Adele Neuhauser über Balance
freizeit: Frau Neuhauser, was macht mehr Spaß? Theater oder „Tatort“?
Adele Neuhauser: Ich brauche immer einen träumerischen Freiraum – die Welt hinter der Welt. Konrad Lorenz hat ein wunderbares Buch geschrieben: „Die Rückseite des Spiegels“. Ein toller philosophischer Text, in dem er davon ausgeht, dass das Verhalten des Menschen sowohl angeboren als auch durch kulturelle Traditionen beeinflusst wird. Diesen Blick „dahinter“ brauche ich, um leben und arbeiten zu können. Wenn ich nur den „Tatort“ machen müsste, würde ich glaube ich verkümmern.
Der „Tatort“ ist eine Erfolgsproduktion. Was würde Ihnen fehlen?
Ich möchte auch eine Träumerin und Blödlerin sein, und nicht nur auf den Spuren grausamer Realität die Polizistin spielen. Das ist mir zu negativ. Ich brauche den Ausgleich und weiß Gott sei Dank mittlerweile, was mir in welchem Ausmaß gut tut und was nicht.
Das klingt sehr ausgeglichen. Was hilft Ihnen, in Balance zu bleiben?
Ich gehe in die Natur, meistens alleine, weil ich mich sonst nicht fallen lassen kann. Das klingt pathetisch und einfach. Aber es funktioniert jedes Mal. Nach einer halben Stunde habe ich meinen Rhythmus gefunden und die Gedanken sind frei. Wenn ich verschiedene Geräusche und Pflanzen wahrnehme und sehe, wie das Licht durch die Bäume fällt, weiß ich, dass ich wieder angekommen bin.
Gehen Sie langsam oder schnell?
Ich gehe zügig und bin immer kurz vor dem Laufen, auch wenn ich Laufen nicht mag. Bewegung muss anstrengend sein und etwas mit mir tun. Dann werde ich ruhig. Außerdem kostet Gehen nichts. Du brauchst nur gute Schuhe und etwas, dass dich vor Regen und Wind schützt.
Kommt davon auch Ihre Top-Figur? Sie haben ja kein Gramm Fett zu viel.
Ich mache sonst keinen Sport. Aber ich bin ein sehr körperbewusster Mensch und spiele mit großem körperlichen Einsatz. Beim Theater war es so. Aber dann kam eine Zeit, in der ich meine Spielweise nicht mehr ertragen und gefunden habe, dass ich mich nur noch selbst reproduziere. Ich bin dann auf die Arbeit vor der Kamera umgestiegen, als ich gemerkt habe, dass es mit meiner Fitness bergab geht. Beim Film wirst du abgeholt, stehst oft herum. So kommt man nicht in Schwung. Theater erfordert viel mehr Energie. Außerdem erfordert mein Beruf viel Denkarbeit. Das verbrennt auch.
Eine interessante Theorie. Demnach müssten alle Menschen, die viel denken, schlank sein.
Naja, es kommt schon darauf an, was man denkt. Sich im Hirn zusammenzuklauben, was man heute noch einkaufen muss oder wo der Schlüsselbund sein könnte, gilt nicht. Es muss ein gezieltes Denken sein. Wir alle haben leider zu viel Blödsinn im Kopf. 2008 hatte ich eine Stimmband-OP, nach der ich sechs Wochen schweigen musste. Wenn ich mich mitteilen wollte, musste ich das auf einen Zettel schreiben. Da ist mir bewusst geworden, wie viel Schmarrn man tagtäglich absondert.
Sind Sie seither schweigsamer?
Manchmal. Das Thema Schweigen beschäftigt mich schon fast mein ganzes Leben. Ich wollte schon als Zwölfjährige in einen Schweige-Orden gehen, weil ich es damals nicht ertragen habe, wie viel Verlogenheit und Stumpfsinn um mich herum geredet wurde. Ich wollte mich nicht in denselben Stumpfsinn hineinreden. Das hat mich lange in Besitz genommen. Als ich dann viele Jahre später zum Schweigen gezwungen war, habe ich mich an diesen Wunsch erinnert. Da wurde mir bewusst, wie großartig das Leben ist. Es streckt dir immer wieder die Hand entgegen und führt dich zu den Dingen, die du dir sehnlichst wünschst. Deshalb werde ich auch so gerne älter.
Man muss also aufpassen, was man sich wünscht.
Du erntest, was du als junger Mensch säst. Das ist so großartig! Man sollte versuchen, im Leben die Themen zu bearbeiten, die immer wieder auftauchen. Jeder Mensch hat so einen Reichtum. Viele wissen das gar nicht oder ignorieren es. Das ist schade! Wenn jeder in sich suchen würde, wäre unsere Gesellschaft vielleicht ausgeglichener und friedvoller.
Jetzt könnte man sagen, dass sich den Luxus nur Privilegierte leisten können.
Es stimmt schon. Ich bin jetzt an einem sehr angenehmen Punkt in meinem Leben angekommen. Aber der Weg dorthin war nicht leicht. Ich hatte viele Jahre mit Arbeitslosigkeit und Geldnöten zu kämpfen. Mein Mann und ich wussten oft nicht, wovon wir die Miete oder den Einkauf bezahlen sollen. Und trotzdem war das damals eine glückliche Zeit. Das hat mich gelehrt, dass finanzieller Wohlstand nicht das Einzige ist, was mich zu einem zufriedenen und glücklichen Menschen macht.
Und trotzdem träumt fast jeder hin und wieder von einem Lotto-Sechser.
Das kann auch eine Bürde sein. Je mehr man besitzt, desto mehr Angst hat man, es wieder zu verlieren. Eine Bekannte von mir war ein Jahr auf Weltreise. Als sie zurückkam, meinte sie: „Ich habe nur noch einen Koffer.“ Ich sagte: „Jösas Maria, was ist passiert?“ Dabei hatte sie sich bewusst von allem Ballast losgesagt und lebt bis heute mit so wenig Besitz wie möglich.
Sie selbst können sich heute mehr leisten als der Durchschnittsbürger. Wie ist Ihnen der Sprung von der arbeitslosen Schauspielerin zum gefragten Bühnen- und Fernsehstar gelungen?
Mein Motor war immer der sehnliche Wunsch, zu spielen. Ich habe aber auch als Kellnerin gearbeitet, wenn das nicht möglich war. Mein Mann und ich haben uns damals auch überlegt, Hundehütten zu bauen oder einen Heurigen in Bayern zu eröffnen. Wir haben damals in einer Bahnhofsrestauration gewohnt, auf der noch eine Konzession drauf war. Aber in meinem Herzen war klar, dass ich spielen muss. Früher wusste man mich allerdings nur schwer zu besetzen.
Woran lag das?
An meinem ausdrucksstarken Gesicht. Das hat mich früher oft behindert. Beim Spielen habe ich immer die Anweisung bekommen: „Mach weniger!“ Dabei hatte ich das Gefühl, eh schon alles wegzulassen. Dann kam Gérard Depardieu mit „Cyrano de Bergerac“ ins Kino. Als ich diese Nase und die Art seines Spiels sah, dachte ich mir: „Was erzählen die Leute da? Es geht doch! Man kann expressiv sein.“ Ich habe mit der Zeit zu mehr Mut mit mir selbst gefunden.
Ihre Ausstrahlung ist toll. Live fast noch besser als im Fernsehen. War das schon immer so?
Wenn ich mir Bilder von meinen früheren Bewerbungen ansehe, denke ich mir oft: „Mein Gott, wie sehr habe ich mich zurückgenommen? Ich habe ausgesehen, wie ein verängstigtes Reh. Ich habe auf Fotos früher auch immer das Negative an mir gesehen. Erst so Mitte, Ende 40 habe ich plötzlich das Positive erkannt. Das war ein sehr beglückendes Gefühl.
Das klingt sehr nach Ankommen. Wie sind Sie es angegangen?
Ich glaube, dass mein Exmann auch einen großen Anteil daran hatte. Mein Sohn hat oft gesagt: „Ihr beide redet immer so viel.“ Was aber gut war. Wir haben uns positioniert. Auch wenn wir eine kämpferische Beziehung geführt und uns später getrennt haben. Aber das stets neue Positionieren und das gnadenlose Hinterfragen: „Wo stehe ich und was mache ich mit meinem Leben?“, hat auch mit sich gebracht, dass ich irgendwann bei mir angekommen bin.
Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihrem Mann?
Natürlich, auch wenn mein Mann mittlerweile in Berlin lebt. Mein Sohn auch. Er hat in Graz seinen Bachelor in Jazzgitarre und in Weimar seinen Master of Arts gemacht. Jetzt ist er freier Musiker. Berlin ist eine gute Stadt für Musiker.
Macht es Sie nicht traurig, dass Ihr Sohn nicht in Wien lebt?
Wir haben geübt, getrennt und doch verbunden zu sein. Ich musste als Schauspielerin früher ja immer wieder weg. Ich glaube, wir würden uns auch nicht öfter sehen, wenn er in der Nähe wohnen würde. Aber ich bin schon traurig, wenn ich weiß, dass Julian und mein Mann sich treffen und ich nicht dabei sein kann. Aber ich stehe ja bald mit meinem Sohn in Baden bei Wien auf der Bühne. Das entschädigt für vieles.
Ist es Gewohnheit, dass Sie von Ihrem Exmann als „mein Mann“ sprechen?
Natürlich ist er mein Exmann, aber er wird auch immer mein Lebensmann bleiben. Mittlerweile ist er in einer glücklichen Beziehung und ich bin sehr froh, dass es ihm gut geht. Es ist gut, wie es ist.
Können Sie sich vorstellen auch selbst wieder einmal...?
Ja. Ich sehe für mich nicht, auf Dauer alleine zu bleiben. Auch wenn es mir sehr gut damit geht.
Info: Adele Neuhauser und ihr Sohn Julian Pajzs treten am 16. 11 in Baden auf: www.arnulf-rainer-museum.at
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