Ein Zirkuszelt für ein Theater
Holz, Beton und viel Technik kennzeichnen den Neubau des Theater Bayssan in der französischen Provinz. Für den Entwurf zeichnet das Pariser Büro K Architectures unter Federführung der Inhaberin Karine Herman und ihres Geschäftspartners Jérôme Sigwalt verantwortlich. Der dreiteilige Theater-Komplex erinnert an Zirkuszelte. Nicht zufällig.
Wir haben erkannt, dass sich diese vergängliche und verspielte Architektur perfekt in die Geschichte der Domaine de Bayssan einfügt.
Die Scène de Bayssan, so der französische Name des Theaters, ist in das weitläufige Areal eines geschichtsträchtigen Landguts eingebettet. Schon im Neolithikum, der Jungsteinzeit, siedelten Menschen auf dem 160 Hektar großen Gelände der heutigen Domaine de Bayssan. In jüngster Vergangenheit machte das Anwesen vor allem als kulturelle Spielstätte unter dem Namen Sortie Ouest auf sich Aufmerksam. Denn im Jahr 2006 wurde auf dessen Gelände ein Zirkuszelt errichtet, das Theater- und anderen Kulturgruppen als Spielstätte diente. Geboten wurde stets ein üppiges und buntes Unterhaltungsprogramm.
Vandalen und Sarazenen
Nicht nur die Domaine de Bayssan steht auf historischem Grund, auch die Stadt Bèziers, zu welcher das Landgut gehört, weist eine wechselvolle Geschichte auf. Bèziers wurde unter anderem von den Vandalen, den Westgoten, den Sarazenen und den Franken zerstört und/oder erobert.
Die 80.000-Einwohner-Stadt liegt, nur rund 14 Kilometer von der Coté d´Azur entfernt, am Fluss Orb und dem Canal du Midi sowie in der Region Occitanie. Hier im Département Hérault sind die südlichen Ausläufer des Massif Central nicht weit entfernt. Die Verwaltungsregion Okzetanien war erst mit Jahresbeginn 2016 aus dem Zusammenschluss der ehemaligen Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées hervorgegangen.
Bèziers thront auf einem Plateau über der Küstenebene des südwestlichen Languedoc. Die südfranzösische Stadt ist schon seit längerem durch ihr vielfältiges kulturelles Angebot bekannt. Mit dem Zinga Zanga beherbergt Bèziers beispielsweise eine modernes, multifunktionales und über die Region hinaus geschätztes Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum. Der neue Theaterkomplex mit einer Grundfläche von 4.500 Quadratmetern stellt letztendlich auch eine Ergänzung zum lokalen Vergnügungs-Park und dem Kulturviertel dar.
Das Konzept unterteilt die Anlage in drei verschiedene architektonische Einheiten mit jeweils unterschiedlicher Funktion. Das neue Ensemble aus drei Rotunden beherbergt ein Theater, ein Empfangsgebäude sowie ein Amphitheater, die jeweils mit einer charakteristischen Holzverkleidung umhüllt sind, die an die Planen von Zirkuszelten erinnern sollen.
Ersatz für ein Langzeit-Provisorium
Die 2022 fertiggestellten Theaterbauten ersetzen den alten Kulturkomplex, der im Wesentlichen aus drei Zelten aus Planen und Segeltuch bestand. Diese Zelte und diverse Nebengebäude waren stets nur als Provisorium gedacht.
Das „Kleine Zelt“ beherbergt die Empfangsräume mit Kasse und Sanitärräume, einen Buch- und Souvenirshop. Dazu gibt es ein Restaurant, dessen Speiseareal das Zentrum des kreisförmigen Raums einnimmt und von radial angeordneten Lichtgirlanden überwölbt wird. Die 235 Sitzplätze sind konzentrisch auf verschiedenen Ebenen angeordnet und gehen schließlich in eine Terrasse über, die ebenfalls als Teil des Restaurants genutzt wird.
Dieses Foyer teilen sich Publikum und Theater als gemeinsamen Begegnungszone.
Das kleinste der drei neuen Gebäude ist auch jenes, das sich als das offenste präsentiert. Denn nur hier wird die Fassade von dreieckigen Fensterflächen durchbrochen, deren Seitenschenkel nach obenhin bis unter die Dachkannte spitz zusammenlaufen. Sie geben von außen den Blick frei auf das Geschehen im Inneren, sollen aber auch eine Verbindung zwischen den Theaterräumen und den Vorplätzen schaffen. Wie bei keiner der beiden anderen Hallen wird hier auch im Innenraum die formale Anleihe beim Zeltbau spürbar.
Spannung durch Höhe und Tiefe
Seine Spannung zieht dieser Raum auch aus der sich über drei Stockwerke ziehenden Raumhöhe sowie aus seiner Raumtiefe und dem zentral angeordneten Speisesaal. Dieser Innenraum ist beinahe komplett mit einer warmen, aber eher schmucklosen Holzvertäfelungen ausgestattet.
Das „Kleine Zelt“ mit dem runden Restaurant ist direkt mit dem kleineren, geschlossenen Theaterraum verbunden. Ihre Grundfläche beträgt insgesamt 2.300 Quadratmeter. Auf den beiden in Modulbauweise errichtet Gebäuden thront ein eindrucksvolles Faltwerkdach aus Holz. Die Dachkonstruktionen mit ihrem Kronenmuster werden von schimmerndem, naturbelassenem Zink abgedeckt und erinnern mit ihrer Form an die in einem Blumenkranzmuster zum Mittelmast aufsteigenden Planen eines Zirkuszeltes.
Das plissierte Muster des Daches findet sich zudem an allen drei Gebäuden sowie den unterschiedlichsten Bauteilen wieder. Neben den Holzelementen prägen Metallpaneele und Beton als Konstruktions- und Deckmaterialien das gesamte Ensemble. Insgesamt wurden 400 Kubikmeter Holz außen und 2.550 Quadratmeter Holzverkleidungen im Inneren verbaut.
Holzrondeau statt Zirkuszelt
Von allen drei neuen Gebäuden spiegelt das größere der beiden Holzrondeaus am deutlichsten den Stil eines Zirkuszelts wider. Dieses „Große Zirkuszelt“ dient als Proben- und Aufführungsraum.
Die geschwungene Tickethalle, die die Morphologie der beiden Gebäude widerspiegelt, leitet das Publikum in einer Art natürlichen Ablauf in das größere Festzelt, in dem sich die kleinere der beiden Bühnen mit ihren diversen Nebenräumen befindet.
Rot für das Publikum
Die ziehharmonikaartige Holzvertäfelung wird im Innenraum zwar fortgeführt, allerdings geht im Theaterraum die Zirkus-Anmutung völlig verloren. Trotzdem bietet der in Holz gehaltene Teil des „Großen Zeltes“ einen starken Gegensatz zu der vergleichsweise reduzierten Theaterbühne. Blickfang ist das Auditorium mit seinen rot gepolsterten 423 Sitzplätzen. Die steil ansteigenden Ränge lassen sich teilweise einfahren oder sogar komplett versenken.
Die tiefer liegende, sanft nach oben stufenartig angelegte Bühnenlandschaft, komplett in Mattschwarz gehalten, wird von Garderoben, Büros, Lagerräumen und Umkleidekabinen flankiert. Dieser dunkle Abschluss des Raums sorgt sowohl für Klarheit als auch für ein betörendes Gefühl von Tiefe.
Am wenigsten dem Zirkusstil gerecht wird das an das „Kleine Zelt“ angrenzende Open-Air-Amphitheater. Dieser Komplex ist nicht direkt mit dem Eingangs-Zelt verbunden, sondern von dort über einen offenen Verbindungsweg oder die großzügigen Freiflächen erreichbar. Er markiert gegenüber den Nachbargrundstücken auch das Ende des Dreier-Ensembles. Insgesamt gilt dieser Teil sowohl als der ungewöhnlichste als auch der erlebnisreichste des Theatertrios.
Das Amphitheater mit einer Gesamtfläche von 2.200 Quadratmetern liegt großteils unter einer freischwebenden Stahlmarkise, die ebenfalls den charakteristischen Faltenwurf zeigt. Diese Metallkonstruktion verleiht dem gesamten Bau eine luftige Eleganz. Das Auditorium bietet insgesamt 1.440 Zuschauer:innen Platz. Die Kapazität an Sitzplätzen ist mit 965 mehr als doppelt so groß wie im überdachten kleinen Theatersaal.
Im Gegensatz zu den Amphitheatern des antiken Griechenlands sind die Sitzreihen nicht in die natürliche Topographie eingebettet, sondern ruhen auf massivem Betonfundamenten. Trotz der wuchtigen, industrielle gefertigten Betonbrüstung kann die Theaterbühne flexibel auf alle Anforderungen reagieren, da sie mit einem mobilen Proszenium - üblicherweise der Raum zwischen dem Vorhang und Rampe - ausgestattet ist. Auch das gesamte Auditorium wird von schroff wirkendem Sichtbeton flankiert.
Während sich die halboffene Amphibühne als indirekter Bezug zur früheren, vergänglichen Zirkusarchitektur deuten lässt, spricht der massiv eingesetzte Sichtbeton eine ganz andere Sprache. Er steht als klares Indiz dafür, dass der neue „Theaterzirkus“ in der Domaine de Bayssan auf Dauer angelegt ist.
Lärchenlatten und Segeltuch
An den Außenwänden wird abermals die charakteristischen Dreiecksform übernommen. Um einen zu starken Kontrast zwischen dem Betonhalbkreis und den benachbarten „Holzzelten“ zu vermeiden, verkleideten die Architekten den Massivbau mit Platten aus dreiseitigen Lärchenlatten. Die Optik dieser Außenverkleidung erinnert an gefaltetes Segeltuch und gilt damit ebenso als ein an die früheren Zirkuszelte angelehntes Zitat.
Insgesamt erinnern die modularen Hüllen aller drei Gebäudemodule an das kulturelle Bild des Zirkus, so die Architekt:innen, orientieren sich die Fassaden an den grafischen Mustern von Zirkuszelten. Insbesondere die schlanken, origamiartigen Holzlamellen sollen auf die Verbindungselemente in den Leinwänden und die grobstichigen Nähte von Zirkuszelten hindeuten.
Mit ihrer „tanzenden“ Optik sollen die Fassaden aber auch über die weitläufige, öffentliche Esplanade im Vorfeld der Gebäude führen und dem gesamten Ensemble eine gewisse Leichtigkeit verleihen. Der öffentlich zugängliche Vorplatz wiederum mündet in einen Park mit altem Baumbestand. Nach Süden schließt der gesamte Theater-Komplex an einen Technikhof an.
Wie in einem typischen Zirkuslager sollen auf den weiten Freiflächen je nach Event und Programm Wohnwägen, Bühnen, Festtafeln, Verkaufsstände und kleinere Zelte in den unterschiedlichsten Gruppierungen Platz finden. Das gesamte Areal der Domaine de Bayssan zeichnet sich daher auch durch möglichst große Flexibilität aus.
Die historische Zirkusseele
Die Architekten ließen sich nicht zufällig von der Vergangenheit der Anlage zu ihrer Zirkusarchitektur inspirieren. Die Vorgaben lauteten, an die Wurzeln des Theaters Sortie Ouest zu erinnern und die „historische Zirkusseele“ des Ortes zu bewahren. Außerdem die Attraktivität des Standortes und dessen Popularität beim Publikum zu erhalten sowie die Vielfalt des künstlerischen Angebots zu gewährleisten. Ein möglichst buntes Veranstaltungsprogramm sollte gefördert, Zuschauer- und künstlerische Aktivitäten miteinander verknüpft werden. Der Neubau sollte aber auch signalisieren, dass es sich um einen Veranstaltungsort handelt, der langfristig als Theaterheimat zur Verfügung steht.
Sein unkonventioneller und skurriler Geist verzaubert dieses Anwesen. Wir haben einfach versucht, sein Aussehen und seine Seele durch eine dauerhafte Architektur zu reproduzieren.
Das Département de l’Hérault, offizieller Bauherr der neuen Anlage, ließ sich das Ensemble insgesamt 20 Millionen Euro kosten. Die Regional-Verwaltung erhofft sich vom Theater Bayssan Strahlkraft weit über das ehemalige Zirkusgelände und die Gemeindegrenzen von Béziers hinaus.
Text: Albert Sachs Renderings: K Architekture Fotos: Sophie Odde, K Architectures, Scène da Bayssan, Department Hérault, Béziere
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