Ein Holz-Hochhaus für Wiesbaden
Die Lage des 2,7 Hektar großen Areals in Wiesbaden ist top. Nur eben nicht für „alles“. Denn das verwaiste Industriegelände am Rhein ist zwar durch den Fluss und die grünen Auen für lebenswerte Stadtentwicklung geeignet. Doch der Industriepark nebenan drängt zu gewerblicher Nutzung. Und es gilt, denkmalgeschützte Bauten auf dem Grundstück zu berücksichtigen. Also beauftragte EntwicklerSEGdas bekannt innovative Büro 3deluxe, Optionen für die Errichtung eines zukunftsorientierten Quartiers auszuloten. Zentrales Highlight des Ergebnisses ist der H2O-Tower: Ein Holz-Hochhaus, das absolut zum Ziel passt, ein nachhaltiges Vorzeigeprojekt zu schaffen.
Design für ein gutes Morgen
Dass 3deluxe gern und gut über den Tellerrand bisheriger architektonischer Modelle hinausblickt, hat das Team längst mehrfach unter Beweis gestellt. Zum Beispiel mit dem „schwimmenden Campus“ oder dem „Biotop über Manhattan“. Also mit zwei spektakulären Konzepten für die in New York ansässige Organisation „We the Planet“, die sich als globale Plattform für die gesunde Zukunft des Planeten und all seiner Bewohner engagiert. Und was die deutschen Spezialisten jetzt mit dem H2O-Tower für ihre Heimatstadt Wiesbaden entworfen haben, ist nicht minder spannend.
Der 15-stöckige Büroturm ist als Innovations-Turbo fürs neue Stadtquartier gedacht. Als stylischer Holz-Hybrid-Neubau, der gemeinsam mit einem denkmalgeschützten Hochhaus-Klassiker aus den 1960er Jahren den Kern des Areals bildet.
Cooler „Warehouse“-Look
Das klare, reduzierte Design wirkt cool und zeitgemäß, zugleich jedoch auch wie ein Verbindungsglied zwischen gestern und heute. Weil es mit seinem speziellen „Warehouse-Look“ ein wenig an New York, aber auch ans industrielle Erbe seines Standortes erinnert. Entscheidend dafür sind etwa die großen,bodentiefen Fensterflächen mit schwarzer Rahmengliederung.
Geschickt gerastert
Dieses Konzept passt den H2O-Tower auch geschickt an seinen denkmalgeschützten Hochhauszwilling an. Die regelmäßige und rechteckige Rasterform der sichtbaren Holztragstruktur ist allerdings keineswegs allein dem gewünschten Erscheinungsbild geschuldet. Sie ermöglicht nämlich auch Modularität und Vorfertigung der Fassade.
Die Grundkonzeption des neuen Holz-Hochhauses ergibt sich vor allem aus klimatischen und energetischen Erwägungen, hat aber auch das Wohlbefinden der künftigen Nutzer im Blick. Errichtung und Betrieb des Turms sollen so wenig CO2-Emissionen wie möglich verursachen. Zugleich soll ein Firmenstandort entstehen, der allen Erfordernissen moderner Bürokultur und zeitgemäßer Arbeitswelten gerecht wird.
Architektur muss heute deutlich mehr berücksichtigen als nur Funktionalität oder schönes Design. Die massiven globalen Herausforderungen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, spiegeln sich alle in irgendeiner Form in Architektur und Stadtplanung wider.
Hauptgestaltungsmerkmal des Holz-Hybrid-Gebäudes ist die abgeschrägte Fassade, die exakt nach Süden ausgerichtet und fast komplett mit Photovoltaik-Modulen bestückt ist. Die Süd-Ost-Fassade des H2O-Tower erhält Verschattungselemente, die ebenfalls mit PV-Modulen belegt sind. An den anderen beiden Außenfronten sind keine PV-Paneele nötig, was sie offener wirken lässt.
In die Fassade integriert 3deluxe mehrere begrünte Terrassen. Diese sind als attraktive Erholungszonen, aber auch als kleiner Beitrag zur Luftverbesserung gedacht. Der fluss-seitig abgeschrägte Teil des Büroturms wird in den unteren vier Etagen ausgeklinkt, um auf dem Areal durchgehende Wege zu ermöglichen. Straßenseitig bekommt der H2O-Tower ein dreistöckiges seitliches Sockelvolumen. Dies verleiht ihm interessantere Struktur, schafft zusätzliche Nutzfläche und trennt das südliche Freigelände von der Straße und der Industrieanlage.
H2O-Tower nützt Sonne und Fluss
Die Architekten setzen bewusst auf ein Konzept, das den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft folgt: Nachwachsende Rohstoffe, modulare Bauweise mit hohem Vorfertigungsgrad und die Recyclingfähigkeit verstehen sich von selbst. Und die Energieerzeugung ist zum Großteil direkt am Gebäude vorgesehen: Großflächig integrierte PV-Systeme, Geothermie sowie die Nutzung des Flusswassers als Wärmetauscher sorgen für möglichst emissionsarmen Betrieb.
Das Design-Team würdigt das benachbarte Hochhaus aus den 1960er-Jahren, indem es dem H2O-Tower die für diese Ära charakteristische schmale Form verpasst. Der Kern ruht nicht im Zentrum, sondern seitlich in der Außenhaut. So entsteht zugleich großzügiger Raum für moderne Office-Formate des Post-Corona-Zeitalters: Offene und kommunikative Büroflächen für flexibles Arbeiten abseits hierarchischer Anordnung.
Campus-Treffpunkt Foyer
Im Sockelgeschoss finden sich ein „Incubation-Space“ für junge Unternehmen und ein lichtdurchflutetes Foyer als kommunikative Drehscheibe fürs gesamte Campus-Areal. Das Freigelände um den H2O-Tower wird von Grün und einladenden Aufenthaltszonen direkt am Wasser dominiert.
Natürlich wurde auch an umweltfreundliche Mobilität gedacht. Obwohl es eine Parkgarage und Stellplätze für Gäste geben wird: Autoverkehr soll im gesamten Gelände möglichst gering gehalten werden. Freiluft-Angebote, Fahrradabstellplätze, Car- und Bike-Sharing, eine Fahrradwerkstatt sowie Lastenräder zum Transport schwerer Güter sind hingegen wichtige Elemente des Entwurfs. Ebenso, wie ein Outdoor-Gym, ein Erholungs-Pavillon, Wildblumenwiese, Bienenstöcke und Schutzräume für Vögel. Schließlich soll der neue Office-Park zur lebenswerten urbanen Oase werden, die auch der Artenvielfalt Vorschub leistet.
Gemüse, frisch vom Dach
Geht es nach 3deluxe, wird das Gesamtprojekt der Natur besonders viel Raum geben. So ist auch ein Dach-Gemüsegarten mit Gewächshaus vorgesehen, der das hauseigene Mitarbeiter-Restaurant mit frischen Produkten versorgt. Außerdem sind an der geschlossenen Fassade des Versorgungskerns Nistplätze für Vögel und Insekten geplant. Im Sinne harmonischer Koexistenz von Mensch und Natur in der gebauten Umwelt soll der H2O-Tower besonders tierfreundlich gestaltet werden.
3deluxe Creative Director Dieter Brell sieht seine Branche in der Pflicht: „Architektur muss heute deutlich mehr berücksichtigen als nur Funktionalität oder schönes Design. Die massiven globalen Herausforderungen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, spiegeln sich alle in irgendeiner Form in Architektur und Stadtplanung wider.“ Dies verleihe jedem Bauprojekt „eine ganz neue Dimension der Aufgaben“.
Sehnsucht nach urbanen Ufern
Das Interesse, Flussareale in Städten in attraktive Wohn-, Erholungs- und Arbeitswelten zu verwandeln, wächst. Von Projekten wie „Belfast Waterside“ und San Franciscos „Mission Rock“ bis zur Reanimation der Kaiserlichen Werft in Danzig oder des Prager Moldau-Ufers: Die Nähe zu Wasser und Natur ist begehrt, weil sie Freiraum und Lebensqualität verspricht.
Was 3deluxe nun für das, von der städtischen Entwicklungsgesellschaft SEG erworbene, einstige Dyckerhoff-Firmengelände vorschlägt, ist geeignet, Wiesbadens Ruf als zukunftsorientierte Stadt stärken. Nicht nur, weil auf just diesem Areal früher Zement hergestellt wurde. Und auch nicht ausschließlich wegen des nachhaltigen Holz-Hochhauses.
Masterplan verbindet Neu und Alt
Schließlich umfasst der Masterplan neben dem H2O-Tower und den Grünanlagen auch die Sanierung und Umnutzung der denkmalgeschützten Kraftwerkshalle und des „H1Office-Towers“, der einst als Verwaltungsgebäude diente. Beiden wird neues Leben eingehaucht, statt durch Abriss Abfall zu verursachen und Material für Neubau aufzuwenden.
Das Ziel ist ein moderner, nachhaltiger Office-Park. Ein Campus, auf dem es sich angenehm, flexibel, menschen- und umweltfreundlich arbeiten lässt. Schon bald sollen die nächsten Entwicklungsschritte bekanntgegeben werden. Zum Beispiel zur Umnutzung des historischen Kraftwerkshallenensembles.
Näheres dazu, wie und wann der spannende Vorschlag des kreativen 3deluxe-Teams verwirklicht werden wird, stehen bislang aus. Vielversprechend ist er jedoch auf jeden Fall. Vom Holz-Hybrid-Hochhaus H2O-Tower bis zum Gesamtkonzept, das Alt und Neu auf elegante, Ressourcen schonende Art verbindet.
Text: Elisabeth Schneyder Bilder: 3deluxe
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