Die vertikale Kleingartensiedlung

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Für den Selbstversorger-Traum muss man nicht mehr zum Aussteiger werden. Das Modulkonzept The Farmhouse eines österreichischen Architekturbüros lässt einen im Großstadtdschungel zum Kleinbauern werden.

„Seit Beginn der industriellen Revolution haben wir den Bezug zu unseren Nahrungsmitteln verloren. Nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch die Umwelt hat unter dieser Entwicklung gelitten“, so die Feststellung von Chris und Fei Precht, den Gründern des gleichnamigen Architekturbüros Precht. Sie sehen sich als Vorhut einer neuen Riege von Architekten, die sich nicht mit dem Status Quo abfinden will. Mit The Farmhouse liefern sie den Entwurf für ein Stadtenwicklungsmodell, bei dem sich die Menschen wieder selbst versorgen können.

Urban Farming für Fortgeschrittene. Eine Kleingartensiedlung in der Vertikalen. Mit ihrem Konzept knüpfen die Architekten an die Ansätze der historischen Gartenstadt an und übersetzen sie in die technologischen und baulichen Möglichkeiten unserer Zeit.

Am Anfang war das Zelt

Obgleich das Gartenstadtmodell und auch die Wiener Siedlerbewegung aus den 1920er-Jahren ähnliche Ziele verfolgten, standen sie für einen relativ großen Flächenverbrauch. The Farmhouse hingegen basiert auf einer modularen Bauweise, die sich auch für urbane Ballungsräume eignet. Die einzelnen Module lassen sich übereinander stapeln bis Hochhausmodelle entstehen, die an ausgetüftelte Kapla-Bauwerke erinnern.

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Der eigene Schrebergarten befindet sich an der Außenseite der eigenen vier Wände.

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Schlafzimmer mit Aussicht: So geht das urbane Wohnen im Grünen.

Die Grundform jedes Moduls ist ein Dreieck, „ein Zelt, das von Natur umgeben ist“, beschreibt das österreichisch-chinesische Architekten-Ehepaar den kleinsten Nukleus ihres architektonischen Systems. Unter den Giebeln befinden sich Wohnräume, in den reziproken Kubaturen dazwischen die treppenförmigen Anbauflächen für Obst und Gemüse.

Daraus ergibt sich eine verspielte Kartenhaus-Optik, die nicht bloßes Formspiel ist, sondern ausgesprochen funktionell. „Die geneigten Wände schaffen eine Gartenfläche im Außenbereich und bilden gleichzeitig eine V-förmige Pufferzone zwischen den Apartments“, heißt es. „Auf diese Weise gelangen eine natürliche Belüftung und viel Tageslicht ins Innere des Gebäudes.“

Der Kreislauf des Lebens

The Farmhouse will sich bewusst von den Betonlandschaften unserer Städte abheben und einen direkten Bezug zu einer naturnahen Umgebung herstellen. Der ökologische Aspekt des Wohnhauses beschränkt sich dabei nicht bloß auf den Anbau des eigenen Gemüses. „Unser Farmhouse wird von einer natürlichen Kreislaufwirtschaft gespeist, bei der Abfallprodukte zur Entstehung von Neuem beitragen“, so die Architekten.

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Die V-förmigen Kubaturen zwischen den Wohneinheiten dienen als Schrebergarten und Pufferzone.

Die Wärme, die in Gebäuden erzeugt wird, kann für den Anbau von Kartoffeln, Nüssen oder Bohnen genutzt werden. Eine Wasseraufbereitungsanlage filtert das Regen- und Abwasser, reichert es mit Nährstoffen an und führt es der Bewässerung in den Gartenanlagen zu. Essensreste und Bioabfälle werden im Keller des Gebäudes gesammelt, zu Kompost verarbeitet und schließlich wieder für die nächste Anbausaison verwendet.

Holz ist der Baustoff Nummer Eins des Projektes – eine nachwachsende Ressource mit einem weitaus geringeren ökologischen Fußabdruck als andere Materialien. Die einzelnen Elemente werden als Fertigteile vorproduziert und vor Ort zusammengefügt. Vorgefertigte Bausätze verkürzen die Bauzeit und somit auch die Beeinträchtigung der Menschen in der Umgebung, so lautet ein weiterer Ansatz für mehr Nachhaltigkeit. 

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The Farmhouse: eine Großstadt-Oase für Häuslbauer und Selbstversorger.

Selbstversorger und Häuslbauer

Das Design des Kleingarten-Turms orientiert sich laut Architekten großteils an der DIY-Bewegung. Künftige Bewohner können nicht nur zu Selbstversorgern, sondern sogar zu richtigen Häuslbauern werden. Für die Planung der eigenen vier Wände kann aus einem Katalog an Haustechnik-Modulen gewählt werden – von der Photovoltaikanlage bis zum hydroponischen Anbausystem. Je nach gewähltem Layout können sich die Eigentümer ihr Tiny House selbst zusammenbauen. "Architektur aus dem Eigenbau mit Essen aus dem Eigenanbau“, heißt es in der Projektbeschreibung. 

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Der künftige Eigentümer kann sich sein Tiny House-Modul selbst planen und zusammenbauen.

Das Architekturbüro Precht, das unter anderem mit dem Architizer A+Award 2016 ausgezeichnet wurde, sieht sich als Vertreter einer neuen Ära der Architektur. Eine Ära, die den großen Stararchitekten und ihrem ewigen Drang nach Superlativen abschwört. Für die Architekten, die im Salzburger Bergland beheimatet sind, ist es ein neues Zeitalter der Athentizität, des Sharing-Gedankens und der Kollaboration. Ihr Credo: „Gebäude sollten Teil unserer Produktionskette sein und der Umgebung sowie der Community etwas zurückgeben.“

Text: Gertraud Gerst

Renderings: Precht

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