Der moderne Mensch und das Meer

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Wenn der Meeresspiegel tatsächlich so dramatisch ansteigt, wie befürchtet, wird es für uns Menschen auf dem Festland eng. Das Konzept der Ocean Community soll in naher Zukunft das Meer selbst als Lebensraum erschließen.

Es sind alarmierende Forschungs-Ergebnisse, die vor etwas mehr als einem Jahr im Fachmagazin „Nature Communications“ publiziert wurden. Darin heißt es zusammengefasst: Wir haben die Gefahr des ansteigenden Meeresspiegels bis dato massiv unterschätzt!

360 Millionen Menschen unter Wasser?

Der steigende Meeresspiegel könnte dreimal mehr Menschen weltweit bedrohen als bislang angenommen. Das enthüllen korrigierte Modelle. Demnach leben schon jetzt 250 Millionen Küstenbewohner weniger als einen Meter über der Hochwasserlinie. Selbst beim Einhalten des Zwei-Grad-Klimaziels könnte die Zahl der Flutgefährdeten bis 2100 auf 360 Millionen steigen, so die Forscher.

Asien besonders gefährdet

Besonders in Asien, wo Städte wie Shanghai, Hongkong, Osaka oder Singapur aufgrund der globalen Erwärmung verhältnismäßig bald überflutet werden könnten, sieht man die Entwicklung naturgemäß mit wachsender Besorgnis. Genau hier setzt das Projekt "Ocean Community" des Londoner Architekten Wojciech Morsztyn an.

Er hat sich damit auseinandergesetzt, wie wir als Menschheit mit dem Verlust von Lebensraum auf dem Festland umgehen könnten. Sein logisches Fazit: Wir müssen aufs Meer ziehen.

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Freilich, leichter gesagt als getan. Schließlich stellen sich auf Anhieb viele Fragen, die es zu beantworten gilt. Allen voran die der Versorgungssicherheit hoch zu See. Also hat der Brite der Lösung dieses Problems Priorität eingeräumt, ehe er sich den aus architektonischer Sicht gewiss lustigeren Aspekten – Formgebung, Design und Komfort – widmete.

Ocean Community als mobile Lösung

Um möglichst viel Flexibilität zu ermöglichen, wich Morsztyn gleich einmal von der Vorstellung einer fix verankerten Insellösung ab. Stattdessen etablierte er die Idee „mobiler häuslicher Marineeinheiten“, die ein überschwemmtes Katastrophengebiet in einen bewohnbaren Raum verwandeln sollen.

Also lauter kleine Einheiten, die temporär fix verankert sein können, aber jederzeit auch wieder weiterfahren sollen. Der Architekt selbst beschreibt seine Überlegungen so: „Diese neuen Strukturen schaffen voll funktionsfähigen Lebensraum. Indem sie mit der bestehenden Infrastruktur am verbliebenen Land verbunden sind, können sie als natürliche Erweiterung der Küstenstädte verstanden werden.“ In seinen Vorstellungen befinden sich die Einheiten 800 Meter von der Küste entfernt und somit nahe genug, um sich mit dem bekannten Leben an Land austauschen zu können.

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„Dennoch benötigen wir am Ozean aber alle Einrichtungen, die wir an Land auch in unser Leben integriert haben“, führt Wojciech Morsztyn weiter aus. Eben hier kommt die zweite Ebene seiner Überlegungen zum Tragen – jene der Modulartigkeit. So soll es abseits der zentralen Wohnunits für viele andere Nutzungsmöglichkeiten eigene Elemente geben, die jeweils an das heimatliche Zentralmodul angedockt werden können. Je nachdem, was wer gerade braucht, kann er sich sozusagen das dazugehörige Modul „bestellen“. Dieses kommt dann buchstäblich angeschwommen.

Fitnessstudio auf Bestellung

Ein Beispiel: Wenn der Benutzer aus der Einheit ein Fitnessstudio nutzen möchte, muss er dieses für die bestimmte Zeit anfordern. Sobald das autonome Modul ankommt, verbindet es sich mit seiner Wohneinheit und ist für die reservierte Zeitspanne verfügbar. „Das Konzept zielt darauf ab, kleine Einheiten zu schaffen, die auf dem Wasser segeln und für viele verfügbar sind.“

Genau so autonom wie das Fitnessstudio würden sich in den Vorstellungen des Londoner Visionär alle anderen Einrichtungen des täglichen Lebens verhalten: Wäscherei, Supermarkt, Kino und so weiter.

Kleine Gemeinschaften, großer Nutzen

Um aber eine gewisse Effizienz in dieses Sharing-Modell zu bringen und gleichzeitig ein Vereinsamen der einzelnen Schwimm-Modul-Bewohner zu verhindern, sollen die Einheiten stets kleine „Dörfer“ bilden. So eine Ocean Community besteht laut Konzept aus vier Wohneinheiten, die von jeweils zwei Menschen bewohnt werden. Alle vier Units sind an einer zentralen Docking-Plattform angeschlossen, die wiederum als Verteilungszentrum für Frischwasser und Strom fungiert oder aber auch als miteinander nutzbare Recyclinganlage.

Diese zentrale Plattform ist an den Meeresboden gekettet. Wer also weiterziehen möchte, kann sich um eine andere zentrale Plattform umsehen und diese ansteuern. So würden die Menschen ihre Nachbarschaften temporär wechseln können und dadurch auf lange Sicht mehr Austausch zu mehr Menschen erleben können.

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Vor allem aber sieht der Architekt in den kleinen Gesellschaften auch einen gewollten positiven Effekt auf uns: „Kleine Strukturen schaffen ein Umfeld, in dem Zusammenhalt und soziale Aktivitäten einen besonderen Stellenwert einnehmen“, ist er sich sicher.

Ocean Community für eher junge Menschen

Deshalb ist er auch der Meinung, dass diese Lebensform nicht für jedermann sinnvoll ist. „Das Projekt ist für Menschen im Alter von 25-55 Jahren gedacht. Es handelt sich um ein geteiltes oder eigenes Modell. Es richtet sich an Menschen, die Gefahr laufen, ihr Territorium oder ihren Besitz zu verlieren oder die auf der Suche nach einer neuen Erfahrung sind“, sagt er.

Davon ausgehend versuchte Morsztyn den Modulen seiner Ocean Community durch moderne Architektur ein ansprechendes aber auch zeitgeistiges Inneres und Äußeres zu verleihen. „Ich habe mich von der klassischen Architektur inspirieren lassen und diese Schritt für Schritt bis zur logischen Form einer schwebenden Einheit weitergedacht“, sagt er.

2 mal 48 Quadratmeter

Rausgekommen sind Module, deren Innenräume aus zwei Ebenen zu je 48 Quadratmetern bestehen. „Hauptziel für das Innendesign war es, eine ruhige und minimalistische Atmosphäre zu erhalten. Der Innenraum sollte den Nutzern helfen, Privatsphäre zu finden, sich zu entspannen und den täglichen Komfort zu genießen“, so der Architekt.

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Das Äußere wurde klar von den Elementen der Kultur Singapurs und der Stadt selbst inspiriert. „Das tropische Klima zwang mich jedoch zu einigen Lösungen, die ich sonst gern anders realisiert hätte“, so Morsztyn. Aufgrund der starken Sonneneinstrahlung musste etwa ein vollständig geschütztes und nicht etwa durchsichtiges Dach in das Konzept integriert werden. „Ich fand in diesen Problemstellungen aber auch Möglichkeiten. Im Fall der dunklen Dächer installierte ich eben Photovoltaik-Einheiten auf dem Dach.“

Selbstversorgung als Grundprinzip

Generell war natürlich von vornherein klar, dass sich die Wohneinheiten so gut es geht selbst versorgen können. Und so wird nicht nur Sonnenenergie genutzt. Regenwasser kann durch ein eigenes Drainagesystem isoliert und in einem Wasserfilterspeicher unter dem Boden gesammelt werden. Energie aus Wind wird zur Kühlung genutzt, um die Temperatur im Inneren der Einheit zu stabilisieren und Schimmelbildung zu verhindern. Außerdem können alle verwendeten Materialien leicht wiederverwertet werden, betont der Architekt.

Wann sein Konzept realisiert wird, steht derzeit zwar noch in den Sternen. Allerdings hätte der Moment, an dem die erste Ocean Community auf dem Meer schwimmt, eher einen bitteren Beigeschmack. Schließlich lebt aktuell noch die Hoffnung, dass es uns als Menschheit gelingt, in Sachen Klimawandel endlich die Füße auf den Boden zu bekommen.

Text: Johannes Stühlinger Bilder: Wojciech Morsztyn

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