Ein Holzbau für das Handwerk
Früher war Herning der dänische Inbegriff für einen Ort in der Pampa, an dem nie etwas passiert. Doch dann ist etwas passiert, und das hat die kleinbürgerliche Stadt im mittleren Jütland für immer verändert. Ein ortsansässiger Hemdenfabrikant und Mäzen stellte in seiner Fabrik Künstler an, die gegen ein festes Gehalt großformatige Arbeiten schufen. Um diese auszustellen, sollte am Fabriksgelände ein Museum entstehen.
Das 2009 eröffnete HEART Museum of Contemporary Art nach den Plänen des amerikanischen Architekten Steven Holl zählt heute zu den herausragendsten Kunstmuseen der Welt. Und, frei nach dem Grundsatz ‚Gutes zieht Gutes an‘, ist Herning immer mehr zu einem Hotspot zeitgenössischer Kunst und Architektur geworden. Mit dem geplanten Crafts College setzt nun das dänische Architekturbüro Dorte Mandrup eine weitere Landmark ins jütische Heideland.
Ablesbares Handwerk
Unter einem zweistufigen elliptischen Holzdach werden die einzelnen Fachbereiche der Schule künftig untergebracht sein. Schon bei der Wahl der Baumaterialien finden sich die unterschiedlichen Handwerksvertreter wider – vom Tischler und Maurer bis hin zum Platten- und Fliesenleger. Denn: „Gutes Handwerk ist die Basis guter Architektur“, sagt Dorte Mandrup, Gründerin und Creative Director des Kopenhagener Büros,das für die neue Arktis-Attraktion The Whale verantwortlich zeichnet.
Der Schwerpunkt liegt bei natürlichen, robusten und langlebigen Materialien, allen voran das nachwachsende Holz, das im Tragwerk des Gebäudes vorrangig zum Einsatz kommt. Die Holzkonstruktion ist im gesamten Bauwerk sichtbar und sorgt für eine einladende, warme Atmosphäre. Neben dem Holz kommen auch recycelte Ziegel zum Einsatz und Schiefer, der in Dänemark seit dem 16. Jahrhundert verwendet wird und „seine unübertroffene Langlebigkeit bewiesen hat“.
Gutes Handwerk ist die Basis guter Architektur.
Dorte Mandrup, Architektin
Vorsatzschalen und Verkleidungen, wie sie in vielen Ländern der Brandschutz vorschreibt, sind – zumindest den Visualisierungen zufolge – keine vorgesehen. So kann der Holzbau auch seine klimaregulierende Wirkung voll entfalten.
Gemeinschaft im Fokus
Die Fachschule in Herning soll mehr können als nur Räumlichkeiten für die Berufsausbildung bereitstellen. Im Konzept legte man neben dem ökologischen Fußabdruck einen starken Fokus auf die soziale Nachhaltigkeit. Ziel der Architektur sei es, das Image der Handwerkstraditionen für den Nachwuchs zu stärken. Und, so ergänzt Mandrup: „Das Crafts College soll ein inspirierendes Umfeld bieten, in dem junge Menschen eine starke Gemeinschaft rund um ihr Handwerk bilden, voneinander lernen und ihre Talente entwickeln.“
Es ist uns wichtig, dass das Gebäude eine eigene, unverkennbare Identität hat, ebenso wie ein resilientes, flexibles Design.
Dorte Mandrup, Architektin
Der elliptisch geformte Baukörper ist die Übersetzung dieses Gemeinschaftsgedankens in die architektonische Formensprache. Die gleichberechtigte Anordnung der Räumlichkeiten um einen kommunikativen Innenhof soll den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit unter den Handwerksbereichen fördern.
Die Anordnung der Räume folgt einer konzentrischen Hierarchie. Während die gemeinschaftlich genutzten Bereiche und die Werkstätten in Hofnähe angesiedelt sind, befinden sich die Studio-Apartments des Wohnheims am äußersten Rand des Bebauungsrings. Die privaten Terrassen der Wohnbereiche sind damit vom belebten Zentrum der Schule abgeschottet und haben Blick ins Grüne.
Resilientes Design
Regenwassermanagement ist heute ein unerlässlicher Teil der Landschaftsgestaltung. Im Fall des Crafts Colleges hatte es auch Einfluss auf die Formgebung des Daches, das aus zwei Teilen, einem inneren und einem äußeren Ring besteht. Wie das Modell des Büros Dorte Mandrup zeigt, bildet der innere Ring eine Rinne aus, die das Regenwasser sammelt und in einem „kontrollierten Wasserfall“ in ein offenes Becken leitet.
Das Element Wasser, das bei größeren Regenfällen enorm anschwellen kann, wird somit nicht im Untergrund „versteckt“, sondern tritt offen zutage. Mal ist das Regenwasserbecken leer, mal wird die Garten- zu einer Teichlandschaft. Aus dem Schreckgespenst Hochwasser wird dank des klugen Designs eine Tugend gemacht. „Es ist uns wichtig, dass das Gebäude eine eigene, unverkennbare Identität hat, ebenso wie ein resilientes, flexibles Design, das auf ästhetische Weise veranschaulicht, was die einzelnen Handwerkstraditionen gemeinsam schaffen können“, erklärt Mandrup.
Der Schlüssel für die Zukunft
Ökologische und klimatische Probleme wie diese gilt es auch in Zukunft zu meistern, und dafür sollen die Schülerinnen und Schüler sensibilisiert werden, die künftig in Herning ein Handwerk erlernen. An diesem Standort entsteht die zweite von drei geplanten Berufsschulen der dänischen Stiftung Fonden for Håndværkskollegier.
In der Projektbeschreibung heißt es: “Gut ausgebildete Handwerker sind der Schlüssel, um nachhaltige Lösungen für zukünftige Herausforderungen auf den Weg zu bringen. Mit Gemeinschaft und Bildung als Kern wird das neue Crafts College in Herning ein lebendiges Lehrbuch für das Handwerk sein.“
Hat das Kunstmuseum die Provinzstadt einst aus der Bedeutungslosigkeit geholt, so bringt das geplante Crafts College erneut Architektur von Weltrang nach Herning. Die Handwerker von morgen werden in einem ikonischen Bau ausgebildet, entworfen von der bekanntesten Architektin im skandinavischen Raum.
Text: Gertraud Gerst Visualisierungen: Dorte Mandrup
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