Flughafen Zürich fliegt auf Holz
Wer mit den Worten „Holz“ und „Flug“ ausschließlich bitter beengte Stunden in der „Holzklasse“ assoziiert, bekommt jetzt Anlass zu weitaus vielversprechenderer Interpretation. Denn ein aktuelles Projekt der Flughafen Zürich AG setzt neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit – indem es vorwiegend aus Holz entsteht: Der Neubau von Dock A des größten Airports der Schweiz verspricht nicht nur einen für Fluggäste höchst angenehmen Ab- und Anreiseort. Er ist auch geeignet, eine umweltfreundlichere Ära im Terminalbau einzuläuten.
Wettbewerbssieger „Raumfachwerk“
Der Entwurf, der jüngst den Wettbewerb um die Erneuerung von Dock A samt seiner Anschlussbauten gewann, ist ebenso schön, wie zukunftsorientiert. Er trägt den Namen „Raumfachwerk“ und wurde von einem hochkarätigen Team um Bjarke Ingels Group (BIG), HOK und 10:8 Architekten entwickelt. Ebenfalls dabei: DasIngenieur-Büro Happold, die Holzexperten von Pirmin Jung und der Luftfahrtberater NACO.
Seit seiner Eröffnung in den 1950er Jahren hat sich der Flughafen Zürich zu einem der wichtigsten Luftverkehrsknotenpunkte Europas entwickelt.Dass sich die Anforderungen im Flugverkehr ständig verändern, macht laufende Erneuerungen von Airport-Anlagen nötig. Nach mehreren Erweiterungen – Dock E, Airside Center und The Circle – steht auf dem Züricher Flughafen nun also die Erneuerung des in die Jahre gekommenen Docks A an.
Nachhaltig überzeugend
Am internationalen und zweistufigen Wettbewerb hatten unter anderem auch Top-Büros wie Foster + Partners, Grimshaw Architects und SOM teilgenommen. Warum man sich für den „Raumfachwerk“-Entwurf entschied, begründet Flughafen Zürich AG Verwaltungspräsident und Jury-Mitglied Andreas Schmid so: „Dieser Vorschlag war insbesondere aus nachhaltiger, betrieblicher und wirtschaftlicher, aber auch aus städtebaulicher und architektonischer Sicht am überzeugendsten“.
Dieses Projekt ist nicht nur ein neuer Meilenstein für den Flughafen Zürich, sondern für die gesamte Luftfahrt.
Das neue Dock A soll in zehn Jahren eröffnet werden. Es wird Schengen- und Non-Schengen-Gates, luftseitige Einzelhandelsgeschäfte, Lounges und Büros umfassen. Ebenso, wie den neuen Flugsicherungsturm und eine Erweiterung der Einwanderungshalle.
Schubkraft für Holz-Großprojekte
Für den Jury-Vorsitzenden Harry Gugger ist dieses Vorhaben „ein Meilenstein“. Und zwar nicht nur für den Flughafen Zürich, sondern für die gesamte Luftfahrt: „Die Jury war erfreut und dankbar, ein solch wegweisendes Projekt zu unterstützen. Eines, das dazu beitragen wird, den nachhaltigen Holzbau für große Infrastrukturprojekte wieder zu beleben“.
Der Entwurf basiert auf dem Konzept des Teams für ein „Raumfachwerk“: Ein robustes und doch flexibles Tragwerk. Und er zelebriert das Erlebnis und die Bewegung der Passagiere auf dem Flughafen. Das neue Dock A grenzt ans Airside Center und den Terminal 1. Es wird durch zwei Hauptbereiche definiert: Das zentrale Drehkreuz mit Einkaufsmöglichkeiten, Flughafendienstleistungen für ankommende und abfliegende Passagiere und vertikaler Zirkulation. Und den Pier mit den Gates, Wartebereichen und festen Verbindungen zu den Flugzeugen.
„Frankensteins“ Flughäfen
Für BIG-Gründer und Kreativdirektor Bjarke Ingels sind Flughäfen inzwischen zu „Frankensteins“ geworden. Ausbauten, immer neue internationale Richtlinien und Anforderungen haben sie zu „miteinander verbundenen Elementen, Flicken und Erweiterungen“ gemacht, urteilt der Architekt. Für den neuen Hauptterminal des Flughafens Zürich habe das Team versucht, diese komplexe Herausforderung mit einer möglichst einfachen Lösung zu beantworten: Ein Raumtragwerk aus Massivholz, das Tragwerk, Raumerlebnis, architektonische Ausführung und Organisationsprinzip in einem ist.
Die markante Struktur ist aus lokalem Holz gefertigt. Der lange skulpturale Dachkörper wird vollständig mit Solarschindeln verkleidet, die das Sonnenlicht in eine Energiequelle verwandeln. Bjarke Ingels bezeichnet den Entwurf als „einfaches, aber ausdrucksstarkes Design, das in der Tradition verwurzelt und der Innovation verpflichtet ist und die kulturellen und natürlichen Elemente der Schweizer Architektur verkörpert“.
Tageslicht als Leitsystem
Dass der neue Terminal Tageslicht als natürliches Wegeleitsystem nützt, soll Dock A für Passagiere besonders angenehm machen.Das hölzerne Fachwerkdach des zentralen Raums fließt hinaus und geht in den Flugsicherungsturm über. Als tragender, betonierter Mast bietet dieser erhöhte strukturelle Stabilität.
Freundlicher „Hauptplatz“
Die doppelt gekrümmte Holzgitterschale im Scheitelpunkt des Atriumdaches bildet ein Oberlicht.Dieses weitet sich zum zentralen Drehkreuz hin und öffnet sich zum Atrium, in dem alle umsteigenden, an- und abfliegenden Passagiere zusammenkommen. Der Kontrollturm in der Mitte wirkt von innen wie ein Leuchtturm und vermittelt eher „Stadtplatz-Feeling“ als Flughafen-Ambiente.
Ankommende Reisende werden ins Zentrum von Dock A geleitet, das sich über sieben Stockwerke erstreckt. Die Passagierströme werden durchs großzügige, helle Atrium geführt, das alle Etagen über Treppen, Rolltreppen und Aufzüge miteinander verbindet. Und zwar von der unterirdischen Einwanderungshalle über alle Ankunfts- und Abflugebenen bis zu den Lounges in den oberen Etagen des zentralen Drehkreuzes.
Solche Großprojekte machen darauf aufmerksam, dass Holz heute auch im Maßstab des Infrastrukturbaus technisch mithalten und dabei exzellente Leistungen erbringen kann.
Struktur, Böden und Decken des neuen Docks sind in moderner, reduzierter Materialpalette geplant. Vorherrschender Baustoff: Holz. Und diese Entscheidung des Architekten-Teams um BIG und HOK hat viele Vorteile. So ermöglicht die erneuerbare, lokal verfügbare Ressource effiziente Vorfertigung während des Bauprozesses. Zugleich würdigt sie die langjährige Tradition des Holzbaus in der Schweiz.
Holzwirtschaft am Puls der Zeit
Dass diese lebt und Zukunft hat, betont der am Projekt beteiligte Schweizer Holzbau-Spezialist Pirmin Jung: „Unsere Holzwirtschaft ist heute technologisch und leistungsmäßig in der Lage, ein solches Großprojekt zeitgerecht weitgehend mit Schweizer Holz auszuführen“.
DassVorhaben wie jenes am Flughafen Zürich den natürlichen Baustoff in den Fokus rücken, freut Primin Jung besonders: „Solche Großprojekte machen darauf aufmerksam, dass Holz heute auch im Maßstab des Infrastrukturbaus technisch mithalten und dabei exzellente Leistungen erbringen kann. Doch die Vorteile von Holz liegen nicht nur in seinem interessanten Tragverhalten und der angenehmen Ausstrahlung. Sie liegen vor allem auch in seiner Öko-Bilanz, die entscheidend besser ausfällt als bei konventionellen Bauweisen“.
Innovative Hommage an Schweizer Tradition
Das Tragwerkssystem des Docks besteht aus V-förmigen Holzsäulen und Holzfachwerken an den Außenwänden. Holzdecken mit über zwölf Metern spannen zwischen Unterzügen, die in die Holzbinder eingehängt sind. Der mehrgeschossige Wurzelbereich wird ebenfalls mit weit gespannten Holzhohlkastendecken konstruiert, die über Stahlträgern auf Stützen lagern. Die Holzkonstruktion wird von einer Stahlbetonunterkonstruktion getragen. Mit dieser Lösung nimmt das Architekten-Team Bezug auf jahrhundertealte Tradition und die Steildächer der Alpenlandschaft.
Auch die visuell ruhige Materialpalette, das natürliche Licht und die Biophilie tragen dazu bei, die Erwartungen der Passagiere ans typische Flughafenerlebnis neu zu definieren.
Dass sich der Flughafen Zürich beim neuen Terminal um Nachhaltigkeit bemüht, unterstreichen auch andere Aspekte des Siegerentwurfs:Das Dach von Dock A wird mit PV-Paneelen bedeckt, während integrierte Beschattung den solaren Wärmegewinn und den Wartungsbedarf reduziert. Eine Kombination aus wasser- und luftbasierten Kühl- und Heizsystemen wird den Energiebedarf des Gebäudes verbessern.
Spektakuläre neue Flughafengebäude gibt’s freilich auch anderswo. Man denke nur an Helsinkis mit visuellen und klanglichen Annehmlichkeiten bestückten „Aukio“. Oder den gigantischen „Peking Daxing“, der aktuell als größter Airport der Welt gilt. Allerdings: Mit dem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Dock A leistet der Flughafen Zürich tatsächlich Pionierarbeit. Und betrachtet man das „Raumfachwerk“-Konzept, kann man getrost davon ausgehen, dass auch die Passagiere ihren Aufenthalt vor Ort genießen werden.
Ganz neues „Airport-Feeling“
Schließlich zielt das Design darauf ab,möglichst intuitive Streckenführung zu bieten, die Reisende bequem und rasch ans jeweilige Ziel leitet. Und, wie BIG-Partner Martin Voelkle meint:„Auch die visuell ruhige Materialpalette, das natürliche Licht und die Biophilie tragen dazu bei, die Erwartungen der Passagiere ans typische Flughafenerlebnis neu zu definieren“.
Holzbau-Vorbild Flughafen Zürich
An der Unbill, die „Holzklasse“-Reisenden auf Langstrecken blüht, wird auch der neue Terminal am Flughafen Zürich nichts ändern. Allerdings: Die gedankliche Verbindung von „Holz“ und „Flug“ bekommt endlich auch einen positiven Dreh. Und das „Raumfachwerk“-Konzept liefert der Erkenntnis Aufwind, dass der nachhaltige Baustoff Holz sich auch für Großprojekte eignet.
Text: Elisabeth Schneyder Bilder: BIG, Bucharest Studio, IMIGO
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