Reinhold Messner im Klimagespräch
Nur wenigen Menschen war es vergönnt, den Planeten Erde aus eigenem Erleben aus so vielen extremen Perspektiven betrachten zu können, wie Reinhold Messner. Am 17. September 1944 in Brixen geboren, tat er dies vom Gipfel des Mount Everest ebenso wie vom Südpol, aus der Wüste Gobi gleichermaßen wie aus dem Plenarsaal des europäischen Parlaments. Das schärft den Blick auf Umwelt, Mensch und Tier.
Frage: Der Titel eines aktuellen Buches heißt „Ändert sich nichts, ändert sich alles“. Herr Messner, als ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments sind Sie mit politischen Prozessen bestens vertraut. Wird die Politik den Klimawandel in den Griff bekommen?
Reinhold Messner: Letztlich müssen wir Bürger die Probleme lösen. Und wir müssen die globale Erwärmung stoppen, keine Frage. Das wird aber insofern schwierig, als China, Indien und vermutlich auch die USA nicht bereit sind, die notwendigen Eingriffe zu fordern. In Europa haben wir die Chance, in der Thematik ein positives Momentum zu schaffen, dem andere Länder hoffentlich folgen werden. In den letzten 200 Jahren haben wir durch die Industrialisierung und den Verbrauch riesiger Mengen an fossilen Brennstoffen großen Wohlstand erreicht, dabei aber die Erde langsam aufgeheizt. Ich glaube zwar nicht, dass die Menschheit durch eine galoppierende globale Erwärmung untergehen wird. Wir werden durch den Klimawandel aber mehr und mehr Probleme wie Überflutungen oder verheerende Stürme bekommen, die sehr kostspielig sind. Ich bin nicht hysterisch. Und ich bin 77 Jahre alt und habe nicht mehr viel zu befürchten. Aber für unsere Kinder und Kindeskinder wird das Leben deutlich schwieriger, auch weil ihnen nicht mehr so viel billige Energie zur Verfügung stehen wird. Um die globale Erwärmung nicht noch weiter zu steigern, müssen wir den CO2-verursachenden Energieverbrauch drosseln. Und diese Herausforderung ist für die Politik schwer zu lösen.
Sie haben sich als Extrembergsteiger immer an der Unmöglichkeit gemessen. Erst die Auflehnung dagegen hat Sie zu Höchstleistungen angespornt. Kann das nicht auch in der Klimakrise eine Chance für die Menschheit sein?
Messner: Es gibt in meinem Leben nur einen einzigen Punkt, wo sich die Politik an mir orientieren könnte, und das ist der Verzicht. Mein Erfolg als Alpinist und Abenteurer lag in der Kunst, verzichten zu können. Ich war ja kein wohlhabender Mensch, sondern bin aus bescheidenen Verhältnissen gekommen. Ich hätte niemals Expeditionen, wie sie in den 70er-Jahren üblich war, finanzieren können. Bei der Expedition am Nanga Parbat, zu der ich 1970 eingeladen war, hatten wir acht Tonnen Ausrüstung und 18 Mann dabei. Die Expedition hat in heutigem Geld eine knappe halbe Million Euro gekostet, so viel hätte ich unmöglich aufbringen können. Fünf Jahre später bin ich mit meinem Partner Peter Habeler mit nur 200 Kilogramm Gepäck im Alpinstil auf einen anderen Achttausender gegangen. Der Verzicht auf Sauerstoffgeräte war nicht nur eine sportliche Herausforderung. Dieser Verzicht machte die Expeditionen auch um ein 30-Faches billiger.
Es gibt in meinem Leben nur einen einzigen Punkt, wo sich die Politik an mir orientieren könnte, und das ist der Verzicht.
Wenn ich 1978 am Mount Everest Sauerstoffgeräte eingesetzt hätte, hätte ich Helfer gebraucht, die selbst wieder Sauerstoffgeräte gebraucht hätten. 1978 brauchte man pro Mann allein 50 Kilogramm an Sauerstoffausrüstung, um auf den Everest zu gelangen. Ich bin davon überzeugt, dass das Erfolgsmodell in der Bewältigung der Klimakrise der Verzicht ist. Dieser Verzicht muss aber freiwillig sein und darf nicht aufgezwungen werden, sonst funktioniert das nicht. Ich war nie gescheiter und besser als die anderen, aber vielleicht kreativer. Mein Schlüssel zum Erfolg war der Verzicht, mit dem ich viel erfolgreicher wurde als andere ohne diesen Verzicht.
Was kann ein Immobilien-Developer tun, um die Erderwärmung einzudämmen?
Thomas G. Winkler: Viel mehr, als ich ursprünglich selbst gewusst habe. Weil 38 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes auf die Errichtung und den Betrieb von Gebäuden zurückzuführen ist. Wir haben uns auch schon vor der Pandemie mit alternativen Bauformen zur konventionellen Stahl-Beton-Bauweise auseinandergesetzt. Mit der Pandemie wurde uns aber bewusst, dass es zu einem radikalen Strategieschwenk kommen muss, nämlich hin zur kompromisslosen Nachhaltigkeit. Und Nachhaltigkeit heißt in unserem Fall Holzbau bei der Errichtung von Gebäuden und erneuerbare Primärenergie beim Betrieb, in erster Linie Geothermie. Wo immer es bei neuen Projekten möglich ist, bauen wir mit Holz und betreiben mit erneuerbarer Energie. Dazu haben wir uns selbst verpflichtet.
Messner: Noch vor tausend Jahren hat man hier in den Alpen mit den Ressourcen gebaut, die es vor Ort gab. Die Bauern haben ihren eigenen Kalk gebrannt, haben Lehm und Steine aus der unmittelbaren Umgebung genommen. Alles andere war aus Holz. Und diese Häuser haben 500, 600, 800 Jahre lang gehalten. Das ist die beste Bauweise. An diese Bauweise mit heutiger Technologie wieder anzuknüpfen ist nicht nur schlau, es ist ökologisch sauber. Dass die UBM auf Holzbau setzt, ist ein guter Schritt!
Winkler: Diese Bauernstube hier in Sulden, in der wir sitzen, ist ja das beste Beispiel. Die Balken und Bretter an der Decke und an den Wänden sind uralt. Wenn Holz nicht nass wird, hält es tausend Jahre und länger.
Hat man als Extrembergsteiger und Antarktis-Durchquerer einen anderen Blick auf die Welt?
Messner: Ja, ich habe einen anderen Blick auf die Welt, und ich bin unendlich dankbar, dass ich all diese Reisen machen durfte. Ich bin beispielsweise 92 Tage lang durch das Eis der Antarktis gegangen und habe dabei verstanden, welches Potenzial in der Antarktis liegt. Die Dolomiten, die Kletterfelsen meiner Jugend, sind vor ungefähr 500 Millionen Jahren im Ozean als Korallenriffe entstanden. Das ist eine Unendlichkeit im Vergleich zur Menschenzeit. Die Natur, die Erde, der Kosmos – das ist eine existente Größe. Aber die Menschheit – das ist eine vergehende Größe. Die Menschheit ist auf ihr Ende ausgerichtet. Früher oder später wird die Menschheit verschwunden sein. Weil früher oder später die Sonne keine Energie mehr geben oder umgekehrt so viel Energie geben wird, dass wir Menschen auf der Erde nicht mehr leben können. Die Menschen haben eine ganz schmale klimatische Bandbreite, in der sie leben können. Der Eisbär zum Beispiel kann 30 Tage ohne Fressen bleiben und im Eiswasser schwimmen. Ohne Infrastruktur schafft es der Mensch bei minus 50 Grad nicht einmal eine Stunde, auf einer Eisscholle neben dem Eiswasser zu überleben.
Nachhaltigkeit ist kein Modethema. Nachhaltigkeit ist eine Haltung.
Können Unternehmen heutzutage das Thema Nachhaltigkeit ausklammern?
Winkler: Nein. Kein Unternehmen kann wirtschaftlich erfolgreich sein, ohne nachhaltig zu sein. Nachhaltigkeit ist auch kein Modethema, wie manche noch immer glauben, Nachhaltigkeit ist eine Haltung. Und die Nachhaltigkeit ist nach Europa gekommen, um zu bleiben. Außerdem ist es in Europa gelungen, die Geldströme in diese Richtung zu lenken, indem nachhaltiges Verhalten belohnt wird. Das hilft enorm.
Viele Experten sagen, dass es zum Erreichen der Klimaziele ein zirkuläres statt unseres linearen Wirtschaftssystems braucht. Was bedeutet dieses Prinzip der Kreislaufwirtschaft für die Immobilienbranche?
Winkler: Auch das ist keine neue Erkenntnis. Früher wäre man nie auf die Idee gekommen, etwas wegzuwerfen, was man noch einem anderen Zweck zuführen konnte. Wenn ich aber nicht weiß, welche Materialien in einem Gebäude überhaupt stecken, dann kann ich beim Abriss das Gebäude nur zerkleinern und als Straßenbefestigungsmaterial verwenden oder verfeuern. Das sind aber sicherlich die zwei unintelligentesten Arten, wie man mit Ressourcen in einer endlichen Welt umgehen sollte. Daher ist die Kreislaufwirtschaft zwingend mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit verbunden und der Tatsache geschuldet, dass wir in einer endlichen Welt leben und daher alles so oft wie möglich wiederverwenden sollten.
Messner: Hier in Südtirol, im oberen Pustertal, steht eine alte Bergstation einer aufgelassenen Liftanlage, gebaut mit sehr viel Beton und Stahl. Die Besitzer dieser Bergstation und ich haben die Idee entwickelt, dieses Gebäude in ein Museum umzuwandeln. Weil der Abbau des Betons und des Stahls und die Lieferung ins Tal sehr teuer und kompliziert wären und letztlich alles auf dem Sondermüll landen würde. Das Land Südtirol hat uns bisher aber keine Genehmigung für dieses Museumsprojekt erteilt. Laut Gesetz muss die Bergstation nämlich abgebaut werden, weil unser Gesetz es nicht erlaubt, dass etwas am Berg stehen bleibt, was nicht gebraucht wird. Das ist richtig und verrückt zugleich. Wir würden das Gebäude upcyceln, alles wiederverwenden, was vor 30 Jahren mit viel Arbeit errichtet wurde. Ich glaube, dass Upcycling einer der Schlüssel zur Lösung der Klimakrise ist. Oder dieses Bauernhaus hier in Sulden, in dem wir dieses Gespräch führen – ich habe es vor einigen Jahren um drei Euro erworben, weil es absolut kaputt war. Mein Architekt hat damals gesagt: Herr Messner, das hat keinen Sinn, das müssen wir niederreißen und neu aufbauen. Ich habe aber gesagt: Die beiden Stuben kann ich nirgendwo kaufen, beide sind mehr als 500 Jahre alt. Ich möchte das Gebäude erhalten, und zwar so, wie es früher war. Die Sanierung kostete zwar Geld, aber weniger, als wenn man das Gebäude neu errichtet hätte.
Winkler: In der Immobilienbranche nennen wir das Refurbishment. Das ist immer nachhaltiger als der Abriss. Und das ist die Zukunft unserer Branche.
Werden wir alle unser Leben ändern müssen, oder können wir darauf vertrauen, dass der technologische Fortschritt die Klimakrise entschärft?
Winkler: Es ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Wir werden beides brauchen. Das spiegelt sich auch in unser Konzernstrategie green. smart. and more. wider. Das „green“ steht dabei für eine veränderte Lebensweise, eine Haltung. Das „smart“ hingegen ist der technologische Fortschritt, den wir brauchen. Ganz konkret: Das „green“ steht bei der UBM für Holzbau und Geothermie, das „smart“ für energiereduzierende Sensorik und Standardisierung.
Ich glaube, dass Upcycling einer der Schlüssel zur Lösung der Klimakrise ist.
Messner: Ich bin auch der Meinung, dass uns nur die Summe von Haltung und Technologie weiterbringen wird. Die Technologie hat die Menschheit bisher gerettet. In der Pandemie war es zum Beispiel rasch möglich, einen Impfstoff zu generieren. Leider haben viele diese Möglichkeit nicht genutzt und sich nicht impfen lassen. Hätten alle, die sich impfen lassen dürfen, sich auch impfen lassen, hätten wir diese Pandemie wohl schon hinter uns.
Herr Messner, Sie haben in den letzten Jahrzehnten mehr als 50 Bücher geschrieben. Welches Buch ist noch nicht geschrieben?
Messner: Meine Frau Diane und ich schreiben gerade an einem Buch, wo wir über den Verzicht als freiwillige positive Anregung sinnen. Wie heißt der Untertitel, Diane, den hast doch du erfunden?
Diane Messner: Verzicht als positiver Wert für ein gelingendes Leben. Durch Reinhold habe ich Verzicht zu schätzen gelernt. Das fängt im Kleinen an, etwa beim Einkaufen oder Kochen. Wir leben Verzicht im Alltag, wir üben täglich Verzicht, den freiwilligen Verzicht.
Winkler: Ich habe mit dem Begriff so meine Probleme. Ich bin lieber für Disziplin und glaube, dass auch das, gepaart mit Analytik und Überlegtheit, zum Erfolg führen kann. Verzicht muss immer freiwillig und aus Leidenschaft erfolgen.
Moderation: Gertraud Gerst
Fotos: Philipp Weissensteiner
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