Dreiklang im Einklang

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Das historische Bauernhaus stand, die alte Scheune auch. Doch wie Hof & Hist zu einer Einheit verbinden und gleichzeitig modernen Wohnraum schaffen? Dem Architekturbüro Modunita architects sa ist das im eidgenössischen Graubünden perfekt gelungen – unter anderem mit einer durchdachten „Zwischenlösung“.

Davos ist nicht weit. Auch die Skigebiete von Lenzerheide oder Arosa liegen quasi ums „Bergeck“. Im graubündnerischen Felsberg jedoch geht es recht beschaulich zu. Das war nicht immer so. Die Felsberger Weine „Glockengiesser“ und „Goldene Sonne“ erinnern an eine Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als dort Gold abgebaut wurde und der Ort zahlreiche Glücksritter anzog. Die Qualität des Edelmetalls war hoch – das beweisen die Bündner Dublonen, die heute in Churs Rätischem Museum zu bewundern sind. Der Ertrag jedoch erwies sich als mau. Weshalb die Minen um 1900 aufgegeben wurden.

Architektur- statt Skitourismus

Danach kehrte wieder Ruhe ein in der Ostschweizer 2.000-Seelen-Gemeinde. Dabei hat das Gebiet zwischen Rhein und Calanda einiges zu bieten. Weshalb es schon um 2000 vor Christus dauerhaft besiedelt war. Und auch heute lässt es sich hier gut leben. Möglicherweise gerade weil das beschauliche Felsberg vom großen (Ski-)Tourismuskuchen bislang nur ganz wenig abbekommen hat.

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Die Scheune bildet mit dem Flachdachbau eine zweigeschossige Wohneinheit, die an das historische Bauernhaus anschließt.

Für Architekturbegeisterte wäre Felsberg aber eine Reise wert. Steht hier doch das Elternhaus von Elisabeth Diethelm, für das es nach der Umgestaltung durch das Schweizer Büro Modunita Architects sa einige Preise regnete. Das Projekt mit dem Titel Hof & Hist erhielt unter anderem den Bigsee Award 2023. Zu Recht. Denn mit gezielten Eingriffen haben Martin Pinggera und Andri Linard ein zeitgemäßes Ensemble geschaffen, das modernen Wohnkomfort bietet und sich doch harmonisch in den historischen Bestand und den gewachsenen Dorfkern einfügt.

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Alt trifft Neu im großzügigen Wohnzimmer mit Kamin.
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Die Dachkonstruktion blieb beim Umbau erhalten.

Um das traditionelle Wohngebäude mit Heuschober aufzuwerten, versetzte das Planungsteam den traditionellen Diethelm-Hof zunächst in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Über die Jahre hinzugekommene Anbauten wurden abgerissen oder zurückgebaut. So etwa auch der nachträglich integrierte Zwischenbau, der Wohnhaus und Scheune miteinander verband und in dem sich früher der Stall und später eine Wohnung befanden.

Schöne Zwischenlösung

Die Lücke zwischen Hof & Hist wurde durch eine einfache Holzkonstruktion inklusive Veranda gefüllt, die an das Bauernhaus andockt. Die sichtbaren Stützen und Träger aus Fichte komplettieren die Kubatur, die das partiell erhaltene Steinmauerwerk vorgibt. Durch diese „Zwischenlösung“ werden die Hauptgebäude besser akzentuiert und behalten ihren ursprünglichen Charakter.

Im Inneren beherbergt der Fachdachbau eine zweigeschossige Wohneinheit. Im Erdgeschoss ist ein Atelier mit Toilette untergebracht. Darüber befinden sich ein Schlafzimmer mit Bad und Ankleide sowie eine überdachte Terrasse. Von ihr gelangt man auch in den großzügigen Außenbereich, der bei dem Entwurf ebenfalls eine zentrale Rolle spielte. Mit seiner Ausrichtung auf alle drei Elemente dient er den Bewohnern als Treffpunkt zum Gedankenaustausch.

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Die offene Küche lädt zum Kochen ein ...,
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... die Galerie über dem Wohnzimmer zum Lesen.

Während das Wohngebäude unangetastet blieb, verwandelten die Architekten den vor der Sanierung ungenutzten und völlig unbeheizten Heuschober in eine weitere komfortable Wohneinheit. Dafür wurde die Scheune im Inneren komplett neu organisiert und dadurch wohntauglich gemacht. Martin Pinggera unterteilte den Stadl in zwei Geschosse. Der Zugang von der Straße erfolgt über das Erdgeschoss. Wo sich früher das Scheunentor befand, tritt man jetzt durch eine helle, breite Holztür. Dahinter gelangt man in ein Gästezimmer mit Dusche und Toilette, in ein Atelier mit Keller sowie in den Technikraum. Im Obergeschoss warten ein weiteres Gästezimmer mit Bad und Ankleide und ein großzügiger Wohnbereich mit offener Küche. Darüber wurde eine niedrige Galerieebene eingezogen, von der man den großen offenen Raum darunter überblicken kann. Vom Wohnzimmer aus gelangt man zudem auf die überdachte Terrasse im Zwischenbau.

Das Alte und das Neue

Das alte Steinmauerwerk und die bestehende Dachkonstruktion der alten Scheune waren wesentliche Elemente, die in der Projektplanung und beim Umbau Berücksichtigung fanden. Sie blieben weitgehend erhalten und wurden freigelegt, sodass der sichtbare Dachstuhl hier nun offen zur Schau stellt, was alt und was neu ist. Das Alte wurde mit naturnahen und rohen Materialien aufgewertet. Sichtbeton trifft auf Dachbalken aus unbehandelter Fichte, die massiven Lärchenholzbretter der Wandverkleidung finden in der Verwendung von Kupferblech eine harmonische Ergänzung.

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Im Untergeschoss trifft altes Mauerwek auf Sichtbeton.
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Hier ist neben der Haustechnik ein Atelier zu finden.

Apropos Ergänzung: Einerseits wahrt der Erhalt des Gebäudecharakters das Ortsbild, andererseits wurden wichtige Elemente der Hofsituation aufgegriffen und neu interpretiert. So wurde die Form der alten Heuscheune beibehalten, jedoch mit der gleichen Grundform in Firstrichtung erweitert. Auf diese Weise integriert sich die Scheune perfekt in das Ensemble und das Grundstück. Schwarzes Holz sowie feine vertikale Öffnungen tragen zusätzlich dazu bei, dem Gebäude ein scheunenartiges Aussehen zu verleihen. Dennoch grenzt sich der neue Stadl durch seine dunkle Holzfassade bewusst von Wohnhaus und Verbindungsbau ab. Schlicht und unprätentiös behauptet er sich in seinem Umfeld.

Auf dem Stand der Technik

Die steinernen Teile der Außenwände beließen die Planer im Bestand. Im Erdgeschoss wurden jedoch innen Porotherm-Dämmsteine vorgemauert. Und im Obergeschoss versahen sie die bestehenden Wände mit einer gedämmten Holzständerkonstruktion, sodass der Aufbau heutigen technischen Standards entspricht. Um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, wurde bei der Materialwahl nachhaltigen und natürlichen Baustoffen der Vorzug gegeben. Der Einbau neuer Schiebeläden vor der Glasfassade wertet die Gebäude auf. Sie bieten nicht nur Sichtschutz, sondern ermöglichen auch eine effektive Beschattung.

Um eine nachhaltige Energieversorgung für das gesamte Haus sicherzustellen, wurde die neue Heizung mit einer Luftwärmepumpe realisiert, die das Gebäude nicht nur effizient heizt, sondern im Sommer auch kühlt. Ergänzend dazu wurde im Wohnzimmer ein Kamin installiert, der in der kalten Jahreszeit eine weitere Wärmequelle darstellt. Damit ist das Projekt Hof & Hist nahezu energieautark.

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Die Lücke zwischen Scheune und Bauernhaus füllt ein Flachdachbau mit Terrasse, eine einfache Holzkonstruktion.

Der Name des ausführenden Architekturbüros Modunitá architects leitet sich übrigens aus den rätoromanischen Wortteilen modul und unitá her. „Modul steht für Element, unitá für Einheit. Und wir verstehen Architektur gewissermaßen als eine Zusammenfügung von verschiedenen Elementen“, so Martin Pinggera. Beim Projekt Hof & Hist haben die Planer das Versprechen, das sie mit Büro-Namen geben, in jedem Fall erfüllt. Ihr Entwurf fügt nun zwei historische Elemente und eine Zwischenbau zu einer Einheit zusammen. Das Ergebnis: ein Dreiklang im Einklang.

Stärkung der Dorfkerne

Für Modunitá architects wird Elisabeth Diethelm sicher nicht letzte Auftraggeberin gewesen sein. Denn überall in Graubünden werden historische Wirtschaftsgebäude und Wohnhäuser saniert und revitalisiert, wie etwa das Casa C. „Im Kanton ist das Bewusstsein für Tradition und Kultur und die Wertschätzung für alte Bausubstanz groß“, sagt Pinggera. Die Planer freuen sich jedenfalls schon auf neue Aufträge: „Denn der Erhalt historischer Strukturen und die Stärkung der Dorfkerne sind uns ein besonderes Anliegen.“

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Die umgebaute Scheune setzt sich in Schwarz vom Ensemble ab und fügt sich doch ins Dorfbild ein.

Dass die Region einen Rausch erlebt, wie zu Zeiten der Edelmetallfunde, ist zwar unwahrscheinlich. Doch es muss ja nicht immer Gold sein, was glänzt. Nachhaltige Architektur leuchtet auch sehr weit.

Text: Daniela Schuster Bilder: Modunita architects sa; v2com newswire

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