Nachhaltigkeit weiter gedacht

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Zu nachhaltigem Bauen gehört auch Recycling. Schön langsam setzt sich der Ansatz Cradle to Cradle in der Bauwirtschaft durch.

Nachhaltiges Bauen ist weit mehr, als nur die Berücksichtigung von Energieeffizienz, das Einsparen von CO2 und der Einsatz erneuerbarer Energien. Die Herausforderungen der Bau- und Immobilienwirtschaft gehen darüber hinaus. Langfristig habe die Welt keinen Mangel an Energie, sondern an Rohstoffen, sagen Experten. Der Ansatz Cradle to Cradle® findet auch in der Bau-Branche immer mehr Anhänger.

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Die Niederländer gelten als Vorreiter in Bezug auf Cradle to Cradle. Im Bild: Das Rathaus in Venlo.

Kreislaufwirtschaft

Cradle to Cradle® (C2C) ist ein Designprinzip, das in den 1990er Jahren von Michael Braungart, William McDonough und EPEA Hamburg entwickelt wurde. Die EPEA GmbH ist zu einem globalen Innovationspartner für umweltverträgliche Produkte, Prozesse, Gebäude und Stadtquartiere geworden. Seit 2013 arbeiten EPEA und Drees & Sommer, der international tätige Projektsteuerer für den Bau- und Immobiliensektor, zusammen.

Das Ziel: C2C in der Immobilien- und Baubranche voranzutreiben. Dabei geht es um „kreislauffähige, gesunde und werthaltige Gebäude”, die Verknüpfung von Innovation, Qualität und gutem Design.

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EPEA hat den Bau des Rathauses in Venlo begleitet ...
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... und die Building Materials Passports erstellt.

Nachhaltiges Bauen ist weit mehr, als nur die Berücksichtigung von Energieeffizienz, CO2-Einsparungen sowie der Einsatz erneuerbarer Energien.

von Michael Braungart, Gründer von EPEA

Schluss mit „Take-Make-Waste”

Übersetzt heißt der Begriff Cradle to Cradle „Von der Wiege zur Wiege“. Idealerweise zirkulieren Materialien und Nährstoffe unendlich – und zwar auf sichere Art und Weise. Damit steht der Ansatz dem heute noch vielfach geltenden „Take-Make-Waste“-Prinzip diametral gegenüber.

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Cradle to Cradle gilt als Weiterentwicklung des Nachhaltigkeitsansatzes.

Gerade die Bauwirtschaft wird immer wieder als Haupt-Verbraucher der weltweiten Rohstoffe und als großer Verursacher immenser Abfallmengen genannt. Heutige Nachhaltigkeitsstandards, ob Green Building oder Blue Building, gehen schon weit über die Gesetzgebung hinaus. Aber das Ressourcenproblem bleibt dennoch häufig unbeantwortet.

Gebäude als Rohstofflager

Gebäude, die nach dem C2C-Prinzip errichtet werden, sollen vernetzt, autark, flexibel, kreislauffähig, gesund und energiepositiv sein. Konkret bedeutet dies, dass sie umnutzungsfähig sind und die Materialien leicht demontiert werden können, weil sie sortenrein trennbar und dadurch vollständig rezyklierbar sind (siehe auch das Projekt CEPEZED Demountable). Damit werden die Objekte zu langlebigen Rohstoffdepots.

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Neu-Definition von Design: Bauschutt und Abfall sollen tunlichst vermieden werden.
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Die Objekte werden als langlebige Rohstoff-Depots erachtet.

Ein Gebäude, welches am Nutzungsende zu Bauschutt und Abfall wird, hat ein Designproblem.

von EPEA

Weitere mögliche Features solcher Gebäude: sie reinigen etwa die Außenluft oder das Regenwasser oder sie schaffen Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Aber die C2C-Bauweise hat auch unmittelbare positive Auswirkung auf die Produktivität des Menschen – verbringen wir doch rund 90 Prozent unserer Lebenszeit in Gebäuden.

Neue Fachdisziplin

Mit „Circular Engineering“ sei eine neue Fachdisziplin im Rahmen der Integralen Planung für Gebäude entstanden, so die EPEA-Experten. Alle Fragen rund um die Kreislauffähigkeit und Materialität von Gebäuden ließen sich damit problemlos beantworten.

Doch Circular Engineering liefert nicht nur Wissen zu den Planungs- und Bauprozessen, es umfasse auch die Kompetenz bezüglich Gesundheits- und Umweltverträglichkeit von Materialien und verfügbaren Industrieprodukten.

Bauherren und Developer interessieren aber sicher auch pekuniäre Aspekte: Der sogenannte „Building Material Passport” gibt Aufschluss darüber, welche verwendeten Materialien sich einfach trennen lassen und welche chemische Zusammensetzung die verbauten Produkte besitzen. Und damit lassen sich auch die monetären Werte der verbauten Konstruktionen in den Gebäuden ermitteln. Das Bild für eine Finanzierung oder die Wertermittlung oder laufende Betriebskosten wird so kompletter.

Ein Register zu C2C-zertifizierten Produkten findet sich im Internet unter diesem Link: https://www.c2ccertified.org/products/registry. Die Zertifizierung erfolgt durch Michael Braungarts EPEA. Bauherren und Architekten mit Rat und Tat zur Seite steht die NGO C2C Lab. Orientierung darüber, wie man C2C gemäß bauen kann, bieten die vom Büro Arup definierten Guidelines.

Der „Building Material Passport“ ist eine Art Nach- und Ausweis für die Kreislauffähigkeit eines Gebäudes. Im Vorfeld dient dieser Pass als Planungs- und Dokumentationsinstrument. So können sämtliche Planungsdisziplinen und die ausführenden Firmen die Kreislauffähigkeit sicherstellen. Im Nachhinein gibt der Pass Aufschluss darüber, welche verwendeten Materialien sich einfach trennen lassen und welche chemische Zusammensetzung die verbauten Produkte besitzen. Auch die monetären Werte lassen sich damit ermitteln – wichtig für Finanzierung oder laufenden Betrieb.
Hilfreich sind die Materialdatenbanken, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes „Buildings as Material Banks“ entwickelt wurden.

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Der Standort der RAG Zeche Zollverein in Essen.
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C2C bietet mehrfachen Mehrwert, so die Experten.

Immer mehr C2C-Gebäude

Es entstehen immer mehr Gebäude, die unter C2C-Gesichtspunkten konstruiert wurden. Beispiele sind das Rathaus in Venlo, für dessen Produkte EPEA die Material Passports erstellt hat. Weitere Leuchtturmprojekte seien der fertiggestellte Neubau der RAG Zeche Zollverein und in Bau befindliche Gebäude wie das Feuerwehrhaus Straubenhardt, das Holz-Hybrid Gebäude „The Cradle“ oder mehrere Bauvorhaben von Roche am Standort Basel.

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Von kadawittfeldarchitektur entworfen.
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RAG: Begrüntes Dach, Photovoltaik und Geothermie.

Ganz oben auf der Wunschliste der Stadt Venlo stand beim neuen von Kraaijvanger Architects entworfenen Rathaus als gewünschtes Ergebnis die Verbesserung der Innen- und Außenluftqualität – zumal es sich an einer viel befahrenen Verkehrsader befindet.

Ein Gewächshaus reinigt beispielsweise die Luft von außen mit Hilfe der natürlichen Begrünung, bevor sie in das Gebäude gelangt. Und ein intelligentes Rohrsystem sorgt dafür, dass eine angenehme Temperatur erreicht wird, bevor die Luft auf die verschiedenen Stockwerke verteilt wird.

Alles andere als „stranded assets”

Leidenschaftliche Verfechter von Cradle to Cradle-Gebäuden finden zahllose Vorteile für diese Bauweise, u.a.
• Verbesserung des Raumklimas
• Reinigung der Außenluft
• Erzeugung erneuerbarer Energie
• Mehrwerte auch für die Umwelt (Mikroklima, Biodiversität, …)
• Positive Wertenwicklung einer Immobilie

Augenmerk auf die Wasserströme

Auch die Wasserströme werden hier sorgfältig aufgeteilt: In Regenwasser, Trinkwasser, Grau- und Schwarzwasser. Auf den mit Pflanzen bedeckten Dächern wird das Regenwasser für die Bewässerung der grünen Wand und die Toilettenspülung gesammelt.

Hier wird „the making of” des „Stadskantoor” in Venlo dokumentiert: https://www.kraaijvanger.nl/en/projects/city-hall-venlo/

Die Niederlande gelten als Vorreiter beim C2C-Prinzip: An die 30 Projekte sollen so bereits durchgeführt worden sein. Beratungsleistungen hierfür führt das Unternehmen C2C ExpoLAB durch. Einige der Projekte finden sich hier: www.c2c-centre.com/projectts. Internationale Projekte listet das Hamburger Umweltinstitut: https://c2c-buildings.net/c2c-projects.

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Das neue RAG Verwaltungsgebäude wurde von kadawittfeldarchitektur entworfen. Die gesamte Dachfläche wurde von Greenbox Landschaftsarchitekten begrünt – zur Freude der Mitarbeiter, die sich dort aufhalten können. Und die positiven Auswirkungen auf Mikroklima und Biodiversität sind unbestritten. Photovoltaikelemente sowie die Geothermie-Anlage produzieren erneuerbare Energie.

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Eine ganz neue Wohnqualität: In Hamburg entsteht das C2C-Wohnhochhaus „Moringa”.

Moringa-Haus in Hamburg

Hamburg bekommt bald sein erstes C2C-Wohnhaus: In der HafenCity entsteht das Wohnhochhaus Moringa. Die begrünten Flächen am und auf dem Gebäude werden den Bewohnern und Besuchern als Erholungsorte dienen sowie die Luftqualität und Biodiversität im gesamten Quartier steigern. Insgesamt soll sogar mehr Grünfläche entstehen, als überbaut wird.

Zusätzlich wird von kadawittfeldarchitektur und der Landmarken AG erhofft, dass sich damit auch die Lebensqualität erhöht, die gemeinschaftliche Nutzung etwa für Urban Farming ist explizit gewünscht.

Die drei Baukörper werden zu rund 85 Prozent Mietwohnungen (preisgebunden und freifinanziert) beherbergen. Hinzu kommen Flächen für eine KiTa, für Gastronomie und Co-Working.

Text: Linda BenköVisualisierungen, Fotos: Kraajvager Architects, Ronald Tilleman, RAG, Nikolai Benner, Jens Kirchner, Hans Blossey, Landmarken AG

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