Parken im Park
Durch die weitläufige Grünfläche zieht sich ein langgestreckter Teich, an den Rändern dichte Büschel von Sumpfgräsern. Die zweigeschossige Holzzeile weiter hinten fügt sich dezent in die Parklandschaft ein und bildet eine optische Trennmarke zwischen der Grasfläche und dem Baumbestand. In ihrer asketischen Schlichtheit und Leichtigkeit wirkt die Struktur wie ein moderner fernöstlicher Tempel. Als ahnungsloser Betrachter könnte man über die Nutzung des Gebäudes allerlei Mutmaßungen anstellen. Ein hippes Yoga-Retreat wäre ebenso vorstellbar wie ein Zen-inspirierter Wellness-Anbau. In Wahrheit aber handelt es sich bei dem puristischen Holzbau um ein Parkhaus. Allerdings um eines, in dem man ökologisch vorbildlich und ganzheitlich parkt.
Der Entwurf für das B&O Parkhaus in der bayrischen Stadt Bad Aibling stammt von HK Architekten mit Sitz in Schwarzach, Vorarlberg. Hermann Kaufmann, der Gründer des Architekturbüros, gilt als Pionier des modernen Holzbaus, den er seit Mitte der 1980er Jahre mit neuartigen Tragsystemen vorangetrieben hat. Für seine konsequente Arbeit und den fortschrittlichen Einsatz des Naturbaustoffes wurde der Vorarlberger bereits mehrfach ausgezeichnet.
Architektur mit Anspruch
Daher verwundert es auch nicht, dass in der oberbayrischen Stadt jetzt ein Parkhaus mit überraschend hohem architektonischem Anspruch steht. Statt eines gesichtslosen Verwahrungsortes für Automobile ist es ein schön anzusehender, klimaneutraler Bau, der größtenteils aus erneuerbaren Materialien besteht.
Das Hauptbaumaterial ist Buchenholz, das in Form von Leimbindern und Brettsperrholz das Tragwerk bildet. Die schlanken Lamellen an der Fassade im oberen Geschoss filtern das Licht und dienen zugleich als Absturzsicherung. Eine elegante gestalterische Lösung, die das Bauwerk durchlässig macht und seinen leichten, modellbauartigen Charakter unterstreicht.
Die Herausforderung der Planungsaufgabe bestand darin, das Bewegungsverhalten von den Bauteilen durch auftretende Lasten, sowie das Quell- und Schwindverhalten der Holzträger genau vorherzusagen, und dadurch kontrolliert zuzulassen.
Die Straßendecke aus Gussasphalt zieht sich über eine skulpturale Betonrampe ins Innere der Parkdecks. Den Fußgängeraufgang auf der gegenüberliegenden Seite bildet eine filigrane Stahltreppe, die dem Holzbau keine große Aufmerksamkeit stiehlt. „Wir haben eine offene Struktur für Durchlässigkeit, Helligkeit und für das Sicherheitsgefühl der Nutzer geschaffen. Die Herausforderung der Planungsaufgabe bestand darin, das Bewegungsverhalten von den Bauteilen durch auftretende Lasten, sowie das Quell- und Schwindverhalten der Holzträger genau vorherzusagen, und dadurch kontrolliert zuzulassen“, umreißt Architekt und Projektleiter Andreas Ströhle die Bauaufgabe.
Von der Kaserne zur City of Wood
Das Parkhaus ist Teil eines neuen Stadtentwicklungsgebietes in Bad Aibling, das auf dem ehemaligen Stützpunkt der amerikanischen Streitkräfte entsteht. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde das gesamte Personal abgezogen und das vormals belebte Kasernenareal mutierte zur Geisterstadt. 2006 erwarb es schließlich die B&O Baugruppe mit dem ambitionierten Ziel, es unter dem Titel „City of Wood“ zur Nullenergiestadt zu machen. Als Teil des bundesweiten Forschungsvorhabens „EnEff Stadt“ soll es Daten dazu liefern, wie sich die Energieeffizienz von städtischen Siedlungsräumen durch integrale Planung verbessern lässt. „Gezieltes Knowhow für die Stadt der Zukunft“ will man auf diese Weise erzielen.
Bereits jetzt ist der Holzbau in puncto Energieeffizienz, Lebensdauer, Sicherheit, Flexibilität und Nachhaltigkeit den traditionellen Bauweisen gleichwertig beziehungsweise erheblich im Vorteil.
„Mit der City of Wood wird die B&O Gruppe eine vorbildliche Holzbaustadt als Nachverdichtung eines bestehenden Quartiers errichten“, erklärte der Entwickler schon beim Internationalen Holzbau Forum 2012. „Bereits jetzt ist der Holzbau in puncto Energieeffizienz, Lebensdauer, Sicherheit, Flexibilität und Nachhaltigkeit den traditionellen Bauweisen gleichwertig beziehungsweise erheblich im Vorteil.“
Die Nullenergiestadt
Mittlerweile sind die Arbeiten abgeschlossen und auf einer ehemaligen Brache ist ein Musterprojekt für die ökologisch nachhaltige Stadt von morgen entstanden. Mit energieeffizienten Neubauten in Holzbauweise und energetisch sanierten Bestandsbauten. Mit Wohnanlagen, Büros, Gewerbeflächen und all der Infrastruktur, die ein autarkes Stadtgebiet braucht. Anstatt für jedes Bauprojekt ein eigenes Konzept zur Energieversorgung zu erstellen, hat man die Energiefrage ganzheitlich für das gesamte Quartier gedacht und somit vorhandene Synergien genutzt.
Zeitgleich mit dem Parkhaus haben HK Architekten noch weitere Projekte in der City of Wood fertiggestellt: zwei kompakte Stadtvillen mit je drei Reihenhauseinheiten und ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus, allesamt in modularer Holzbauweise.
Im Zuge der E-Mobilität, die derzeit massiv vorangetrieben wird, folgen immer öfter zugehörige Infrastrukturen, die klimaneutral errichtet werden. In Skandinavien kann man bereits an E-Tankstellen aus Holz nach einem Entwurf des dänischen Architekturbüros Cobe tanken, in Bad Aibling gibt es nun auch das passende Parkhaus dazu.
Text: Gertraud Gerst Fotos: Sebastian Schels
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