Alle Vögel sind schon da
Vogelpopulationen sind weltweit bedroht, die Gründe dafür sind vielfältig. Allein in New York sterben jedes Jahr zwischen 90.000 und 230.000 Vögel bei der Kollision mit verglasten Wolkenkratzern. Urbane Architektur wird oft zur Todesfalle für Zugvögel. Aber auch in Schwedens Wäldern haben sie oft Mühe, nach Jahrzehnten intensiver Forstwirtschaft und Monokultur geeignete Brutplätze zu finden.
Die angestrebte grüne Wende in der schwedischen Forstwirtschaft zielt auf mehr biologische Vielfalt in den Wäldern – eine Transformation, die nicht von heute auf morgen passiert. Zumindest für ein paar hundert brutwillige Vögel gibt es ab sofort einen gesicherten Nistplatz. Sie können in den 340 Vogelhäusern unterkommen, die das neue Zimmer des spektakulären Treehotels umgeben.
Ein Hotelzimmer in luftiger Höhe
Das Baumhaus trägt den Namen Biosphere und ist die achte Unterkunft im Ensemble, das den Wald nahe des nordschwedischen Ortes Harads bewohnbar macht. Jedes dieser Hotelzimmer in luftiger Höhe ist einzigartig und wurde nach den Plänen eines namhaften Architektur- oder Designbüros errichtet.
Das Bird’s Nest und das UFO stammen vom Designer Bertil Harström, während sich das norwegische Architekturbüro Snøhetta mit The Seventh Room architektonisch hier verewigt hat. Am bekanntesten ist wohl der Mirrorcube von Bolle Tham und Martin Videgård, der es bei seiner Eröffnung in alle Hochglanzmagazine geschafft hat. Seine voll verspiegelte Fassade ist ein echter Hingucker und hoffentlich gegen kollidierende Vögel abgesichert.
Wohngemeinschaft für Mensch und Vogel
Mit der Eröffnung von Biosphere im Juni 2022 haben Gäste des Hotels nun auch die Möglichkeit, Tür an Tür mit den gefiederten Bewohnern des Waldes zu nächtigen. Das Hotelzimmer mit der Fassade aus unterschiedlich großen Vogelhäusern ist damit zugleich Vogel-Beobachtungsstation und bewusstseinsschaffende Maßnahme zur Arterhaltung.
„Das Ziel von Biosphere ist, die Abwärtsspirale der Vogelpopulation in den schwedischen Wäldern aufzuhalten und stattdessen die Biosphäre und den natürlichen Lebensraum zu stärken“, erklärt das dänischen Architekturbüro BIG die Idee hinter der umgewöhnlichen Wohngemeinschaft für Mensch und Vogel.
Bjarke Ingels hat eine Eingebung
Sein Gründer Bjarke Ingels hat sich für den Entwurf direkt vor Ort inspirieren lassen. „Kurz vor der Pandemie hatte ich die Gelegenheit, ein paar Tage und Nächte in den Zimmern des Treehotels zu verbringen. Durch das komplette Eintauchen in die Natur reiste ich mit einem Gefühl der Verjüngung wieder ab“, beschreibt der Architekt seine Erfahrung im Baumhotel.
Das Ziel von Biosphere ist, die Abwärtsspirale der Vogelpopulation in den schwedischen Wäldern aufzuhalten und stattdessen die Biosphäre und den natürlichen Lebensraum zu stärken.
Er machte sich Gedanken darüber, wie er diese Immersion noch ein Stück weiter denken kann. „Mir kam sehr schnell die Idee, nicht nur menschliche Besucher zu beherbergen, sondern auch der lokalen Vogel- und Fledermauspopulation einen sphärischen Pulk an Nistplätzen anzubieten.“
Von Ornithologen abgesegnet
Damit das Zusammenleben in der Biosphäre auch tatsächlich funktioniert, arbeiteten die Architekten auch mit örtlichen Vogelkundlern zusammen. „Erhebungen in der Provinz Norrbotten haben gezeigt, dass die Populationen vieler Vogelarten zurückgehen“, begrüßt Ulf Öhman von der ornithologischen Vereinigung Norrbotten (NOF) die Initiative. „Die Forstwirtschaft hat dazu geführt, dass weniger Hohlräume in Bäumen vorhanden sind, wo Brutvögel nisten können. Die Schaffung von Nistplätzen ist daher eine wichtige Maßnahme.“
Bei der ornithologischen Evaluierung des Entwurfs ging es auch um ganz pragmatische Überlegungen. „Nach unseren ersten Gesprächen mit Ulf Öhman waren wir erleichtert zu hören, dass Vögel nicht direkt beim Nest Kot absetzen“, erzählt Ingels. „So besteht die Hoffnung, dass das Glas in dieser wolkenförmigen Vogelarchitektur sauber bleibt.“
Nistkästen schaffen Bewusstsein
Zugang zur Biosphere bekommen die Gäste über eine Hängebrücke, die sich vom Waldboden in die Höhe windet. Das Innere des Zimmers misst 34 Quadratmeter und ist in zwei Ebenen gegliedert, einen Wohnbereich unten und einen Schlafbereich oben. Die Einrichtung ist recht dunkel gehalten, sodass nichts vom Wesentlichen ablenkt, nämlich den Vögeln und der Natur vor den vielen Glasfronten.
Das neue Baumhaus des Treehotels wird den Gästen mit Sicherheit ein naturnahes Erlebnis bescheren. Der Ornithologe hofft indes auf einen Lerneffekt. „Den Leuten zu zeigen, wie Nistkästen und Futterstellen funktionieren, ist sehr wichtig. Die Initiative des Treehotels kann Gäste dazu inspirieren, dasselbe vor der eigenen Haustür zu tun.“
Text: Gertraud Gerst Visualisierungen: Bjarke Ingels Group
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