Altes Haus weist neue Wege
Möbel und Wohn-Accessoires aus den „Swinging Sixties“ sind wieder gefragt. Bei Wohnhäusern aus den 1960er Jahren hält sich die Lust auf Retro freilich in Grenzen. Und dies liegt nicht in erster Linie an deren oft öden Betonfassaden. Schließlich gibt es aus dieser Zeit auch ansehnliche, mitunter sogar architektonisch famose Familiendomizile. Man denke nur an Richard Neutras „Ohara House“. Allerdings: Dass Wärmeschutz- und Energiesparmaßnahmen damals kaum ein Thema waren, macht Häuser der Jahrhundertmitte denkbar unattraktiv. Es sei denn, geschickte Renovierung sorgt dafür, dass ein altes Haus ganz neue Wege geht. So, wie das „Loom House“ im US-Bundesstaat Washington.
Das „Loom House“ befindet sich aufBainbridge Island, aufeiner Klippe über dem Puget Sound nahe Seattle. Es wurde 1968 von Architekt Harold Molstad designt. Und es zählt fraglos zu den erwähnten, zeitlos schönen Ausnahmen. Vom Büro The Miller Hull Partnership umfassend renoviert, wurde das klassische 1960er-Gebäude nun zum nachhaltigen Vorzeigeprojekt: Anfang 2021 erhielt es die Living Building Challenge 4.0-Zertifizierung. Als eines von weltweit bisher nur vier Wohnhäusern. Und als erstes renoviertes Haus, das die entsprechenden Kriterien des International Living Future Institute erfüllt.
Prototyp umweltfreundlicher Nachrüstung
„Living Buildings“ müssen unter anderem eine positive Energie-, Wasser- und Abfallbilanz aufweisen. Und sie müssen Standort, Gemeinschaft und Umwelt mehr Vorteile als negative Auswirkungen bringen. Kein leichtes Unterfangen für das Team, das sich des Sixties-Bauwerks annahm. Doch Miller Hull ist für nachhaltiges, regeneratives Design bekannt. Und so entstand mit „Loom House“ ein Prototyp für Renovierung mit Nachrüstungsstrategien, die solche Häuser fit für die Zukunft machen.
Das rund 300 Quadratmeter große „Loom House“ umfasst einen renovierten Nord- und einen Süd-Trakt. Das ursprüngliche Wohnhaus bestand aus einem zweistöckigen Haupt- und einem einstöckigen Nebengebäude. In Letzterem war ein Billardzimmer untergebracht. Miller Hull machte sich daran, die Gebäudehülle zu verbessern und autarke Systeme einzubauen. Natürlich wurden auch die Innenräume modernisiert. Deren neuen Look prägte Interior-Designerin Charlie Hellstern.
Von der Planung bis zum Bau war es das Ziel des Projekts, eine globale Wirkung zu erzielen, indem es einen Weg zur Living-Building-Challenge-Zertifizierung für alle Wohnumgestaltungen aufzeigt.
The Miller Hull Partnership
Im Haupthaus wurde das Innenleben heller und fließender gestaltet und eine wenig genutzte Garage im Erdgeschoss in einen Schlafbereich verwandelt. Das einstige Billard-Zimmer beherbergt heute ein Büro. Und ein neu gebauter, 67 Quadratmeter großer, freistehender Carport und Abstellraum bieten dem Eigentümer Platz zur Unterbringung seiner Elektrofahrzeuge und Fahrräder.
Das gesägte Weißeichenholz der Böden trägt das Zertifikat des Forest Stewardship Council (FSC). Beim Küchenmobiliar dominieren Weißeiche und Walnuss. In den Badezimmern wurden Materialien wie Beton, Stein und Keramikfliesen verwendet. Und im neuen Büro prangt ein Luster, den Designer Stefan Gulassa gestaltet hat – aus Glyzinienzweigen aus dem Garten.
Nachhaltigkeit als oberstes Gebot
Miller Hulls Entwurf respektiert den ursprünglichen architektonischen Charakter von Harold „Hal“ Moldstads Haus. Aber er hat dem Wohngebäude aus der Jahrhundert-Mitte neues, grünes Leben eingehaucht. Der Auftrag der Eigentümer, selbst langjährig engagierte Leiter einer Organisation für Umweltgerechtigkeit, war klar: Sanierung und Umbau mussten strenge Nachhaltigkeitsziele erreichen.
Ein Wunsch, dem Miller Hull auch mit durchdachten Verbesserungen des Umfelds nachkam. Diese ergänzen die Landschaft, die aus Zierpflanzen wie japanischem Ahorn, blühenden Bäumen, Rhododendren und Azaleen besteht.
Urbane Landwirtschaft
Essbare Beeren, Gemüse und ein Wald, der zum Pilze-Sammeln lädt, sorgen jetzt für urbane Landwirtschaft auf dem Gelände. Für die Landschaftsgestaltung wurde Anne James Landscape Architecture ins Boot geholt.
Eine neueZugangsbrücke führt zwischen 60 Meter hohen Baumriesen zum neu gestalteten Haupteingang des „Loom House“. Das frühere Labyrinth aus kleinen Zimmern wurde in einen offenen großen Raum umgewandelt.
Eine Treppe verbindet diesen mit dem Hauptschlafzimmer im Untergeschoss, das die ungenützte Garage ersetzt hat. Dreifach verglaste Fenster und Oberlichter sorgen im gesamten Projekt für eine Verbindung zu den Gärten, dem Puget Sound und darüber hinaus.
Das Projekt „Loom House“ war schon bei Planung und Bau darauf ausgerichtet, weit über die Grundstücksgrenzen hinaus positive Effekte zu erzielen. Geht es nach seinen Designern, soll es weltweit Nachahmer finden. Denn es demonstriert, wie Wohngebäude durch Umgestaltung die Living-Building-Challenge-Zertifizierung erreichen können.
Wegbereiter „Loom House“
Und damit nicht genug: Das Projektteam setzte sich bei der Stadt Bainbridge Island erfolgreich für eine Änderung der Vorgaben zum Umgang mit Grau- und Schwarzwasser vor Ort ein, um anderen Hausbesitzern den Weg zu ebnen.
Die Living Building Challenge des in Seattle ansässigen International Living Future Institute gilt als eines der strengsten Zertifizierungsprogramme für umweltfreundliches Bauen weltweit. Das Projektteam ging allerdings sogar über dessen Anforderungen hinaus.
Strenger als verlangt
Bei allen Möbeln und Einrichtungsgegenständen des „Loom House“ kamen Materialien zum Einsatz, die nicht auf der Roten Liste stehen. So, dass beauftragte Handwerker, Installateure, Händler und Hersteller dauerhaft auf bedenkliche Chemikalien verzichten konnten.
Den Strom fürs Haus liefert eine 16-Kilowattstunden-Photovoltaikanlage. Sollte es zu einem Stromausfall kommen, sichert ein Pufferbatteriesystem die Energieversorgung.
Die Wasserversorgung erfolgt über ein Regenwassersammelsystem mit unterirdischer Zisterne. Grau- und Schwarzwasser werden – wie nun durch die geänderten Vorschriften möglich – vor Ort aufbereitet.
Das vielfach preisgekrönte Büro Miller Hull entwirft seit seiner Gründung im Jahr 1977 umweltverträgliche Gebäude mit dauerhaftem „Mehrwert“ für deren Umfeld.
Zu Top-Standard renoviert
„Loom House“ ist zwar das erste renovierte, „Living Building“ zertifizierte Haus des in Seattle und San Diego ansässigen Teams. Sein einziges derart ausgezeichnetes Projekt ist es jedoch nicht: Auch das neu errichtete Kendeda-Gebäude an der Georgia Tech erfüllt die strengen Regeln.
Mit dem Wunsch, durch besonders nachhaltige Wohnhäuser global wirksame Beispiele zu schaffen, steht Miller Hull nicht allein. Auch nicht, wenn man den Blick abseits großer Anlagen auf kleinere Projekte richtet.
Pioniere zukunftsfitten Wohnens
So legen etwa auch Sam Gordon und Alejandro Dumas mit ihrer „Kan Tulum“ Anlage in Mexico die Latte in Sachen Umweltschutz besonders hoch. Ebenso, wie das Büro Sanzpont mit „Living the Noom“.
Allerdings: Das „Loom House“ soll möglichst vielen Eigentümern zeigen, wie ihr altes Domizil zu nachhaltigem Leben erwachen kann. Damit etwa auch verpönte Sixties-Bauten nicht zwangsläufig als Abbruchschutt enden. Weil sie durch kluge Nachrüstung einer guten Zukunft entgegensehen könnten.
Text: Elisabeth Schneyder Bilder: Kevin Scott, The Miller Hull Partnership
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