Undercover Holzhybrid
Das derzeit wohl größte Holzhybridgebäude Deutschlands erreicht mit einem Gesamterfüllungsgrad von 95,4 Prozent den bislang höchsten Wert in der Geschichte der Zertifizierung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).
Von Beginn an stand ein ganzheitlicher Nachhaltigkeitsansatz im Fokus des Projekts. Vor allem ging es darum, die Emissionen aus der Herstellung von Baumaterialien, die grauen Emissionen und den zugehörigen Energieverbrauch, die graue Energie, sowie die Betriebsemissionen zu reduzieren – aber auch das Wohlbefinden der künftigen Nutzerinnen und Nutzer im Auge zu haben.
EDGE Suedkreuz: Hauptdarsteller Holz
Bei der gewählten Holzhybridbauweise des vom deutschen Architekturbüro Tchoban Voss entworfenen EDGE Suedkreuz ergänzen sich die Materialien Holz und Stahlbeton: Holz gibt die tragende Struktur, Stahlbeton steift aus und verhindert Brandüberschläge. Das Baumaterial Holz ist mit mehr als 3.300 Kubikmetern dominierend – und sorgt neben der verbesserten Energiebilanz für ein positives Raumklima.
Tchoban Voss Architekten hat dabei mit dem Tragwerksplaner Büro Happold sowie dem Dornbirner Unternehmen CREE Buildings zusammengearbeitet. Der Einsatz des modularen Holz-Hybridsystems von CREE verringert das Gewicht des oberirdischen Tragwerks um bis zu 50 Prozent. So können die Anforderungen an das Fundament gering gehalten werden.
Im Vergleich zur konventionellen Stahlbetonbauweise wird von einer CO2-Einsparung um 80 Prozent pro Quadratmeter Nutzfläche gesprochen. Die modulare Bauweise mit hohem Vorfertigungsgrad wirkte sich auch günstig auf die Kalkulierbarkeit des Projekts, den Bauablauf und den Straßenverkehr während der Bauphase aus.
Cradle-to-Cradle-Prinzip
Die bei EDGE Suedkreuz Berlin verwendeten Baumaterialien sind nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip weitgehend recyclefähig.
Auf dem gut 10.000 Quadratmeter großen Grundstück am Rande des Stadtentwicklungsgebietes „Schöneberger Linse“ im Süden von Berlin formen die zwei siebengeschoßigen Bürogebäude „Solitär“ und „Carré“ einen urbanen Platz in Richtung des drittgrößten Berliner Fernbahnhofs Südkreuz – von daher der Name des Gebäudeensembles.
Bislang größtes freistehendes Holz-Hybrid-Gebäude in Deutschland
Das größere der beiden freistehenden Gebäude umfasst rund 20.000 Quadratmeter Grundfläche. Es ist damit auf längere Sicht flächenmäßig das größte freistehende Holz-Hybrid-Gebäude in Deutschland.
Das kleinere Gebäude folgt als langgezogener Solitär der Bauflucht des größeren Bürogebäudes, das mit dem unregelmäßig trapezförmigen Grundriss das Carré bildet. Die zwei Baukörper bilden zur Hedwig-Dohm-Straße eine Flanke.
Der Hauptdarsteller spielt im Inneren
Bestückt mit Holzpodesten, Sitzgelegenheiten und diversen Grünflächen lädt der Hildegard-Knef-Platz nicht nur Mitarbeitende der eingemieteten Unternehmen, sondern auch Vorbeikommende zum Verweilen ein. Die beiden Bürogebäude werden vom Platz aus betreten.
Mieter des kleineren Solitärs ist der Anbieter von Solarenergielösungen QCells. Das Erdgeschoß wird mit Gastronomie und Einzelhandel bespielt. Im Carré-Gebäude ist der Energieversorger Vattenfall mit seiner neuen Deutschland-Zentrale ansässig.
Die gleichmäßig gerasterte, mit Faserzementplatten beplankte Fassade lässt zunächst nicht auf die innovative Holzhybridbauweise schließen. Im Innenraum allerdings ist der Hauptwerkstoff Holz sehr präsent.
Lichtdurchflutet dank Folienkissendach
Neben der sichtbar gelassenen Holzkonstruktion sprechen bodentiefe Fenster, die Türen und Handläufe aus Holz eine klare und freundliche Architektursprache.
Das zentrale Atrium ist der Sammelpunkt des 20.000 Quadratmeter großen Carré-Gebäudes für die rund 1.600 Mitarbeitenden von Vattenfall. Ein transparentes ETFE-Folienkissendach lässt viel Tageslicht in alle Bereiche. Über die leichten ETFE-Folienkissen kann nicht nur der Sonnenlichteinfall sondern auch zum Teil die Temperatur im Atrium und den umliegenden Büroräumen reguliert werden.
ETFE, Ethylen-Tetrafluorethylen, ist ein leichtgewichtiger und elastischer Kunststoff auf Fluorbasis. Der Werkstoff gilt nicht nur als besonders widerstandsfähig und selbstreinigend, sondern ist auch transparent und langlebig. Mit ihm lassen sich lichtdurchflutete Gebäudekonstruktionen, Fassaden und Dächer mit dynamischen Formen und Designs verwirklichen.
Architektonisches Kommunikationsnetz
Auffälliger Eyecatcher des 1.600 Quadratmeter großen und 26 Meter hohen Atriums: Die vier unterschiedlich hohen baumförmigen Stützen. Die baumähnlichen Gebilde sind durch filigrane Treppen und Stege verbunden.
Die Verbindungen führen über die Plattformen hinauf zu den angrenzenden Büroetagen und bilden so ein architektonisches Kommunikationsnetz, das sämtliche Bereiche erschließt. Auf spektakuläre Weise ist so die kürzeste Verbindung zwischen den Geschoßen entstanden.
Kommunikative Plattformen auf den „Baumstützen“
Der größte der sogenannten „Trees“ ist 14,87 Meter hoch und trägt eine Aussichtsplattform mit 6,20 Metern Durchmesser, die niedrigste , der niedrigste ist 4,28 Meter hoch mit einem Plattform-Durchmesser von 7,20 Metern. Sie sind ein Ort zum Schauen und dienen ebenso dem informellen Austausch.
Beginnend im Erdgeschoss, wo Gastronomie und Konferenzbereiche angeordnet sind, endet die Treppenskulptur im fünften Obergeschoss in der Skylounge. Der dort eingeschnittene Stadtbalkon gibt den Blick Richtung Bahnhof frei.
Geschoßübergreifende kommunikative Blickbezüge
Die Idee der Weite des Atriums setzt sich auch in den Arbeitsbereichen fort: Bodentiefe Fenster stellen geschoßübergreifend kommunikative Blickbezüge her. Der modulare Grundrissraster lässt eine flexibel anpassbare Adaptierung an andere Nutzungsformen zu.
Im Moment jedoch ist das Platzangebot ganz im Sinne des flexiblen und kreativen Arbeitens gestaltet: Jedes Geschoß bietet den Nutzern unterschiedlich große Open-Space-Bereiche, Einzelarbeitsplätze für fokussiertes Arbeiten, Besprechungsräume für die Teamarbeit und Küchen für das leibliche Wohl.
Entkarbonisierende Fassaden
Die Fassaden sind in einem gleichmäßigen Raster aus nachhaltigen und witterungsbeständigen Glasfaserbetonplatten aufgebaut. Die Fassadenelemente wiegen den Angaben zufolge bloß 30 Kilogramm je Quadratmeter und sind recyclebar. Darüber hinaus nimmt die Fassade aufgrund der dünn zermahlenen Zementoberschicht CO2 aus der Luft auf und wirkt dadurch entkarbonisierend.
Beide Gebäude des Bürokomplexes teilen sich im Untergeschoss eine Tiefgarage mit 218 auf E-Mobility ausgerichteten, mietereigenen Stellplätzen. Rund 100 Fahrradstellplätze, auch für E-Bikes, befinden sich im Fahrradraum sowie 32 weitere in den Außenbereichen.
Biomethan-Blockheizkraftwerke sorgen für eine effiziente Wärmeversorgung.
EDGE Suedkreuz: Auch mit WELL Platin gewürdigt
Das in Summe 32.000 Quadratmeter umfassende EDGE Suedkreuz Berlin wurde nicht nur mit den Gütesiegeln DGNB Platin und DGNB Diamant für Architekturqualität bedacht. Eine Bestnote gab es auch bei der WELL-Zertifizierung: WELL Platin. Diese Auszeichnung des International WELL Building Institute (IWBI) würdige das Engagement für ein gesundes und komfortables Arbeitsumfeld für die Bewohner des Gebäudes, heißt es bei CREE Buildings.
Mission von WELL seit dem Start im Jahr 2014, ist das Streben danach, gesunde Gebäude für alle voranzutreiben. Das Bewertungssystem des International WELL Building Institute™ (IWBI™) konzentriert sich ausschließlich auf die Art und Weise, wie Gebäude den Komfort, die Gesundheit und Wellness der Nutzer verbessern können.
EDGE Suedkreuz verfügt über den Madaster-Materialpass
„EDGE Suedkreuz ist nicht nur irgendein Bau, sondern war und bleibt für mich ein Prototyp des neuen Denkens. Auf diesem in die Zukunft gerichteten Denkweg verbindet sich das Rationale mit dem Künstlerischen, Emotionalen. Bei der Konstruktion der Gebäude stand im Vordergrund, das Gewicht und damit den CO2-Fußabdruck bestmöglich zu reduzieren und die Ästhetik des Gebäudes mit einem ethischen Umgang mit der Natur zu verbinden“, wird Tchoban Voss-Partner Sergei Tchoban zitiert. Er wurde 2018 mit dem Europäischen Architekturpreis ausgezeichnet.
EDGE Südkreuz Berlin ist zudem das erste Projekt in Deutschland, das für den Hochbau mit einer 100-prozentigen Übereinstimmung in der Madaster-Materialdatenbank erfasst wurde. Es verfügt somit über einen Materialpass, der Aufschluss über Wiederverwertbarkeit der verwendeten Materialien gibt.
Madaster ist der „Kataster für Materialien und Produkte“. In Madaster werden Daten über alle Materialien und Produkte registriert, die in einem Objekt verbaut wurden. Durch die Erfassung jedes einzelnen Bauteils erhält man unter anderem Aufschluss über die Trennbarkeit, das gebundene CO2 und die Toxizität von Materialien und Produkten.
Neues Projekt: Neues Dresdner Verwaltungszentrum
Aktuellstes Projekt von Tchoban Voss ist das neue Dresdner Verwaltungszentrum. Gemeinsam mit dem Rotterdamer Büro Barcode Architects hat man den Siegerentwurf des Gestaltungswettbewerbs vorgelegt.
Das 34.000 Quadratmeter große Verwaltungszentrum befindet sich an einem prominenten Standort in der Innenstadt und wird Teil einer größeren städtebaulichen Umgestaltung des Dresdner Ferdinandplatzes sein.
Die Dresdner Stadtdirektion werde einladenden Charakter vor allem durch sich der Umgebung öffnenden Fensterstrukturen haben. Die Öffnung zum Ferdinandplatz hin stellt einen starken Bezug zum Raum her, während das Fenster an der Nordseite ein einzigartiges Panorama bietet und eine Verbindung zum monumentalen Rathaus herstellt.
Tchoban Voss Architekten entwerfen, planen und bauen für nationale und internationale Auftraggeber aus dem öffentlichen und privaten Sektor. Mit über 180 interdisziplinären Mitarbeitern und langjähriger Erfahrung bietet das Unternehmen mit Büros in Hamburg, Berlin und Dresden architektonisch und funktional nachhaltige Lösungen für unterschiedlichste Bauaufgaben im In- und Ausland.
Text: Linda Benkö
Fotos, Renderings: HG ESCH, Tchoban Voss
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