Das Apartment des Mathematikers
Einen wahren Lyoner erkennt man daran, dass er die versteckten Traboules der Stadt kennt, so heißt es. Diese Verbindungsgänge und Passagen dienten früher als Abkürzungen und geheimes Wegnetz. Auch heute noch führen sie durch Innenhöfe, Treppenhäuser und Hausflure der geschichtsträchtigen Stadt. Jede dieser Traboules ist ein wenig anders in ihren Farben und Formen. Wiederkehrend sind die typischen Renaissance-Bögen, die gewölbten Tunnel und die Zickzack-Treppen, die der Maler M.C. Escher einst zu räumlichen Illusionen zusammenfügte. Dieses Überbleibsel aus Lyons Vergangenheit diente den Architekten des Pariser Studio Razavi als Inspiration für die preisgekrönte Innenausstattung des Apartment XVII.
Ein Juwel hinter Trockenmauern und Verputz
Die Wohnung befindet sich in einem der ältesten Viertel von Lyon, das zum Unesco Weltkulturerbe zählt. Das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert und ist Teil des gut erhaltenen Renaissance-Erbes der Stadt. Die Renovierung von historischen Wohnräumen ist keine leichte Aufgabe. Das Alte und das Neue sollen nebeneinander bestehen können, ohne sich gegenseitig zu überschatten.
Dabei muss bei historischen Bauwerken oft erst geklärt werden, was tatsächlich Altbestand und was erst später hinzugekommen ist. Genauso war es auch bei Apartment XVII. Um zu sehen, was sich hinter Trockenmauern und Verputz versteckt, musste die Wohnung bis auf die Grundmauern ausgehöhlt werden. Der Schatz, der dabei zum Vorschein kam, sollte behutsam restauriert werden. „Zwei massive Steinkamine, übergroße Eichenbalken und die vier Meter hohen Räume zählten zu den Original-Features, die wir renovieren und im neuen Raum zelebrieren wollten“, so die Architekten über ihr Konzept.
Von der Geometrie zur Illusion
Die universellen geometrischen Formen, die wie ein roter Faden durch die Wohnung führen, sind zum einen dem architektonischen Kontext des Viertels entnommen. Zum anderen entsprechen sie der vermesserischen Neigung des Bauherren, der Mathematiker ist. Da er keine Gegenstände sammelt, die zur Dekoration von leeren Wänden taugen würden, schafften die Architekten ein spannungsvolles Raumkonzept, das für sich steht. „Unser Kunde wollte einen Raum, der aufgeräumt ist, aber vor allem nicht leer aussieht“, erklärt Andoni Briones von Studio Razavi.
Unser Kunde wollte einen Raum, der aufgeräumt ist, aber vor allem nicht leer aussieht.
Andoni Briones, Studio Razavi
So erfüllt Apartment XVII sowohl den Wunsch nach einem funktionellen Minimalismus als auch nach einem Raum, der nicht erst durch Dekoration belebt werden muss. Die Bogenform wird – ähnlich wie im Design-Hotel The Other Place – als illusorisches Versatzstück eingesetzt. Einmal ist sie als Nische in die Wand eingelassen, ein andermal ist sie lediglich aufgemalt. Ein Wink zu M. C. Escher und seinen optischen Täuschungen.
Der introspektive Raum
Der Stil, der das Apartment XVII ausmacht, ist auf wenige Zutaten beschränkt. Abgesehen vom rauen Verputz und den Holzböden gibt es nur ein Material, das zusätzlich eingeführt wurde. Die Regale und Schränke sind aus Valchromat, also durchgefärbten Holzfaserplatten, gefertigt. „Auf der Basis eines einzigen Materials und einer limitierten Farbpalette haben wir eine Reihe von Begebenheiten geschaffen, die zusammen einen ‚introspektiven Raum‘ bilden, wie wir es nennen. Einen Ort der Reflexion, des kreativen Rückzugs“, beschreibt Studio Razavi ihr Interior-Konzept, das mehrfach ausgezeichnet wurde.
Neben dem Architizer Award erhielt der Entwurf auch eine Anerkennung von Best Of Interior 2021. Studio-Gründer Alireza Razavi wird regelmäßig vom AD-Magazin zu den „AD100 Best Designer“ gewählt.
Abgesehen vom Schlafzimmer und dem WC sind die Räume und Gänge im renovierten Renaissance-Bau nicht durch Türen getrennt. Stattdessen bilden sie eine wechselnde Folge von Durchgang und Raum, von hell und dunkel, von offenem und geschlossenem Raumgefühl. Ganz so wie die historischen Traboules in den Straßen darunter.
Text: Gertraud Gerst Fotos: Simone Bossi, Studio Razavi
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