Siegeszug eines Mülleimers

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Der Vipp Treteimer feiert heuer 80-jähriges Jubiläum. Sein herausragendes Industrial Design wurde bereits vom MoMA in New York gewürdigt und kann nun in exklusiven Hotel-Lofts erlebt werden.

Der Vipp Treteimer feiert heuer 80-jähriges Jubiläum. Sein herausragendes Industrial Design wurde bereits vom MoMA in New York gewürdigt und kann nun in exklusiven Hotel-Lofts erlebt werden.

Es war das Jahr 1939. Marie Nilsen brauchte einen robusten Mülleimer für ihren Friseursalon. Ihr Mann, der gelernte Metallarbeiter Holger Nielsen, machte sich seine Gedanken zu den Anforderungen und fertigte drei Eimer in bedienungsfreundlicher Höhe mit praktischer Tretfunktion. Auch wenn es nicht bewusst geschah, der Entstehungsakt war Form follows function in Reinkultur. Die ersten Pedaleimer waren Einzelanfertigungen und nicht für den Verkauf gedacht. Doch während die Kundinnen mit ihren gelegten Locken unter der Trockenhaube saßen, entdeckten sie den praktischen Wert des freihändigen Entsorgens. Die Nachfrage stieg, und Nielsen warf in seinem Handwerksbetrieb in der dänischen Hafenstadt Randers die Produktion an. Zwei Generationen und zig Eimer später steht der Pedal Bin der Marke Vipp heute im Museum of Modern Art in New York

Am Anfang war der Eimer

Nach Nielsens Tod übernahm seine Tochter Jette Egelund 1992 den Betrieb. Sie lernte die handwerklichen Grundlagen und erkannte das Potenzial des Eimers. Während der Kübel bislang hauptsächlich in Kliniken und Arztpraxen verwendet wurde, gelang ihr mithilfe von Messeauftritten der erfolgreiche Einzug in die Haushalte.

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Mit der WC-Bürste bekam der Eimer eine kleine Schwester mit Stiel. Es war der Anfang einer ganzen Produktpalette für Bad, Küche und Wohnraum. Während Egelund die WC-Bürste noch gänzlich frei und ohne Entwurf modellierte, ist das Produktdesign seit 2006 in den Händen von Chef Designer Morten Bo Jensen. Der familiengeführte Betrieb hat in dritter Generation mittlerweile auch die zum Eimer passende Küche im Programm. Industrial Design mit klarer skandinavischer Handschrift ist der gemeinsame Nenner. 2011 eröffnete schließlich der erste Vipp Concept Store im Zentrum von Kopenhagen. Doch der Siegeszug des Mülleimers ist hier noch nicht zu Ende, wie es scheint.

Produktdesign der alten Schule

Egal ob Salzstreuer, Wäschekorb oder Küchenzeile, in jedem Produkt steckt die Kernphilosophie des Unternehmens. Nicht der Designer steht im Vordergrund, sondern das Produkt. Eine Haltung, die im Marketingzeitalter des Persönlichkeitskultes für manche etwas oldschool wirkt. Während Unternehmen heute vermehrt externe Star-Designer verpflichten, wird bei Vipp strikt selbst designt. „Dies zwingt uns dazu, das Produkt selbst zum Star zu machen und all unsere Energie darauf zu verwenden, es zum Strahlen zu bringen“, heißt es im Leitbild.

Wir träumen von einer Welt mit weniger, aber dafür besseren Produkten, die die Zeit überdauern.

von Kasper Egelund, CEO und Vipp-Inhaber in dritter Generation

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Nur der Deckel des Vipp Eimers wurde einmal verändert, sonst ist das Design dasselbe wie vor 80 Jahren.

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Vom Eimer zur Industrial Küche war es scheinbar nur ein kleiner Schritt.

Produziert wird nur, was es am Markt noch nicht in entsprechender Qualität und Funktionalität gibt. Die Produkte werden den Käufern als langfristige Investments präsentiert, von schnellen Trends und Modeerscheinungen will man sich klar distanzieren. „Wir träumen von einer Welt mit weniger, aber dafür besseren Produkten, die die Zeit überdauern und nicht mit den wechselnden Trends verblassen“, konstatiert Kasper Egelund, Vipp-Inhaber in dritter Generation. 

Daher gibt es keine Frühjahrs- und Herbst-Kollektionen und auch keine Nachfolgemodelle von Produkten. Das Design des Vipp Eimers wurde seit Beginn der Produktion nur einmal im Jahr 1949 verändert. Der Grund war ein neuer Herstellungsprozess. Der schwere geschweißte Deckel wurde durch eine ausgestanzte, leichtere Variante ersetzt. „Sobald du das Wesen eines Produktes erfasst und alles in seine Konzeption gesteckt hast, was gibt es da noch zu erreichen?“, bringt es Chief Designer Jensen auf den Punkt.

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Ritterschlag des dänischen Abfallschluckers

Als der Eimer im November 2009 in die permanente Architektur- und Design-Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen wird, lobt Chay Costello, MoMAs Merchandise-Kuratorin, „the Danish bin“ mit folgenden Worten: „Er ist ein wahres, unaufgeregtes Meisterstück. Die schnörkellose Industrial-Ästhetik und die Effizienz des Pedals sind ein Paradebeispiel für gutes Design.“

Er ist ein wahres, unaufgeregtes Meisterstück. Die schnörkellose Industrial-Ästhetik und die Effizienz des Pedals sind ein Paradebeispiel für gutes Design.

von Chay Costello, Marchandise-Kuratorin des MoMA New York

Die charakteristische Retro-Form des Eimers ist weltbekannt, doch nur wenige wissen von seiner dänischen Herkunft. Als man schließlich 2019 sein 80-jähriges Jubiläum feierte, tat man dies mit einer Sonderedition, die den geografischen Ursprung des Küchenutensils hervorheben sollte. Der französische Künstler Vahram Muratyan wurde damit beauftragt und versah eine limitierte Serie des 14-Liter-Eimers mit einer farbenfrohen Silhouette Kopenhagens

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Wirkt wie ein Design-Objekt für sich: das Vipp Shelter am schwedischen Immeln See.

Testwohnen und Probekochen im Vipp Hotel

Seit 2014 kann in der Welt des dänischen Designs auch genächtigt werden. Das Vipp Hotel ist ein neues Konzept, das mit einem klassischen Hoteldienstleister wenig gemein hat. Weder Empfang noch Restaurant oder Zimmerservice erwartet die Gäste der drei exklusiven Retreats. „Stattdessen haben unsere Zimmer voll ausgestattete Vipp-Küchen – eine Einladung zur Interaktion mit unseren Produkten“, erklärt Egelund.

Unsere Unterkünfte verfügen über voll ausgestattete Vipp-Küchen – eine Einladung zur Interaktion mit unseren Produkten.

von Kasper Egelund, CEO Vipp

Auch wenn das Vipp Shelter, eine Hütte aus edlem Schwarzstahl am schwedischen Immeln See, als perfektes Natur-Retreat taugt, so stehen hier Ausstattung und Interieur im Mittelpunkt des Konzeptes. Eine Vipp Küche sei eine Anschaffung fürs Leben, meint Egelund, und in der schwedischen Wildnis könne man sie schon mal für ein Wochenende testen. 

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Auch in urbanen Destinationen mit reichlich Industrial Flair können Interessierte zum Testwohnen und Probekochen einchecken: in das 400 m2 große Vipp Loft, das vom dänischen Architekten David Thulstrup entworfen wurde, und ins Chimney House, eine historische Wasserpumpstation mit hoch aufragendem Schornstein. Für eine Übernachtung zahlt man 1.000 Euro aufwärts, doch der Betrag wird beim Kauf einer Küche gutgeschrieben.

Text: Gertraud Gerst

Fotos: Vipp

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