Sozialer Wohnungsbau reloaded
Es mangelt an bezahlbarem Wohnraum. Überall in den Ballungszentren Europas, aber ganz besonders in den Niederlanden. Die globale Finanzkrise nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 hatte den Wohnungsbau im Land so gut wie lahmgelegt. Gleichzeitig stieg die Nachfrage durch die zunehmende Erwerbsmigration und schrumpfenden Haushaltsgrößen. Die Regierung unterschätzte das Problem lange: Sie vertraute auf den Markt und schaffte 2017 gar das Wohnungsbauministerium ab. In der Folge zogen die Mieten und Immobilienpreise stark an. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der durchschnittliche Preis für ein Eigenheim verdoppelt.
Schon jetzt fehlen im Benelux-Staat 400.000 Wohnungen, bei gerade einmal 17,9 Millionen Einwohnern. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 800.000 bei 84 Millionen Bundesbürgern. Betroffen sind in erster Linie junge Familien und Alleinerziehende, Studiererde, Berufsanfänger und Senioren sowie Flüchtlinge und Arbeitsmigranten. Immer öfter landen sie sogar auf der Straße. Allein 2022 hat sich die Zahl der Obdachlosen um ein Viertel erhöht.
Langsame Politik
Inzwischen haben die Niederländer mit Hugo de Jonge zwar wieder einen Minister für Wohnungswesen und Raumordnung, der bis 2030 jedes Jahr 100.000 neue Wohnungen bauen lassen will. Doch aufgrund von Fachkräftemangel, stark gestiegenen Baukosten, zeitraubender Bürokratie und fehlenden Baugründen liegt er deutlich unter der Zielvorgabe: 2022 entstanden lediglich 78.000.
Und bis andere – durchaus auch kreative – Gegenmaßnahmen in der Breite greifen, dauert es auch. So entstehen durch die Umnutzung leerstehender Schulen, Bürogebäude, Krankenhäuser oder auch Klöster jedes Jahr zwar immerhin rund 12.000 zusätzliche Einheiten, das sind immerhin 15 Prozent des gesamten neugeschaffenen Wohnraums. Aber angesichts der großen Wohnungsnot ist das auch nur ein Tropfen auf dem heißen (Grund)Stein.
Nachhaltige Lösungen für die Wohnungskrise
Um die niederländische Wohnungskrise zu lösen, braucht es neue Ansätze. Wie etwa jenen, mit dem das Start-up Moos auf den Plan trat. 2020 hat das junge Unternehmen ein innovatives Flexbau-Wohnkonzept entwickelt. Mit dem Ziel, qualitativ hochwertige Wohnungen für jedermann zu schaffen, auf soziale und vor allem nachhaltige Weise. Die Fertighäuser von Moos sind modular aufgebaut und – falls erforderlich – vollständig demontier- und wiederverwendbar.
Mit dem multidisziplinären Architekturstudio Concrete aus Amsterdam hat man einen im Bereich der Modulbauweise erfahrenen Partner gefunden. Jüngst entwarf das Büro zum Beispiel eine neue Generation von Center-Parcs-Ferienbungalows. Im Team mit Moos trägt Concrete wesentlich zur Entwicklung des Konzepts, der Architektur und des Markenauftritts bei. Derzeit sind mehrere gemeinsame Projekte im Gange, in naher Zukunft sollen rund 500 soziale Wohnbauten entstehen.
Pilotprojekt Euterpe in Maasland
Das erste Gemeinschaftsprojekt wurde vor kurzem fertiggestellt: Moos Euterpe, mit einer Bruttofläche von 2.000 Quadratmetern. Der soziale Wohnbau steht in Maasland, einem Dorf in der Provinz Südholland westlich von Rotterdam. Die im Komplex entstandenen 30 Wohneinheiten sind auf zwei einander gegenüberliegende Gebäude verteilt und unterschiedlich groß. Sowohl Singles als auch Großfamilien finden hier ein Zuhause und: Anschluss. Denn in der Mitte der beiden Trakte liegt ein Garten, der nicht nur das grüne Herz der Anlage bildet, sondern auch zur verbindenden, sozialen Begegnungszone für die Bewohner wird.
Galerien des Miteinanders
Um die Beziehungen zwischen den Nachbarn noch weiter zu fördern, ein Gefühl der Verbundenheit innerhalb der Gemeinschaft zu schaffen und den Übergang zwischen den privaten und öffentlichen Bereichen fließend zu gestalten, haben die Architekten von Concrete zudem eine zurückspringende Fassade designt. So verwandeln sich die Galerien über der Grünfläche in offene Veranden – mit genügend Platz, um gemeinsam zu grillen oder eine Hängematte aufzuhängen. „Die Galerien und Grünflächen werden als Räume für Interaktion aktiviert. Sie sollen die Bewohner von Moos Euterpe dazu ermutigen, miteinander in Kontakt zu treten und sich für die Hausgemeinschaft zu engagieren“, betonen die Concrete-Architekten.
Modulare Lösungen
Die modulare Bauweise von Moos Euterpe bringt eine große Vielfalt an Wohnformen und -größen mit sich. Die Module reichen von kleinen Studios bis hin zu Häusern mit vier Schlafzimmern. „Weil die Wohnbedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner aber nicht nur unterschiedlich sind, sondern sich wie das Leben auch ständig verändern, sind wir bestrebt, Individualisierungsmöglichkeiten zu bieten – ohne auf hohe Qualitätsstandards zu verzichten“, erklärt Joost Hoffman, Mitbegründer von Moos. Deshalb besteht jede der 2-, 3- oder auch 4-Zimmer-Wohnungen aus zwei Modulen.
Das „Basismodul“ beherbergt die obligatorischen Räume, wie Schlafzimmer, Küche und Bad. Das zweite, „persönliche“ Modul liefert einen frei konfigurierbaren, lichtdurchfluteten Aufenthaltsbereich, der ganz nach den spezifischen Bedürfnissen genutzt und gestaltet werden kann – als Wohn- und/oder Arbeitsraum oder als Spielzimmer für die Kinder. Durch die offene Verbindung zur Veranda wird zudem der Außenraum zu einer Erweiterung der Wohnfläche. Moos Euterpe ist damit ein gelungenes Beispiel für den „Inside Out“-Ansatz, den Concrete stets verfolgt. „Wir sind der festen Überzeugung, dass die Form dem Leben folgen sollte und gestalten Umgebungen, die sich nahtlos in die Art und Weise integrieren, wie Menschen leben und interagieren.“
Lebendige Gemeinschaft
Der Name Moos ist übrigens ein Akronym. Er steht für „(In the) Middle of our Street“ und leitet sich vom Kultsong der britischen Ska-Band Madness ab. Denn so wie das Lied möchte auch Moos eine lebendige Gemeinschaft feiern und fördern, in der sich jeder zu Hause fühlt. Dies soll nicht allein durch die Schaffung von hochwertigem und erschwinglichem Wohnraum gelingen. Sondern auch durch Gemeinschaftsbereiche, die man sorgfältig in das Gesamtkonzept integrierte. So gehört zur Moos- Euterpe-Wohnanlage beispielsweise auch das sogenannte Moos Plein, ein einladender Raum im Eingangsbereich, in dem sich die Bewohner treffen können.
Moos Euterpe ist ein Zuhause, auf das die Bewohner stolz sein können. Es ist mehr als nur ein Ort zum Wohnen, es ist eine solide Grundlage für persönliches Wachstum und Wohlbefinden.
Eine Lösung für zwei Herausforderungen
Moos Euterpe sollen weitere Sozialbauten folgen. Das nächste wird Moos Appelweg sein: 63 Wohnungen entstehen derzeit in Amsterdam. Auch dieses und alle kommenden Projekte werden natürlich auf der innovativen Konstruktionsstrategie, der Design-Partnerschaft mit Concrete sowie Modularität und Kreislaufwirtschaft basieren. Und: Sie werden sozial UND grün sein. „Denn wir stehen vor einer großen bautechnischen und einer enormen klimatischen Herausforderung“, sagt Joost Hoffman, Mitbegründer von Moos. „Und wir möchten eine Lösung für beides bieten.“
Schnell, kosteneffizient und nachhaltig
Die Lösung beginnt mit der Fertigung der Haus-Module in einer Fabrik – „das garantiert ideale Bedingungen für eine optimale Qualität“, so Joost Hoffman. Die vorgefertigten Elemente werden einschließlich der Fensterrahmen, Küchen, Bäder und Anschlüsse zur Baustelle transportiert, vor Ort gestapelt und miteinander verbunden. Nach dem Plug-and-Play-Prinzip werden anschließend die Installationen angeschlossen. „Dies ermöglicht eine schnelle und kosteneffiziente Errichtung jedes Moos-Projekts. Außerdem trägt es zur Abfallvermeidung bei und erleichtert das Recycling, was dem Engagement von Moos für eine nachhaltige Entwicklung entspricht.“
Hochstapler vom Dienst
Das effiziente Stapelsystem ermöglicht eine breite Angebotspalette und die Erfüllung unterschiedlichster Wohnbedürfnisse: Vom Studio über die Vier-Zimmer-Wohnung im Verandastil bis hin zum Acht-Etagen-Bau ist alles möglich. Durch die Kombination verschiedener Grundrisse in einem einzigen Gebäude ermöglicht Moos die schnelle Realisierung von Bauprojekten. Und dank der modularen Bauweise können in einem Moos-Gebäude auch Wohnungen und Flachbauten zu hybriden Gebäuden gestapelt werden.
„Darüber hinaus arbeitet wir daran, unsere Module und Grundrisse zu erweitern – um auch Einfamilienhäuser, Korridorwohnungen oder Wohntürme mit einer Höhe von bis zu 70 Metern anbieten zu können“, so Moos-Gründer Hoffman. Damit wäre Moos dann auch in der Lage, komplette Stadtquartiere mit einer großen Vielfalt von Wohnräumen zu realisieren.
Recycling first
Daneben sind es die zirkulären Baustoffe, die die Projekte von Moos auszeichnen: „Traditionelle Materialien wurden durch recycelte und upgecycelte Materialien ersetzt, die von Abbruchpartnern gewonnen werden“, heißt es von Seiten des Start-ups. Wo deren Einsatz nicht möglich ist, setzt Concrete auf nachhaltige Alternativen. So werden beispielsweise die Böden aus recyceltem Beton hergestellt, während Wände aus Sperrholz als tragende Struktur dienen. Darüber hinaus verwendet Moos Dreifachverglasung und Fensterrahmen aus Holz, um ein energiefreundliches Design zu gewährleisten.
Dauerhaft oder doch flexibel?
Natürlich sind die Häuser von Moos gekommen, um zu bleiben. Sie sind jedoch immer auch vollständig demontierbar. Nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit. Auch als Antwort auf die Wohnungsnot. Denn so sind sie auch für temporäre Wohnprojekte geeignet. Viele Gemeinden in den Niederlanden setzen inzwischen auf den Flexbau, um Wohnungen schnell und unbürokratisch zu realisieren und je nach Bedarf zu versetzen.
„Wir bieten jedenfalls eine Rücknahmegarantie und verpflichtet uns, die Wohnungen nach einer bestimmten Zeit der vorübergehenden Nutzung zurückzukaufen“, erklärt Hoffman. „Dies garantiert die Kreislauffähigkeit und reduziert die Umweltbelastung.“ Und da die Einheiten über eine Baugenehmigung in Übereinstimmung mit der permanenten Bauweise verfügen, können sie dann an einem neuen Standort auch schnell und unbürokratisch wiederverwendet werden.
Wir sind überzeugt, dass man im Leben besser dasteht, wenn das Fundament stimmt. Deshalb geben wir jedem nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ein Zuhause in der Mitte der Gemeinschaft.
Am Moos-Konzept gibt’s nichts zu mosern
Wenn es nach Moos ginge, könnte man also sowohl der Wohnungsnot in den Niederlanden begegnen als auch das Klimaproblem lösen. Dass das Start-up mit seinen Projekten nebenbei auch gleich noch die Herausforderungen angeht, in einer sich spaltenden Gesellschaft für mehr Verbundenheit zu sorgen, ist ein schöner Bonus.
Text: Daniela Schuster Bilder: Moos by Concrete
Lesen Sie weiter im UBM Magazin, der Plattform für Immobilienwirtschaft, Stadtplanung und Design.