit meinem Vater künstlerisch zusammenzuarbeiten, weil ich Leute um mich haben will, die ich mag. Und das ist in erster Linie meine Familie. Da kann mir auch keiner erklären, dass ich darauf verzichten soll, beim Papa im Theater zu spielen, weil es nicht gut für die Karriere ist. Darauf pfeife ich.

Sie haben in Bad Hersfeld standing ovations bekommen, die Presse lobte Ihre „herausragende Leistung“. War die Resonanz in Österreich ähnlich gut?

Maddalena: Ich habe die Anne Frank an einigen Wiener Theatern gespielt und es war toll. Aber als Schauspieler ist es oft so, dass man sich nicht für die Größe eines Projektes entscheidet, sondern für das, was einem am Herzen liegt. Ich arbeite auch gerne mit Menschen, die mich schätzen. Das ist mir bei der Entscheidungsfindung wichtig. Ich glaube auch, dass ich die „Anne Frank“ wieder spielen werde. Wir werden sehen.

Adi: Berlin ist interessiert.

Ab Juli spielen Sie beim Kultursommer Laxenburg, wo Ihr Vater künstlerischer Leiter ist, im Stück „Ewig jung“. Ihr Vater ist auch Intendant des Wiener Lustspielhauses. Er ist 66, Sie 31. Haben Sie vor, irgendwann seine Arbeit fortzusetzen?

Maddalena: Ich habe keinen Masterplan. Mein Leben ist auch sehr verbunden mit meinem Mann. Wir wissen nicht, wohin es geht. Solange ich mit Adi arbeiten kann und Spaß habe, mache ich das.

Adi: Also ich habe das Gefühl, die Ästhetik meiner Ideen wird durch Maddalena richtig aufgemöbelt. Sie tapeziert mir alles neu und ist das junge Element in meinem Theater. Sie gibt mir Impulse und ich höre mittlerweile wirklich auf sie.

Maddalena: Als Kind glaubt man ja, die Eltern haben die Wahrheit für sich gepachtet. Irgendwann kommt man drauf, dass das nicht stimmt. Das tut weh, weil Sicherheit verloren geht. Andererseits entwickelt sich eine erwachsene Beziehung, in der jeder seine Ansichten abwägt. Früher dachte ich: „Ich frage Papa. Dann ist alles klar.“ Heute sagt er: „Entscheide selbst. Dinge können für dich anders sein als für mich.“

Das klingt nach einem sehr respektvollen Umgang miteinander.

Adi: Ich habe mit meiner Frau oft diskutiert, ob man gewisse Dinge tun oder lassen soll. Wir haben den Kindern etwas vorgelebt und ich hoffe, es ist gut. Ich habe im Leben immer viel gelassen – ich lasse es bleiben oder ich ergebe mich. Ergeben zeigt dann immer ein Ergebnis. Man macht etwas und daraus folgt etwas. Wenn das sichtbar wird und die Leute es mögen, nenne ich das Erfolg.

Wie sehr wünschen Sie Ihrer Tochter den großen Serien-Erfolg à la „Vorstadtweiber“?

Adi: Sie hat ja Serien gespielt.

Maddalena: Nur keine durchgehenden Rollen. Ich bin dann eben nach vier Folgen gestorben. Das ist Pech, weil wenn eine Serie gut läuft, kann man nicht wieder auferstehen. Das ist eine Glückssache im Leben. Es gibt einfach wahnsinnig viele gute Leute und nicht wahnsinnig viele Rollen.

Adi: Es gibt so viele Beispiele für Erfolg, die im Hintergrund in einer Katastrophe enden. Das darf man nicht wegdenken. Aber ich kann nur für mich sprechen. Ich bin ja auch in diesem Beruf. Für mich war immer wichtig, Dinge bestmöglich zu machen und nicht, auf etwas hinzuarbeiten. Und wenn man sich fürs Theater entscheidet wie du, steht man nicht immer zur Verfügung.

Maddalena: Daran liegt es bei mir nicht.

Adi: Okay, entschuldige, der Einwand wird gestrichen.

Maddalena: Nein, sag’ nur. Aber ich bin ja nicht fest an einem Theater.

Adi: Na ja, aber der Sommer ist schon ein großer Brocken, da bist du nicht verfügbar. Der ist immer geblockt.

Maddalena: Letzten Sommer habe ich neben dem Theater einen großen Kinofilm gemacht. Ich drehe immer wieder und kann mich nicht beklagen.
Muss es für eine Schauspielerin nicht auch Ziel sein, dass zwischen Vorarlberg und dem Burgenland jeder Dritte sagt: „Maddalena Hirschal kenn’ ich“?

Maddalena: Ich kenne Schauspieler, die so gut sind, dass es fast weh tut. Die drehen große Filme in Israel und kaum einer kennt sie. Sie kriegen oft auch keinen Cent dafür bezahlt. Die spielen auch für nix in kleinen Stücken, weil sie an einem großen Theater nie eine Chance hatten. Schauspielerei ist eine Leidenschaft – und wie gesagt Glück.

Adi: Irgendein g’scheiter Mensch hat einmal gesagt: „Der Zufall begünstigt nur einen vorbereiteten Geist.“ Man muss sich auf den Zufall vorbereiten und auf das Glück auch. Das beinhaltet, aufmerksam, wachsam und neugierig zu sein.

War es zu Ihrer Zeit noch leichter, gute Rollen zu bekommen?

Adi: Das kann ich nicht sagen, weil ich immer einen sonderbaren Weg gegangen bin. Zum ersten Mal Bühnenluft geatmet habe ich bei den Wiener Sängerknaben und war dann abhängig wie ein Drogensüchtiger. Ich habe den Beruf lange auf Distanz gehalten, Jus studiert und wollte Diplomat werden. Aber irgendwie hat mich das Schicksal, Schauspieler zu werden, immer wieder ereilt.

Sie meinen, Sie wollten abspringen, aber dann kam wieder eine gute Rolle?

Adi: Zuerst bin ich am Reinhardt-Seminar genommen worden. Ich könnte Ihnen heute gar nicht sagen, warum das so schnell gegangen ist. Dann hatte ich das Glück mit Giorgio Strehler in Salzburg die unglaubliche Produktion „Spiel der Mächtigen“ machen zu dürfen. Über diese Arbeit bin ich zu früh ans Burgtheater berufen worden. Dort hatte ich meine erste Berufskrise, weil ich, wie ich fand, nicht groß genug gespielt habe. Die Folge war ein Time-out von fünf Jahren. Eine Zeit, aus der ich viel speise, was ich heute beim Theater einbringen kann.

Die Zeit, als Sie mit der Familie neun Monate im Wohnmobil gelebt haben.

Adi: Ein halbes Jahr. Meine Frau hat mich oft gefragt: „Warum tun wir das?“ Ich wollte einfach wissen, ob das geht. Maddalena war damals ein Windelkind. Es war die romantische Idee, nichts zu haben, außer vier Räder und Geld für Diesel und die Auto-Wartung – ein Hippie-Traum. Die Romantik hat aber auf einem Parkplatz in Belgien im strömenden Regen geendet. Danach habe ich mich schnell und demütig um eine Wohnung in Wien bemüht.

Maddalena: Aber den Wohnwagen hatten wir noch, bis ich zehn Jahre alt war.

Adi: Du hast heiße Tränen vergossen, als wir ihn weggegeben haben.

Maddalena: Das stimmt, heiße Tränen. Ich habe dem Wohnwagen Briefe geschrieben, bis ich 15 war.

Adi: Sie hat immer gesagt: „Unsere Wohnung ist weg. Wie kannst du das machen?“ Wir haben die Kinder oft eingepackt und sind über Nacht weggefahren. In der Früh waren wir dann in Triest oder in den Bergen oder an einem See. Das war für die Kinder nicht schlecht, glaube ich.

Das klingt nach großer Harmonie.

Maddalena: Wir waren immer sehr eng. Alle vier. Ich habe ja auch einen Bruder. Ich habe mich immer gewundert, dass viele Eltern von ihren Kindern so wenig wussten. Bei uns wurde alles diskutiert. Aber wir hatten auch keine großen Verbote zuhause und mussten nie heimlich irgendwelche Dummheiten tun.

Adi: Ich habe mit meiner Frau oft verwundert besprochen, wie man Kinder als Belastung empfinden kann. Das Gefühl hatte ich nie. Sie waren immer mein Innerstes und Heiligstes. Mein Leben ist durch die Kinder schöner geworden und lustiger.

Maddalena: Das wollte ich grad sagen. Wir hatte immer so einen Spaß.

Uns würde es Spaß machen, wenn Sie zum Abschluss noch verraten würden, was Sie beide aneinander mögen.

Maddalena: Fang du an, bitte.

Adi: Also für mich ist meine Tochter das Licht meines Lebens. Ich finde sie bezaubernd und sie hat eine starke Zartheit, die mich ganz tief drinnen berührt. Maddalena ist mir so viel wert wie mein Augenlicht.

Maddalena, wie sehen Sie Ihren Vater?

Maddalena: Das ist gar nicht so leicht.

Adi: Jetzt hast du ja Zeit gehabt, nachzudenken.

Maddalena: Also ich finde ihn natürlich cool, sonst würde ich nicht ständig mit ihm abhängen. Mein Vater, was soll ich sagen. Es ist schwierig, manche Dinge klingen schnell abgedroschen. Aber er ist mein Gradmesser. Ich gebe viel auf seine Meinung und glaube, dass ich mich in emotionalen Gefilden relativ sicher bewege. Ich hatte eine zuverlässige erste große Liebe. Das ist nun mal der Vater bei einer Tochter.

Adi: Eine zuverlässige erste große Liebe. Ein schöner Satz. Das ist unglaublich. Danke!

Die Tochter des Schauspielers Adi Hirschal wurde in Deutschland geboren und studierte einige Zeit Zahnmedizin. Auf der Uni lernte sie auch ihren späteren Mann Darius, einen angehenden Kieferchirurgen kennen, mit dem sie seit 2010 verheiratet ist. Später studierte Hirschal aber Schauspiel in Graz und tritt seit dem Abschluss 2007 auf Bühnen in Österreich und Deutschland auf. 2015 ist sie im Kinofilm „Planet Ottakring“ und beim Kultursommer Laxenburg zu sehen, wo ihr Vater künstlerischer Leiter ist. Als Maddalena Kerschbaumer, dem Namen ihres Mannes, ist sie auch als Kostümbildnerin tätig.

Der Sohn eines Zahnarztes wurde 1948 in Innsbruck geboren und kam mit zehn Jahren zu den Wiener Sängerknaben. Später folgte die Aufnahme am Reinhardt-Seminar, das er 1974 abschloss. Sein „viel zu frühes“ Engagement am Burgtheater beendete er, „weil ich zu klein spielte“. Erst nach einer fünfjährigen Auszeit kehrte Hirschal an diverse Theater zurück, sang „Strizzilieder“ und spielte in Serien wie „Kaisermühlen Blues“. Im April wurde der Intendant des Wiener Lustspielhauses zum Professor ernannt. Er ist verheiratet und Vater von Schauspielerin Maddalena und PR-Berater Geronimo (35).

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