Die viellebige Pyramide von Tirana

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Einst Prunkstück zu Ehren eines Diktators, bald modernes Kulturzentrum: Die Pyramide von Tirana geht einer spannenden Zukunft entgegen. Das Büro MVRDV haucht dem brutalistischen Monument in Albaniens Hauptstadt neues Leben ein. Mit Glas und Grün und Top-Angebot für junge Nutzer.

Es heißt, nur Katzen hätten mehrere Leben. Die Geschichte der Pyramide von Tirana legt jedoch nahe, dass dies auch für Bauten gilt: 1988als Museum zu Ehren von Diktator Enver Hoxha errichtet, diente sie während des Kosovo-Krieges auch als temporärer NATO-Stützpunkt, als Nachtclub und Veranstaltungsort. Vielen Albanern gilt das brutalistische Bauwerk heute als Symbol für den Sieg übers Regime. Auch die junge Szene der Hauptstadt hat der Pyramide von Tirana zusätzliche „Leben“ beschert. Sie machte das verfallende Betonkonstrukt zum Treffpunkt, zur „Leinwand“ für Graffiti-Künste und zum Abenteuerspielplatz für nächtliche Kletter- und riskante Rutschpartien an den Mauerschrägen.

Langes Ringen um Abbruch

Viele Jahre lang war die Zukunft des Monuments ungewiss. Erst sollte der mit weißem Marmor verkleidete, pyramidenförmige Bau abgerissen werden. Mit dem Wettbewerbssieg des österreichischen Büros Coop Himmelb(l)au lagen bereits Pläne für einen Neubau vor. Doch nach Regierungsantritt der Sozialisten im Jahr 2013 wurde umgedacht: Renovierung sollte das Gebäude wieder nutzbar machen. Ein chinesisches Büro entschied den entsprechenden Wettbewerb für sich. Doch auch daraus wurde nichts.

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Der Pyramide von Tirana wird neues Leben eingehaucht.
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Seit Februar 2021 laufen die Bau- und Renovierungsarbeiten.

Inzwischen befindet sich die Anlage, die zuvor der Regierung gehörte, im Eigentum der Gemeinde. Und jetzt wird wirklich an der nächsten „Wiederauferstehung“ des Monuments gewerkt. Ein großer Umbau soll die Pyramide von Tirana zu einem neuen Zentrum des kulturellen Lebens machen. Zu einer Art Hotspot für die junge Generation.

Spannende Verwandlung

Der Entwurf dazu stammt vom preisgekrönten niederländischen Büro MVRDV. Und er verspricht, dem wuchtigen Baudenkmal tatsächlich wieder ein neues, einladend zukunftsfittes Leben zu verschaffen. 

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Gute Aussichten: Das brutalistische Monument wird zu einem einladenden Kulturzentrum umgebaut.

Die Betonstruktur des Monuments wird wiederverwendet. Das Atrium und seine Umgebung werden begrünt und geöffnet. MVRDVs Design wird den düsteren Innenraum neu gestalten und das derzeit unzugängliche Gebäude radikal öffnen. In und um die Pyramide von Tirana soll ein buntes, kleines Dorf entstehen. Cafés, Restaurants, Ateliers und Werkstätten werden zum Verweilen und Genießen locken. Auch Klassenzimmer sind vorgesehen. Dort sollen Jugendliche künftig kostenlos verschiedene technische Fächer lernen können.

Idealer Standort

Die Lage des 11.835 Quadratmeter großen Gebäudes passt ideal zu diesem Vorhaben. Es befindet sich im Herzen der Stadt, am Prachtboulevard Dëshmorët e Kombit und dem Lana Fluss, in einem kleinen Park.

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„Die Arbeit an einem brutalistischen Monument wie der Pyramide ist ein Traum“, freut sich MVRDV-Gründungspartner Winy Maas. Die Herausforderung bestehe darin, „eine neue Beziehung zwischen dem Gebäude und seiner Umgebung zu schaffen. Ich bin zuversichtlich, dass unser Entwurf dies schafft. Ich freue mich darauf, junge, und erstmals auch ältere Menschen die Stufen zum Dach erklimmen zu sehen!"

Himmelwärts auf Diktators Erbe

An den schrägen Betonbalken werden Stufen angebracht. Besucher sollen bis zur Spitze der Pyramide von Tirana laufen können. Anders gesagt: Himmelwärts auf „dem Rücken“ des einst für den Diktator errichteten Prunkbaus. Ein Gedanke, der vielen Albanern große Freude machen dürfte. Der Lust, dem Museum obendrein quasi „den Buckel herunter“ rutschen zu können, darf auch künftig gefrönt werden: Einer der Balken wird als Hang erhalten bleiben und für solche Rutschpartien zur Verfügung stehen.

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Viele Wege werden ins Innere, ...
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... auf und ums Gebäude führen.

Die neuen Stufen können auch für Besichtigungen und temporäre Veranstaltungen genutzt werden. Damit wollen die Architekten dem Platz und der Pyramide von Tirana ihre Bedeutung als zentraler Punkt des kulturellen Stadtlebens zurückgeben.

Grün und gemeinnützig

Riesige Glasklappen werden das Gebäude bei Regen verschließen. Anbauten aus früheren Renovierungen werden entfernt, um einen voluminösen Innenraum zu schaffen. Der offene Bereich wird mit Bäumen und viel Grün einladend gestaltet. In, auf und um die bestehende Struktur setzt das MVRDV-Team Boxen mit einzelnen Räumen. Diese werden den erwähnten „Dorf-Charakter“ ergeben. Hauptnutzer der Pyramide wird die gemeinnützige Bildungseinrichtung TUMO Tirana sein, die 12- bis 18-Jährigen nach der Schule kostenlosen Unterricht bietet.

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Mit der umfassenden Transformation wird das historische Gemäuer zukunftstauglich. Zugleich bewahrt das Konzept die komplexe Geschichte der Pyramide von Tirana. Und MVRDVs Pläne demonstrieren, dass sich brutalistische Gebäude gut zur Wiederverwendung eignen. Das Projekt erfüllt zudem eine Reihe der UNO-Vorgaben für nachhaltige Entwicklung. Statt das Monument abzureißen, wird seine robuste Betonhülle nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft angepasst.

Nachhaltiger Umbau

Dieses Prinzip wird in der Gestaltung der Außentreppe weitergeführt: Die Steinfliesen, die ursprünglich die Fassade zierten, werden zum Zuschlagstoff für den neuen Beton. Weil der größte Teil des Gebäudes die meiste Zeit des Jahres offen ist, müssen nur die zusätzlichen Boxen klimatisiert werden. Dies senkt den Energieverbrauch.

Wichtiger Aspekt des Projekts ist die Förderung sozialer Nachhaltigkeit. Schließlich soll das Bildungsprogramm der neu genutzten Pyramide von Tirana zum Erfolg der nächsten Generation beitragen.

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Auf ins nächste Leben: Mehrere Phasen der Transformation ...
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... machen die Pyramide von Tirana bereit für die Zukunft.

Die Umgestaltung der Pyramide von Tirana wird von der zentralen und lokalen Regierung mit der Albanian-American Development Foundation (AADF) co-finanziert. Dass große Erwartungen in das Projekt gesetzt werden, zeigte sich beim Baubeginn im Februar 2021: Albaniens Premier Edi Rama und Tiranas Bürgermeister Erion Veliaj waren zugegen. Ebenso, wie die AADF-CEOs Aleksandër Sarapuli und Martin Mata.

Die „neue“ Pyramide von Tirana

Star-Architekt Winy Maas: „Es ist interessant, wie das Land mit der Zukunft des Gebäudes ringt. Eines Bauwerks, das einerseits ein umstrittenes Kapitel seiner Geschichte darstellt, andererseits bereits teilweise von den Bewohnern Tiranas zurückerobert wurde“. Das Potenzial, die Pyramide noch mehr zu einem „Volksdenkmal“ zu machen, anstatt sie abzureißen, sei von Beginn an klar erkennbar gewesen.

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Mit MVRDV haben die Bauherren ein Büro beauftragt, das Erfahrung mit erfrischend „jungen“ Projekten hat. Egal, ob es um Transformation historischer Gebäude geht, oder um Neues wie bei „Werk 12“ in München: Das interdisziplinäre Team sammelt international Awards für sein innovatives Schaffen.

Meister innovativer Wiederbelebung

Und die niederländischen Architekten wissen, wie man attraktive Kulturzentren designt oder geschichtsträchtige Bauten zu neuen Ehren führt. Konzepte wie „Marble Arch Hill“ in London und das Kunst-Depot desBoijmans van Beuningen Museumsin Rotterdam beweisen dies auf eindrucksvolle Art. Einem glanzvollen „nächsten Leben“ der Pyramide von Tirana dürfte also nichts im Wege stehen.

Text: Elisabeth Schneyder Bilder: MVRDV

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