"Private Vorsorge wird immer unverzichtbarer"
Die zunehmenden Krisen und wirtschaftlichen Unsicherheiten haben das Vorsorgebewusstsein der Österreicher stark beeinflusst. Neben der Altersvorsorge gewinnen auch private Krankenversicherungen und der Schutz vor Unwetterschäden an Bedeutung. Im Interview erläutert Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen, welche Reformen nötig sind, um die private Vorsorge zu stärken, und wie sich der Versicherungsmarkt in den kommenden Jahren entwickeln wird.
Wie hat sich das Vorsorgebewusstsein der Österreicher in den vergangenen Jahren verändert?
Ralph Müller: Das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit durch die multiplen Krisen – beginnend mit der Corona-Pandemie über Inflation und den Kriegen in der Ukraine und in Nahost – steigt deutlich an. Die Bereitschaft für die eigene Gesundheit, die finanzielle Absicherung von Hab und Gut aber auch für sein Alter privat vorzusorgen, hat klar an Stellenwert gewonnen. Was wir auch erkennen, ist, dass viele zwar ein Bewusstsein entwickeln, dann aber aus unterschiedlichen Gründen untätig bleiben. Und genau hier müssen Staat und Versicherungen ansetzen: Der Staat muss die Rahmenbedingungen für die private Vorsorge attraktiver gestalten und wir als Versicherer die Vorteile einer privaten Vorsorge noch klarer aufzeigen.
Private Vorsorge heißt, in die eigene Unabhängigkeit zu investieren. Ein Verlassen auf den Staat wird nicht reichen, den Lebensstandard im Alter halten zu können.
In der Altersvorsorge dominiert weiter die staatliche Pension. Warum sollten gerade jüngere Generationen frühzeitig über eine private Vorsorge nachdenken?
Die demografische Entwicklung, insbesondere die steigende Anzahl von Pensionisten im Verhältnis zur jüngeren erwerbstätigen Bevölkerung, stellt unser bestehendes Umlagesystem vor große Herausforderungen. Private Vorsorge heißt, in die eigene Unabhängigkeit zu investieren. Ein Verlassen auf den Staat wird nicht reichen, den Lebensstandard im Alter halten zu können. Studien zeigen, dass die Ersatzrate, also die Pension gemessen am Gehalt, von derzeit im Schnitt 56 Prozent auf 47 Prozent im Jahr 2050 sinken wird. Das ist ein immenser Kaufkraftverlust, der vielen noch nicht bewusst ist. Wie immer im Leben ist es daher viel sicherer, auf zwei Beinen zu stehen als auf einem, daher sollten private und staatliche Pension kombiniert werden.
Welche politischen Maßnahmen wären nötig, um private Altersvorsorge stärker zu fördern?
Es ist jetzt höchste Zeit, hier die richtigen Schritte in Richtung einer Stärkung der privaten Vorsorge zu setzen, da ein Kaufkraftverlust im Alter nicht nur die Existenz der Menschen bedrohen kann, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft beeinflusst. Je später die Reformen kommen, desto schmerzhafter werden sie. Seitens der Versicherungsbranche gibt es klare Forderungen, wie beispielsweise die Halbierung der Versicherungssteuer, steuerliche Anreize für nachhaltige Veranlagungen oder die Valorisierung der Förderung bei der betrieblichen Altersvorsorge von 300 Euro monatlich auf 1.200 Euro. Diese Maßnahmen wären ein wichtiges Signal und gleichzeitig ein großer Hebel im Sinne einer Attraktivierung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge.
Was sind die Gründe dafür, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung in Österreich im Vergleich zu Deutschland noch wenig verbreitet ist? Und welche Risiken gehen Menschen ein, wenn sie keine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen?
Der Hauptgrund für die vergleichsweise geringe Nachfrage nach einer BU-Versicherung in Österreich ist, dass viele meinen, der Staat wird’s schon richten. So haben lediglich vier Prozent aller Arbeitnehmer in Österreich eine private Berufsunfähigkeitspension abgeschlossen, obwohl hierzulande jede Vierte vor seinem Pensionsantritt berufsunfähig wird. In Deutschland sind es mehr als 30 Prozent. Wird jemand berufsunfähig, bedeutet das aber nicht nur eine – oft deutliche – Minderung des Erwerbseinkommens, sondern damit einhergehend auch geringere Pensionsbeiträge und in der Folge eine geringere Alterspension. Das heißt, wer nicht mehr arbeiten kann, muss mit teilweise hohen Einkommensverlusten rechnen.
Warum entscheiden sich rund drei Millionen Österreicher für eine private Krankenversicherung? Ist das öffentliche Gesundheitssystem nicht mehr ausreichend?
In Österreich haben wir das Glück, ein sehr gutes öffentliches Gesundheitssystem und damit auch eine sehr gute Basisversorgung zu haben. Bei Gesundheitsleistungen zählt allerdings nicht mehr allein die Versorgung – viele wünschen sich mehr, als das öffentliche System bieten kann: die Möglichkeit, die Ärzten bzw. das Spital selbst zu wählen, flexible Termine und mehr Mitspracherecht bei der Behandlungsmethode. All das sind gleichzeitig Vorteile einer privaten Gesundheitsvorsorge, die eine optimale Ergänzung zur gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. Und die Nachfrage nach diesen Leistungen steigt seit Jahren.
Im Jahr 2023 verzeichnete die Wiener Städtische den zweithöchsten Schadenswert durch Unwetter. Wie verändert diese Entwicklung langfristig das Versicherungsgeschäft und die Risikobewertung?
Wir sehen ganz klar, dass die Schäden aufgrund von Naturgefahren deutlich zunehmen. Die Entwicklung ist nicht linear, sondern sprunghaft. Die jüngsten Unwetter mit dem Schwerpunkt Niederösterreich werden uns aller Voraussicht nach bis zu 100 Millionen Euro kosten, damit ist das Schadensvolumen in den vier Tagen im September genauso hoch wie in einem durchschnittlichen Jahr. Und diese Extremwetterereignisse werden künftig häufiger werden. Das ist natürlich ein immer größer werdendes Problem, insbesondere bei Hochwasser, weil wir als Versicherungen dieses Risiko nicht zu 100 Prozent stemmen können. Denn fast alle Haushalte haben in ihren Verträgen lediglich eine Basisabsicherung von bis zu 10.000 Euro. Das ist in vielen Fällen viel zu gering.
Wie kann man Haushalte besser vor Unwetterkatastrophen absichern?
Über eine rein private Lösung ist das offenbar nicht zu machen. Es gibt schon seit Jahren die Bemühungen von Seiten der Versicherungsbranche, gemeinsam mit dem Staat eine flächendeckende Lösung für alle Haushalte in Österreich einzuführen. Solche Modelle gibt es schon in vielen Ländern wie etwa in Belgien oder der Schweiz. Der große Vorteil dabei wäre, dass alle Betroffenen einen Rechtsanspruch hätten und nicht auf den Katastrophenfonds angewiesen wären, der wiederum auch nur einen Teil des Schadens zahlt.
Welche Trends sehen Sie im Jahr 2025 im Bereich private Vorsorge und Versicherungen?
Die Zinswende macht die Lebensversicherung attraktiver und ermöglicht es, die Gesamtverzinsung für unsere Kunden auf 2,5 Prozent zu erhöhen. Dies führt dazu, dass die Nachfrage nach privater Altersvorsorge eine deutliche Belebung erfährt, ein Trend, der sich in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Allein schon deshalb, weil die Notwendigkeit, wie zuvor besprochen, privat vorzusorgen, deutlich zunehmen wird. Neben der Altersvorsorge spielt für Österreicher auch die Gesundheit eine große Rolle – jeder Dritte in Österreich hat bereits eine private Gesundheitsvorsorge. Bei der Produktwahl beobachten wir einen klaren Trend in Richtung Individualität, Service und Convenience. Attraktiv sind vor allem Tarife mit Selbstbehalten, wobei es auf den persönlichen Bedarf der Kunden ankommt. Aber auch der Haushalts- und Eigenheimversicherung kommt – aufgrund der steigenden Unwetterereignisse – eine immer größere
Bedeutung zu. Oftmals sind die Deckungssummen zu gering, weil ein Pool oder ein Carport errichtet, nicht aber der Versicherung gemeldet wurde, daher meine Empfehlung, jährlich einen Check mit dem Berater zu machen.
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