Das Missing Link
Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Wohnungsnot: Dass Stadtplaner einiges zu lösen haben, liegt auf der Hand.Die Hälfte der Erdbevölkerung – dreieinhalb Milliarden Menschen – lebt heute in Städten. 2030 werden es, Prognosen zufolge, fünf Milliarden sein. Weil wohnen in der Stadt zu teuer wird, wachsen die Vorstädte und verschärfen das Verkehrsproblem. Kurz gesagt: Ohne neue Strategien sieht die Zukunft düster aus. Kein Wunder also, dass visionäre Ideen wie jene des italienischen Architekten Luca Curci auf großes Interesse stoßen. Auch wenn sie noch wie pure Science Fiction wirken.
Eine Zukunftsstadt namens „THE LINK“
Der jüngste Entwurf aus dem Büro Curci heißt schlicht „THE LINK“. Und so kühn er scheinen mag: Diese Vision einer „Smart City“ nimmt alle brisanten Themen unserer Zeit aufs Korn. Mit Lösungsansätzen, die nähere Betrachtung lohnen.
„THE LINK“ ist eine futuristische Stadt für 200.000 Bewohner. Eine „Smart City“, die vertikale Expansion mit wirtschaftlicher Innovation kombiniert und nach dem Null-Energie-Prinzip funktioniert. Mit einem absolut umweltfreundlichen Verkehrskonzept und eigener Landwirtschaft. Und mit einem Stadtwald, der CO2 absorbiert und Sauerstoff für sauberere Luft produziert. Spezielle Programme sind dazu gedacht, die Bewohner zu einer kooperativen Gemeinschaft zu verbinden. Vororte und Armutsviertel sollen, so Curci, gar nicht erst entstehen können.
Wichtiger Teil des Konzepts ist die Nutzung modernster Technologien. So soll künstliche Intelligenz ein urbanes Betriebssystem ermöglichen, das Temperatur, CO2-Gehalt und Feuchtigkeit der Luft steuern kann. Auch die Beleuchtung der Stadt könnte auf diese Art je nach aktuellem Bedarf geregelt werden. Außerdem soll aus erneuerbaren Quellen – unter anderem Sonnenkollektoren – Energie gewonnen und gespeichert werden. „THE LINK“ wäre, so betont Luca Curci, „die erste bewusst orientierte Smart-City, die Zersiedelung verhindert, Energie produziert und speichert, die Luftqualität verbessert, mehr biologische Vielfalt und gesünderen Lebensstil bietet“.
Vier Gebäude mit unterschiedlichem Zweck würden den Hauptkörper der Stadt bestimmen. Das höchste davon soll 1.200 Meter gen Himmel ragen. Seine 300 Stockwerke beherbergen nicht nur Apartments, Villen und Gemeinschaftsräume. Auch Dienstleistungen mit Grünflächen, private und öffentliche Gärten sind fixer Teil des Plans.
Das Gesamtvolumen der nach oben strebenden Smart City beziffert Architekt Curci mit 14.500.000 Kubikmetern und mehr als 1.200.000 Quadratmetern Grünflächen.
Schöne, dichte „neue Welt“
Der Hauptwohnungsturm ist mit den anderen drei Gebäuden verbunden. Diese sind 650 bis 850 Meter hoch. In ihrem Inneren sollen Büros, Regierungsabteilungen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen Platz finden. Ebenso, wie Schulen und Universitäten.
Nachhaltig & lebenswert
Auch an alles, was Lebensqualität verspricht und Tourismus lockt, wurde gedacht. Die ungewöhnlich geformten Stadttürme sollen mit besten Lifestyle-Annehmlichkeiten aufwarten. Hotels, Wellness-, Spa- und Sportanlagen gehören zum Konzept. Ebenfalls vorgesehen sind Einkaufszentren, Bibliotheken und Freizeitattraktionen.
Wobei: Schon der Stadtwald, mehr als 120.000 Bäume und zwei Millionen Pflanzen versprechen ein herrlich erholsames Umfeld. Eines, das mit über 150 Arten natürliche Vielfalt bieten und bewahren soll.
Saftiges Grün, frische Luft und Tageslicht dominieren alle Stockwerke der städtischen Vision. Und damit nicht genug: Energiespeicher, Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft sind integriert. Und alle folgen einer Null-Abfall-Politik. Die Gemeinschaft der Smart City soll Lebensmittel anbauen, herstellen und sich selbst versorgen können. Ohne dass Müll zum Problem wird.
Shopping und Unterhaltung vor der Tür
Das Leben in der Zukunfts-City soll Freude machen. Deshalb hat das Büro Luca Curci Architects jedes Gebäude mit gemeinschaftlichen Einrichtungen versehen. Bäder, Märkte, spirituelle und kulturelle Zentren sollen den Alltag entspannt gestalten und Unterhaltung bieten.
Autark, aber nicht isoliert
Obwohl alles, was das Herz begehrt, quasi vor der Wohnungstüre wartet: Von Abschottung nach Außen kann keine Rede sein. Denn „THE LINK“ wäre nicht nur intern, sondern auch mit der Außenwelt bestens verbunden: Auf Kellerebene befinden sich Docks für Fußgänger und öffentliche, elektrische Verkehrsmittel. Der Turm ist mit Drohnenhäfen bestückt. Diese sind mit den oberen Gartenflächen der anderen Gebäude verbunden. Und sie sind bequem über vertikale Zugangselemente erreichbar.
Ein besonderes Anliegen des italienischen Architekten ist es, die rasante Ausdehnung von Städten und dadurch bedingte Zersiedlung des Umlands einzudämmen. Und dies nicht nur, weil die Versieglung freier Flächen natürliche Lebensräume zerstört und den Klimawandel vorantreibt. Was Curci am Herzen liegt, ist nämlich vor allem ein gesellschaftliches Problem.So heißt es in der Beschreibung seines visionären Projekts: „Die Suburbanisierung der Armut ist einer der wichtigsten demografischen Trends der vergangenen 50 Jahre. Die Armutsraten in der Vorstadtlandschaft sind seit 1990 um 50 Prozent gestiegen“.
Curci sieht Zersiedlung als Gefahr
Mit „THE LINK“ – einer Smart City, die insgesamt einem himmelhohen Stadtwald gleicht – ließe sich dieser Entwicklung Einhalt gebieten, ist Curci überzeugt. Weil mehrstufige, vertikale Stadtplanung die Zersiedlung stoppen könne. Obendrein werde damit Natur in den urbanen Alltag zurückgeholt. Ein Gedanke, der bestens zur großen Sehnsucht heutiger Stadtbewohner nach Freiraum im Grünen passt.
Dazu kommt, dass die Flächenausbreitung von Städten und Gemeindenhäufig Zonen mit geringer Besiedlungsdichte schafft. Weil diese meist auch reine Wohngebiete sind, müssen die Bewohner in der Regel ins eigene Auto steigen, um Einkäufe zu erledigen oder zur Arbeit zu fahren. Das logische Ergebnis: Höherer Energieverbrauch, mehr Schadstoffemissionen, Verkehrsstau und Umweltverschmutzung. Ganz abgesehen davon, dass sich in solchen Zonen kaum Gemeinschaften bilden können, die gemeinsame Ziele – etwa in Sachen Umweltschutz – verfolgen.
Für Mensch und Umwelt konzipiert
Mit der Vision der smarten Stadt von Morgen will Luca Curci dazu beitragen, dass die Zukunft menschenfreundlich bleibt, ohne die Umwelt weiter im aktuellen Ausmaß zu belasten. Das Konzept, das der Architekt mit „THE LINK“ präsentiert, soll Probleme wie Klimawandel und Bevölkerungswachstum lösen und trotzdem leistbaren, lebenswerten urbanen Wohnraum schaffen.
„THE LINK“ ist eine Vision, die aufzeigt, was möglich wäre. Man werde das Modell nun, wie Cruci ankündigt,in mehreren Städten der Welt präsentiert. Erstes Ziel: Gespräche mit Institutionen und privaten Investoren. Ob, wo und wann diese beeindruckende Smart City tatsächlich entstehen könnte, ist freilich völlig offen. Ebenso wie deren Kosten und Finanzierung.
Der vertikale Stadtwald THE LINK ist ein nachhaltiges Ökosystem zum Leben und Arbeiten
Allerdings sind Ideen für nachhaltige Ballungszentren, die allen längst aktuellen Herausforderungen gerecht werden, dringend gefragt. Und auch wenn etwa die ähnlich futuristischen Pläne des belgischen „Archibiotekten“ Vincent Callebaut für die Verwandlung von Paris in ein grünes Paradies bereits seit Jahren ohne praktische Umsetzung blieben: Die Hoffnung auf ein besseres Morgen lebt.
Zukunftsweisende Science Fiction
Visionäre wie Callebaut und Curci bemühen sich, den Weg dazu zu ebnen. Grund genug also, ihre Ideen mit ernstem Interesse zu betrachten. Immerhin: Auch Videotelefonie und Internet wurden vor nicht allzu langer Zeit noch als Hirngespinste findiger Science Fiction Autoren abgetan. Heute sind sie alltäglich und längst unverzichtbar. Will sagen: Vieles, das aufs Erste unvorstellbar scheint, hat durchaus das Potenzial, die Welt zum Besseren zu verändern.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Luca Curci Architects
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