Eine olympische Arche Noah

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Mit dem Centre Aquatique Olympique haben die Olympischen Sommerspiele 2024 ihr architektonisches Wahrzeichen bekommen. Mit der größten konkaven Holzkonstruktion der Welt erklärt Paris die Dekarbonisierung zur olympischen Disziplin.

Paris bereitet sich zum dritten Mal in seiner Geschichte auf die Olympischen Sommerspiele vor, zuletzt vor genau hundert Jahren. Während andere Gastgeberländer in der Vergangenheit die Gelegenheit für große Stadtentwicklungsprojekte nutzten – so etwa den Ausbau des U-Bahn-Netzes in Athen 2004 –, so hat sich Paris 2024 vorgenommen, bei der Ausrichtung der Spiele möglichst wenig Emissionen zu erzeugen. Das nachwachsende Holz wurde zum olympischen Baustoff erklärt, und allem voran achtete man darauf, dass so wenig wie möglich neu gebaut wird. Rund 95 Prozent der diesjährigen Olympiastätten sind Bestandsbauten. Damit möchte die Stadt mit gutem Beispiel vorangehen und die Dekarbonisierung der Baubranche forcieren.

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Massive Leimbinderstützen prägen das Erscheinungsbild des neuen Olympischen Wassersportzentrums im Pariser Vorort Saint-Denis.

Entsprechend vorbildlich hat man die einzelnen Bauprojekte umgesetzt. Das olympische Dorf nördlich von Paris ist zur Gänze aus Holz gebaut und bezieht grüne Energie aus Geothermie. Auch die Champ de Mars Arena, ein kreislauffähiger Holzbau des Architekten Jean-Michel Wilmotte, zeigt sich klimapolitisch von der besten Seite. Das ist man sich schuldig, denn immerhin trägt das internationale Klimaabkommen den Namen der Seine-Metropole.

Dekarbonisierung als olympische Disziplin

Und weil auch die Architektur längst zur olympischen Disziplin avanciert ist, darf ein ikonischer Olympiabau nicht fehlen. Im nördlichen Pariser Vorort Saint-Denis wurde speziell für die Olympischen und die Paralympischen Spiele ein wegweisender Ingenieur-Holzbau errichtet, das Centre Aquatique Olympique (CAO), zu Deutsch: Olympisches Wassersportzentrum. Über eine begrünte Fußgängerbrücke ist es mit dem 400 Meter entfernten Stade de France verbunden und wird der Austragungsort für die Schwimm- und Wassersprungwettbewerbe sein.

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In der Seitenansicht gleicht der neue olympische Bau einem Schiff.
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Eine Fußgängerbrücke über die A1 verbindet das neue Schwimmsportzentrum mit dem Stade de France, Frankreichs Nationalstadion.

In der Seitenansicht gleicht das Bauwerk einem Schiff. Seinem großen Volumen steht ein kleinstmöglicher ökologischer Fußabdruck gegenüber, der sowohl dem ressourcenschonenden Bauen mit Holz als auch den genutzten erneuerbaren Energiequellen geschuldet ist. Wurde die Arche Noah einst als „schwimmfähiger Kasten“ beschrieben, so drängt sich bei dem Vorzeigebau der Vergleich mit der biblischen Rettungsgeschichte auf, und das nicht nur nach optischen Gesichtspunkten. Immerhin zielen die Maßnahmen zur Dekarbonisierung darauf ab, als Blaupause für eine skalierte Anwendung im großen Maßstab zu dienen und langfristig die drohende Klimakatastrophe abzuwenden.

Größte konkave Holzkonstruktion der Welt

Das geschwungene Holzdach ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung und bildet laut dem Pariser Architekturbüro Atelier 2/3/4/ „die größte konkave Holzkonstruktion der Welt“. Durch die elementierte Vorfertigung wurden die Bauteile „wie bei einem Lego-Set“ zusammengebaut. Allein in der eleganten Dachkonstruktion stecken rund 1.500 Kubikmeter europäische Fichte, insgesamt wurden bei dem Projekt rund 2.700 Kubikmeter Holz verbaut.

Die Idee war, so dünn und so leicht wie möglich zu bauen. Unser Dachaufbau ist insgesamt nur 90 Zentimeter dick.

von Laure Mériaud, Partnerin bei Ateliers 2/3/4/

„Die Idee war, so dünn und so leicht wie möglich zu bauen“, erklärt Laure Mériaud, Partnerin bei Ateliers 2/3/4/, das in Zusammenarbeit mit dem dänischen Architekturbüro VenhoevenCS für den Bau verantwortlich zeichnet. „Unser Dachaufbau ist insgesamt nur 90 Zentimeter dick.“

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Die massiven Brettschichtholzträger der Dachkonstruktion überspannen eine Weite von 90 Meter.

Viele Vorteile von natürlichen Holzoberflächen

Der nachwachsende Baustoff spare außerdem in der Anwendung eine Menge Ressourcen, wie Mériaud ausführt: „Holz bedeutet, dass wir kein zusätzliches Material zur Abdeckung der tragenden Bauteile brauchen, wie das bei anderen Baustoffen der Fall ist“. Während Stahlträger in der Regel eine Brandschutzbeschichtung erfordern, bildet das Holz im Brandfall eine Verkohlungsschicht, die den Holzkern für einen berechenbaren Zeitraum vor dem Durchbrand schützt.

Holz hat Wärme, es hat Farbe, und es hat einen Duft. Man kann es riechen, wenn man im Schwimmbad ist.

von Laure Mériaud, Partnerin bei Ateliers 2/3/4/

Abgesehen von seiner Eigenschaft nachzuwachsen und dabei CO2 aus der Atmosphäre zu binden, hat Holz auch große sensorische Qualitäten, die den Nutzerinnen und Nutzern von Holzgebäuden zugute kommen. Da die Oberflächen der tragenden Holzelemente weder verkleidet noch gestrichen werden müssen, können sie in der Wassersporthalle ihre volle Wirkung entfalten. „Holz hat Wärme, es hat Farbe, und es hat einen Duft. Man kann es riechen, wenn man im Schwimmbad ist“, schwärmt Mériaud.

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Die Photovoltaikpaneele am Dach erreichen eine Fläche von über 4.600 Quadratmeter.
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Massive Holzlamellen an der Fassade dienen als Brise Soleil und regulieren die direkte Sonneneinstrahlung in die Halle.

Tribünensitze aus recyceltem Plastikmüll

Auch bei der Einrichtung der neuen Wassersporthalle wurde auf die Vermeidung von Emissionen geachtet. So hat man für die Herstellung der 5.000 Tribünensitze 8,5 Tonnen Plastikmüll aus der lokalen Wertstoffsammelstelle recycelt.

Dies erkennt man an der leicht gesprenkelten Textur der Klappsitze. „Diese Sitze sind ziemlich außergewöhnlich. Sie sind aus den Verschlüssen von Plastikflaschen hergestellt“, sagte Patrick Ollier, Präsident der Metropole Groß-Paris, bei der Eröffnung des CAO im April 2024.

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Für die Klappsitze auf den Tribünen wurden die Verschlüsse von Plastikflaschen recycelt.

Energieeffizient und (fast) energieautark

Das Gebäude, das 114 Meter lang, 106 Meter breit und 30 Meter hoch ist, wurde so konzipiert, dass es einen möglichst niedrigen Energiebedarf hat. „Das, was in einem Schwimmbad am meisten Geld kostet, ist die Regulierung der Lufttemperatur und -feuchtigkeit. So kamen wir auf die Idee eines gestreckten, konkaven Daches, das so gut wie möglich zu dem von uns benötigten Volumen passt“, erklärt Mériaud den Formfindungsprozess.

Das multifunktionale Dach filtert das Licht, sammelt Regenwasser und produziert auf einer Fläche von über 4.600 Quadratmeter grünen Strom aus Sonnenenergie. Auf diese Weise werden bis zu 84 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt.

Das ursprüngliche olympische Motto „Citius, altius, fortius“ („Schneller, höher, stärker), das erstmals während der Olympischen Sommerspiele 1924 in Paris verwendet wurde, könnte in diesem Jahr also lauten: Grüner, effizienter, ökologischer.

Text: Gertraud Gerst Fotos: Salem Mostefaoui

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