Das exportierte Holz-Hochhaus
Nicht in Chicago, sondern in der eher beschaulichen Stadt Milwaukee wird derzeit das erste Holz-Hochhaus der USA gebaut. Mit moderner Architektur ist man hier, in der Hauptstadt des Bieres, dennoch vertraut. Star-Architekt Santiago Calatrava setzte ihr mit dem Milwaukee Art Museum direkt am Lake Michigan ein Denkmal. Der futuristische Bau grüßt seine Besucher dreimal täglich mit einem Flügelschlag seines beweglichen Sonnensegels, dessen Stahlstäbe die Spannweite eines Jumbo Jets haben. Ein Schauspiel, das so mancher Bewohner des Ascent Tower künftig von oben bewundern kann.
Höchstes Holz-Hochhaus der Welt
Die Bauarbeiten für den 25 Stockwerke hohe Turm von Korb + Associates Architects sind in vollem Gang. Das Highrise-Gebäude in Holz-Hybrid-Bauweise entsteht im Kunst- und Kulturviertel East Town, in direkter Nachbarschaft zu Calatravas Landmark. Aufnahmen von der Baustelle zeigen die beiden Lift- und Treppenschächte aus Beton und drumherum die Geschosse aus Holz, die stetig nach oben wachsen.
Bei seiner Fertigstellung im Jahr 2022 wird der Ascent Tower den derzeitigen Rekordhalter Mjøstårnet in Norwegen überragen, wenn auch nur um 120 Zentimeter und vermutlich nur für kurze Zeit. Während in Europa die Holz-Hochhäuser geradezu aus dem Boden schießen, nimmt dieses Projekt in den USA einen ganz besonderen Stellenwert ein. „Ein Projekt in der Art hat es noch nie gegeben“, sagt Tim Godman von New Land Enterprises. „Es ist einzigartig in Bezug auf Genehmigungsverfahren, Brandschutz, Design und den Ingenieur-Holzbau. Dieses Projekt ist mit sehr viel Innovation verbunden.“
Holz und Knowhow kommen aus Österreich
Auf der Website des Developers wird die nachhaltige Bauweise mit mass timber, also den neuen, leistungsfähigen Materialien im Ingenieur-Holzbau, beworben: „Mass timber fördert die nachhaltige Forstwirtschaft und schafft eine Kohlenstoffsenke.“ Nicht erwähnt wird, dass sowohl das Holz als auch die fertigen Bauteile aus Österreich angeliefert werden. Denn, obwohl die USA über ausreichend Wald verfügen, fehlt es im Land an Fachwissen und entsprechender Technologie.
„Das Knowhow und die Betriebe im Ingenieur-Holzbau sind in den USA zwischen 1970 und 1990 verloren gegangen. Aus diesem Grund kommen die jetzt auf uns zu“, sagt Erich Wiesner. Er ist Geschäftsführer der Wiehag mit Sitz im oberösterreichischen Altheim. Das Unternehmen ist derzeit einer der Weltmarktführer im Ingenieur-Holzbau und beliefert Architekten und Developer mit Ingenieurleistungen und den massgeschneiderten Holzbauteilen. Ob die Baustelle nun in Singapur, London oder Milwaukee ist, macht für den Auftragnehmer keinen Unterschied. Die Einzelteile werden verschifft und von Facharbeitern wie ein Lego-Bauwerk vor Ort zusammengefügt.
Ein Projekt in der Art hat es noch nie gegeben.
Tim Godman, New Land Enterprises
Die Träger für den Ascent Tower wurden im Wiehag-Werk produziert, die vorgefertigten CLT-Elemente stammen vom Kärntner Brettsperrholz-Pionier KLH. In den USA werden gerade ähnliche Produktionsanlagen gebaut, wie die neue Niederlassung des kanadischen Marktführers Structurlam in Arkansas. Es ist zu erwarten, dass der Ingenieur-Holzbau in Zukunft eine Regionalisierung erlebt.
Eigene Brandschutztests durchgeführt
Da die Brandschutzbestimmungen in den USA nicht für eine Holzbauweise im Hochhaus-Segment ausgerichtet sind, mussten Architekten und Developer selbst den Beweis antreten, dass der Ascent Tower einem Feuer standhalten würde. Dazu arbeiteten sie mit dem US Forest Service zusammen und steckten neun sogenannte Glulam-Träger für drei Stunden in den Ofen.
Das Ergebnis des Experiments bestätigte das, was Holzbauexperten schon länger wissen: Die verkohlte Oberfläche des Holzträgers wirkt als eine Art Schutzschicht für den Kern. Daher wurden bei der Berechnung der Trägerstärke ein paar Zentimeter mehr für diese Verkohlungsschicht eingeplant.
Die Pionierarbeit ist getan. Der Ascent Tower kann damit als Blueprint für weitere Highrise-Projekte seiner Art dienen und einen Anstoß dafür liefern, dass der Ingenieur-Holzbau in den USA demnächst ein Comeback feiert.
Text: Gertraud Gerst Visualisierungen: Korb + Associates
Lesen Sie weiter im UBM Magazin, der Plattform für Immobilienwirtschaft, Stadtplanung und Design.
Kommentare