Willkommen im legalen Elfenbein-Turm!
Schmuck aus Elfenbein. Fein gearbeitete Schnitzereien, opulente Statuen. Der Handel und die Verarbeitung der schönen Stoßzähne von Elefanten war nirgendwo so sonst normal wie in China. Es gab zertifizierte Elfenbeinläden und erst im Jahr 2006 – als der Rest der Welt auf das Thema Elfenbein schon hochsensibilisiert war – wurde die Elfenbeinschnitzerei zum „nationalen Kulturerbe“ erklärt.
Elfenbein als harte Nuss
Es bedarf also nicht sonderlich viel Phantasie, um sich auszumalen, wie schwierig es war, ein Umdenken in dem 1,4-Milliarden-Einwohnerstaat einzuleiten. Doch die Übung scheint nun tatsächlich gelungen zu sein: 2018 wurde Elfenbein – unterstützt von Staatschef Xi Jinping – tatsächlich verboten.
Doch das Thema brennt den Chinesen offenbar unter den Fingernägeln. Und so ist es kein Wunder, dass es nun in der modernen Architektur des Landes Niederschlag findet. Konkret beim gerade in Bau befindlichen gigantischen Kulturzentrum in Shenzhen. Direkt am südchinesischen Meer gelegen, wird es nach seiner Fertigstellung im Jahr 2020 über der Quanhai-Bucht thronen und unter einer organisch wirkenden Außenhaut gleich drei unterschiedliche Objekte vereinen.
Provokantes Elfenbein-Zitat
Aber arbeiten wir uns nun von außen nach innen vor – und lenken den Fokus erstmal nur auf die Hülle dieses insgesamt 110.000 Quadratmeter großen Projekts. Diese ist es nämlich, die aktuell für Diskussionen sorgt. So haben die zuständigen Architekten von „Rocco Design Architects“ eben hier das Elfenbeinverbots eingefangen: Die Hülle vermittelt ganz bewusst den Eindruck, aus Elfenbein zu bestehen. So heißt es sogar ganz offiziell: „Die Fassade ist als organische Form gestaltet, die von südchinesischen künstlerischen Traditionen inspiriert ist. Sie bezieht sich auf Holz- und Elfenbeinschnitzereien.“
In der Tat hat das Verbot von Elfenbein in der chinesischen Volksseele eine Wunde hinterlassen, die nur langsam zu heilen scheint: Der illegale Handel mit Elfenbein ist noch lange nicht ausgetrocknet! Jedenfalls aber möchte das aus Hongkong stammende Architektur-Büro mit diesem Bau keineswegs vergangenen Zeiten nachtrauern, sondern vielmehr plakativ darauf aufmerksam machen, wieviele Elefanten wohl hätten sterben müssen, um diesem überdimensionalen Turmbau ein echtes Elfenbeinkleid überzuziehen.
Drei Objekte unter einem Dach
Dank modernster Materialien wurde dieser also mit einem perforierten Hautsystem umgeben, das auf unterschiedliche Weise moduliert ist. So entsteht am Ende ein optisch einheitlicher Komplex, der aber „gleichzeitig unterschiedliche Identitäten für die drei unterschiedlichen Strukturen definiert“, wie es offiziell heißt. Was uns nun ins Innere des Baus führt, der wie erwähnt aus drei Objekten besteht.
Dem Meer am nächsten wurde eine 32.000 Quadratmeter große Bibliothek mit Leseflächen, Stapeln, Verwaltungseinrichtungen sowie Museen und Ausstellungshallen angesiedelt. Ein 20 Meter hoch aufragendes Atrium erweitert den um das Innere des Gebäudes angelegten öffentlichen Platz und soll als öffentlicher Ausgangspunkt die Menschen weiter ins Innere des Gesamtobjekts lotsen. Im Idealfall, in das jenseits der Bibliothek befindliche und 11.500 Quadratmeter große, als „Jugendpalast“ bezeichnete Jugend-, Kultur- und Kunstzentrum. Das Gebäude ist in zwei Flügeln angelegt, die von einem zentralen Amphitheater ausgehen. Ein Flügel beherbergt die jungen Angebote, der andere Aufführungsräume, Kunststudios und Galerien. Der zentrale Hof und das Amphitheater fungieren zudem natürlich als sozialer Kern, der aber auch bauliche Aspekte berücksichtigt und natürliches Licht und sowie frische Luft zuführt.
Gruß Richtung Bucht
Das letzte Drittel des Gesamtkonzepts sieht ein 21.000Quadratmeter großes Veranstaltungszentrum vor. Obwohl am weitesten von derBucht entfernt, soll es der erhabenste Bau werden, um die Bucht sozusagen zu grüßen,wie die Architekten schreiben. Shops und Restaurants sollen die Straße beleben unddas Gebäude mit der Stadt verbinden, während eine große Treppe die Fußgänger indie gigantische und 1.500 Personen fassende Veranstaltungshalle lockt.
Jedenfalls aber möchte das aus Hongkong stammende Architektur-Büro mit diesem Bau darauf aufmerksam machen, wieviele Elefanten wohl hätten sterben müssen, um diesem überdimensionalen Turmbau ein echtes Elfenbeinkleid überzuziehen.
Grundsätzlich gelangt es, alle drei Objekte auf einer zentralen Achse, die sich von der Innenstadt bis zur Küste erstreckt, zu etablieren. Zwischengeschaltet wurde eine Reihe öffentlich zugänglicher Plätze, die die Strukturen zu einem zusammenhängenden Kulturcampus verbinden. Sie sollen als neue öffentliche Treffpunkte mit Blick auf das Wasser wahrgenommen werden und Stadt mit Küste besser verbinden als bisher.
Und am Ende wird dieser Mega-Bau vielleicht langfristig sogar dabei helfen, das Verständnis für das Elfenbeinverbot in China zu erhöhen. Hoffentlich, bevor der letzte Elefant seine Stoßzähne für illegale Trophäenjäger oder traditionsversessene Künstler geben musste.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Rocco Design Architects & Wade Zimmermann
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